Vor kurzem hatten die USA noch ein Kopfgeld auf al-Scharaa ausgesetzt. Am Montag besucht er auf Einladung von US-Präsident Trump das Weiße Haus.
Vom Rebellenführer zum StaatsgastAl-Scharaa im Weißen Haus – ein Ex-Dschihadist zu Besuch bei Trump

Der syrische Präsident Ahmad al-Scharaa auf dem Weg zu einem bilateralen Treffen bei der UN-Klimakonferenz in Brasilien.
Copyright: AFP
Es ist ein historischer Besuch eines ungewöhnlichen Gastes: US-Präsident Donald Trump empfängt an diesem Montag den syrischen Übergangspräsidenten Ahmad al-Scharaa. Vor weniger als einem Jahr hatten die USA noch ein Kopfgeld von zehn Millionen Dollar auf al-Scharaa ausgesetzt, der das islamistische Rebellenbündnis Haiʾat Tahrir asch-Scham (HTS) anführte. Seit dem Sturz von Diktator Baschar al-Assad lenkt der 43-Jährige die Geschicke – und hat sich dabei zum Hoffnungsträger des Westens entwickelt.
Al-Scharaa ist der erste syrische Präsident, der im Weißen Haus zu Gast sein wird. Mit diesem Besuch erfährt seine Wandlung vom Dschihadisten zum Staatsmann international höchste Anerkennung. Trump adelte ihn bereits im Mai im saudi-arabischen Riad mit einem Handschlag. Der US-Präsident pries al-Scharaa dabei als „echten Anführer“ mit einer „sehr starken Vergangenheit“ und kündigte an, Sanktionen gegen Syrien aufzuheben. Auch Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat al-Scharaa nach Berlin eingeladen, ein Datum für diesen Besuch steht noch nicht fest.
Ende einer Schreckensherrschaft
Im vergangenen November nahmen al-Scharaas Milizen Aleppo ein und rückten weiter Richtung Damaskus vor. Am 8. Dezember floh Assad nach Moskau. Damit endeten 54 Jahre Tyrannei des Assad-Clans. Al-Scharaa übernahm die Macht, im Januar wurde er zum Übergangspräsidenten ernannt. Seine erste Auslandsreise in der Funktion führte ihn im Februar nach Saudi-Arabien und die Türkei, die zu seinen wichtigsten Unterstützern gehören. Begleitet wurde er von der neuen First Lady Syriens, der Literaturwissenschaftlerin Latifa al-Droubi. Das Ehepaar hat Medienberichten zufolge drei Söhne.

Mohammed bin Salman, der saudische Kronprinz, und US-Präsident Donald Trump trafen sich im Mai 2025 mit Ahmad al-Scharaa (links).
Copyright: IMAGO/APAimages
Der US-Sondergesandte für Syrien, Tom Barrack, sagte der Nachrichtenseite Axios, al-Scharaa werde in Washington wohl ein Abkommen zum Beitritt Syriens zur US-geführten Allianz gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) unterzeichnen. Das ist nicht ohne Ironie: Al-Scharaa hat früher unter dem Kampfnamen Muhammad al-Dscholani mit dem IS und dem Terrornetz Al-Kaida zusammengearbeitet. Die HTS ist der Nachfolger der Al-Nusra-Front, dem syrischen Ableger von Al-Kaida. Als al-Scharaa noch im Irak kämpfte, wurde er 2006 von US-Truppen gefangengenommen. Fünf Jahre lang war er in Haft.
Droht ein Rückfall in den Krieg?
Später sagte sich al-Scharaa vom IS und von Al-Kaida los. Heute haben die UN die Sanktionen gegen al-Sharaa aufgehoben und er gilt als Feind Nummer eins des Islamischen Staats, der in Syrien weiterhin aktiv ist. Medienberichten zufolge hat er als Übergangspräsident bereits mehrere Anschläge überlebt. Heute bekennt sich der einstige Rebellenführer zur Demokratie in Syrien. „Allgemeine Wahlen werden stattfinden, sobald die Infrastruktur wieder aufgebaut ist und die Bevölkerung über Ausweise und ordnungsgemäße Dokumente verfügt“, sagte er kürzlich dem US-Sender CBS.
Kritiker bezweifeln, ob sich al-Scharaa wirklich fundamental gewandelt hat. Eine Alternative zu ihm gibt es allerdings nicht. Westliche Staaten sehen in ihm den Einzigen, der das nach fast 14 Jahren Bürgerkrieg gespaltene Land einen könnte. Dass ihm das gelingt, ist nicht ausgemacht. Ein Rückfall in den Krieg bleibt eine reale Gefahr.
Bürgerliche Kinderstube
Dass westliche Regierungen eines Tages auf al-Scharaa setzen würden, war kaum absehbar. In einem Interview des US-Senders PBS räumte er 2021 ein, seine Organisation habe in Syrien auch Selbstmordattentäter gegen militärische Ziele eingesetzt. Dass Zivilisten zu Schaden gekommen seien, dementierte er. „Unsere Verbindung zu Al-Kaida in der Vergangenheit war eine Phase – und sie ist beendet“, sagte er damals. „Selbst in jener Zeit, als wir mit Al-Kaida verbunden waren, waren wir gegen Angriffe im Ausland. Es widerspricht vollkommen unserer Politik, von Syrien aus externe Operationen durchzuführen, um europäische oder amerikanische Zivilisten anzugreifen. Das war nie Teil unserer Überlegungen.“

Der russische Präsident Wladimir Putin und der syrische Übergangspräsident Ahmed al-Scharaa gaben sich während ihres Treffens im Großen Kremlpalast die Hand.
Copyright: Alexander Zemlianichenko/Pool AP/dpa
In diesem Interview gab al-Scharaa auch Einblick in seine persönliche Geschichte: Seine Familie stammt von den Golanhöhen und wurde nach der israelischen Besetzung vertrieben. Sein Vater war arabischer Nationalist und mehrfach inhaftiert, er ging schließlich nach Saudi-Arabien. In der Hauptstadt Riad kam 1982 al-Scharaa zur Welt. 1989 kehrte die Familie nach Syrien zurück, al-Scharaa wuchs in einem bürgerlichen Viertel in Damaskus auf. „Es war überwiegend liberal“, sagte er. „Die islamische Ausrichtung war schwach – fast nicht vorhanden.“
Der Weg in die Religion
Politisiert worden sei er als junger Mann Anfang der 2000er-Jahre durch die Zweite Intifada, den gewaltsamen Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis, sagte al-Scharaa. „Dann riet mir jemand, in die Moschee zu gehen, dort zu beten und regelmäßig am Gebet in der Moschee teilzunehmen.“ Dort habe er gemerkt, „dass das Leben eine andere Bedeutung hat, eine andere als die rein weltliche“. Ihm hätten sich Fragen wie diese gestellt: „Wie können wir Gerechtigkeit erreichen? Wie können wir die Menschen von Unterdrückung befreien? Wie können wir Güte unter den Menschen verbreiten?“
Große Fragen, vor denen al-Scharaa nun auch als Übergangspräsident wieder steht. Ob es ihm gelingt, Frieden und Gerechtigkeit zu schaffen, wird darüber entscheiden, ob in Syrien eine neue Ära beginnt – oder ob das Land in die Gewalt zurückfällt.

