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Anführer lebte in KölnRussische Gruppen wenden sich gegen Putin und greifen Belgorod an

Lesezeit 4 Minuten
Russische Soldaten und Sicherheitsbeamte untersuchen ein Gebäude in Belgorod, das nach Kämpfen in der grenznahen Stadt zur Ukraine beschädigt wurde.

Russische Soldaten und Sicherheitsbeamte untersuchen ein Gebäude in Belgorod, das nach Kämpfen in der grenznahen Stadt zur Ukraine beschädigt wurde.

Zwei russische Einheiten attackieren aus der Ukraine heraus ihr eigenes Heimatland. Verbindungen zu Neonazi-Strukturen weisen sie zurück.

Es ist eine Demütigung für den russischen Präsidenten Wladimir Putin durch eigene Staatsbürger - und sie kommt ausgerechnet aus der Ukraine: Zwei russische Gruppen, die auf Seiten der Regierung in Kiew kämpfen, haben sich zu den Angriffen in der russischen Region Belgorod bekannt.

Während seit Beginn des Krieges für gewöhnlich russische Soldaten die Grenze zur Ukraine überqueren, sollen dieses Mal Kämpfer des „Russischen Freiwilligenkorps“ (RDK) und der „Legion Freiheit Russlands“ (LSR) aus der Ukraine auf russisches Staatsgebiet vorgedrungen sein. Das Signal: Nicht nur gelingt Putin kein Sieg in der Ukraine, er kann nicht einmal die eigenen Landesgrenzen schützen.

Es ist nicht das der erste Vorfall dieser Art: Bereits im März hatten RDK-Kämpfer aus der Ukraine heraus einen Angriff in der russischen Grenzregion Brjansk verübt. Der russische Präsident Wladimir Putin sprach damals von einem „Terrorakt“.

Ukrainischer Vorstoß in Belgorod: Führender RDK-Kämpfer wohnte in Köln

Wer steckt hinter den russischen Einheiten? Das RDK wird vom russischen Neonazi Denis Kapustin angeführt, der lange in Deutschland gelebt hat. Kapustin kam 2001 mit seiner Familie aus Russland nach Köln – offiziell als jüdischer Kontingentflüchtling, wie der „Spiegel“ 2019 recherchierte. In Köln war Kapustin, der bis heute unter dem Namen Denis Nikitin auftritt, Teil der Hooliganszene. Bis er 2019 aus Deutschland ausgewiesen und mit einer Einreisesperre für den Schengenraum belegt wurde, war Kapustin außerdem in der deutschen Neonazi- und Kampfsportszene aktiv. Er betreibt das Kampfsportlabel „White Rex“ und organisierte zahlreiche Kampfsportveranstaltungen in Deutschland und Osteuropa.

Kapustin beteiligte sich auch an der mehrfach verbotenen, von deutschen Neonazis organisierten Kampfsport-Veranstaltungsreihe „Kampf der Nibelungen“. Gleichzeitig kämpften auch deutsche Neonazis bei Kapustins Veranstaltungen in Russland. Lange Zeit galt der Russe als eine der wichtigsten Schlüsselfiguren in der internationalen rechtsextremen Kampfsport- und Hooliganszene. Mittlerweile lebt er schon seit mehreren Jahren in der Ukraine.

Wenngleich die Kreml-Propaganda die Rolle von Rechtsextremen in der Ukraine und auch im ukrainischen Militär maßlos übertreibt, gibt es schon seit 2014 enge Verbindungen auch deutscher Neonazis zu ukrainischen Rechtsextremen, die sich teilweise an Kampfhandlungen in der Ostukraine beteiligt haben.

Angriffe auf Belgorod: Legionäre weisen Verbindungen zu Neonazis zurück

Das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) hat Kapustins Stellvertreter mit dem Kampfnamen Alexander Fortuna kurz nach dem Angriff in Brjansk im März getroffen. Der 40-jährige Familienvater mit den kurzen blonden Haaren und den blauen Augen trug beim Gespräch in einem Hotel in Kiew eine Pistole im Holster über dem Rollkragenpulli. Auf seinem Kopf saß eine karierte Baskenmütze, gelächelt wurde selten.

Fortuna stammt aus dem russischen Nowosibirsk, ist aber mit einer Ukrainerin verheiratet und hat zwei kleine Kinder. Russland hat er nach seinen Angaben 2017 verlassen, seitdem lebt er in der Ukraine. Ob er seine Heimat vermisse? Fortuna antwortete in Anspielung auf den Vorstoß seines Trupps in Brjansk, wo er auf einem Video mit Kapustin zu sehen war: „Ich war doch gerade erst da.“

Fortuna dementierte, dass es sich bei den Kämpfern seiner Einheit um Neonazis handele. „Manche werfen uns vor, Neonazis zu sein, aber das ist nicht wahr“, sagte er dem RND. „Wir sind traditionell rechts-konservativ.“ Fortuna sagte, Kapustin und er gehörten zu den Mitgründern des Freiwilligen-Korps, das im vergangenen August ins Leben gerufen worden sei und mehrere Hundert russische Kämpfer umfasse. Nach seinen Worten ist das RDK formell durch die ukrainische Armee anerkannt.

„Wir haben eine umfassende Liste an Zielen und arbeiten mit vielen anderen Einheiten zusammen. Unsere Befehle kommen vom Verteidigungsministerium (in Kiew). Auf dem Territorium der Ukraine folgen wir den Befehlen des Verteidigungsministeriums, hinter der Grenze den Befehlen unseres Kommandeurs.“ Das Verteidigungsministerium in Kiew bestätigt, dass das RDK Teil der Internationalen Legion der ukrainischen Streitkräfte ist.

Angriffe auf Belgorod und Brjansk: Ukraine weist Verantwortung von sich

Für die Angriffe in Brjansk und Belgorod hat die ukrainische Regierung jede Verantwortung zurückgewiesen. Alexei Baranovskii ist Sprecher des politischen Flügels der LSR, er sagte dem RND im März, zwischen der liberalen Legion und der rechten RDK gebe es zwar ideologische Differenzen. „Aber uns verbindet dasselbe Ziel. Das Wichtigste ist, Putin zu stürzen.“

Auch die LSR verfüge über Hunderte russische Kämpfer. Für die ukrainische Armee ende der Krieg, wenn die russischen Truppen hinter die Grenzen von 1991 zurückgedrängt worden seien. „Für uns ist der Krieg dann aber noch nicht beendet. Wir werden nach Moskau marschieren, Putin bestrafen und das Regime auswechseln“, betonte der 42-Jährige im Interview. Er hoffe, dass sich dann ukrainische Kämpfer anschließen würden, „die den Kreml brennen sehen wollen“.

Fortuna reicht der Sturz Putins nicht. Russland benötige einen noch radikaleren Wandel, sagte er im März. „Wir wollen alles verändern.“ Wie Russland dann seiner Ansicht nach aussehen solle, dazu machte er keine konkreten Angaben. „Das soll die Gesellschaft entscheiden.“ Er persönlich sei pessimistisch, sagte Fortuna. „Ich glaube, es wird Bürgerkrieg geben.“ (RND)

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