Union, AfD, Faeser und neue Chancen?Diese sieben Erkenntnisse bleiben nach den Wahlen in Bayern und Hessen

Lesezeit 4 Minuten
NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (l.) beglückwünscht CSU-Chef Markus Söder nach dem Wahlsieg in Bayern – die CSU musste allerdings auch Verlust hinnehmen.

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (l.) beglückwünscht CSU-Chef Markus Söder nach dem Wahlsieg in Bayern – die CSU musste allerdings auch Verlust hinnehmen.

Die Landtagswahlen in Bayern und Hessen haben die Dimension von Midterms – also wie in den USA der Stimmungstest zur Hälfte der Wahlperiode. Das Misstrauensvotum der Wählerinnen und Wähler gegen die Ampelparteien ist eindeutig. Nun fragt sich, ob die abgestraften Parteien auch die Kraft haben, ebenso eindeutige Konsequenzen zu ziehen.

Die Defizite der Parteien der demokratischen Mitte, also SPD, Grüne, Liberale und Union, liegen auf der Hand. Die Wahlen in Bayern und Hessen haben dies noch einmal offenbar werden lassen. Eine Analyse in sieben Punkten:

1. Der Vertrauensverlust der Ampel auf Bundesebene ist dramatisch

Umfrageinstitute schreiben es schon seit Wochen: Das Vertrauen der Bevölkerung in die Bundesregierung ist auf einem Tiefpunkt angekommen. Verantwortlich ist nicht nur der Umstand, dass sich SPD, Grüne und Liberale seit zwei Jahren ständig gegenseitig schlechtmachen. Neben den politischen Stilfragen hat sich auch die Lebenssituation vieler Menschen durch die Inflation verschlechtert, während die Umsetzung des im Koalitionsvertrag versprochenen Fortschritts auf sich warten lässt. Zudem hat die Bundesregierung in Zeiten von Krieg und Inflation die Bürgerinnen und Bürger beim Klimaschutz insbesondere mit dem Heizungsgesetz überfordert.

2. Die SPD hat mit Nancy Faeser ein zusätzliches Problem

Die Wahlergebnisse der Sozialdemokraten in Hessen und Bayern sind ein Desaster. In beiden Ländern fährt die SPD ein historisch schlechtes Ergebnis ein. Die Parteispitze hatte alle Warnungen in den Wind geschlagen, dass es keine gute Idee ist, die Bundesinnenministerin zur Spitzenkandidatin zu machen.

Innenministerin Nancy Faeser (l) und Bundeskanzler Olaf Scholz nach der Wahlschlappe in Hessen.

Innenministerin Nancy Faeser (l) und Bundeskanzler Olaf Scholz nach der Wahlschlappe in Hessen.

Zumal diese erklärt hatte, sich nicht gänzlich Hessen zu verschreiben, sondern nur im Fall eines Wahlsiegs als Ministerpräsidentin nach Wiesbaden gehen zu wollen. Das kam vor Ort offensichtlich nicht gut an. Nun soll Faeser, die als Innenministerin bisher eine gemischte Bilanz vorzuweisen hat, im Amt bleiben. Die Opposition wird nicht aufhören, sie als Lame Duck darzustellen.

3. Der Union droht eine Zerreißprobe

Die Botschaft des Wahlergebnisses in Hessen ist eindeutig. Mit Boris Rhein hat nach Daniel Günther in Schleswig-Holstein, nach Hendrik Wüst in NRW und nach Kai Wegner in Berlin zum vierten Mal ein Mann der Mitte für die CDU in einem Bundesland gewonnen. Rhein, der in Hessen mit den Grünen koaliert, hatte sich im Wahlkampf gegen den Anti-Grünen-Kurs von Parteichef Friedrich Merz abgesetzt.

Auch CSU-Chef Markus Söder hat es offensichtlich nicht geholfen, dass er vor allem gegen die Grünen gewettert hat. Derweil gibt es in Bayern mit AfD und Freien Wählern inzwischen zwei Parteien rechts der CSU. Im kommenden Jahr muss die Union entscheiden, ob sie mit einem Mann der Mitte ins Rennen um die Kanzlerkandidatur geht oder ob es mit Merz oder Söder ein Kandidat wird, der immer wieder auch rechtspopulistische Töne anschlägt, ohne freilich damit den Rechtspopulisten das Wasser abzugraben.

4. Der Zeitgeist dreht sich gegen die Grünen

2021 waren die Grünen mit einer eigenen Kanzlerkandidatin angetreten. Der damalige Co-Parteichef Robert Habeck frohlockte mit Fridays for Future im Hintergrund, dass die Zeit der Grünen und ihrer Ideen einfach gekommen sei. Mit dem Regierungsstart kam die Ernüchterung. Klimaschutz ist nicht zum Volkssport geworden.

Im Gegenteil, mit dem handwerklich schlecht gemachten und politisch miserabel kommunizierten Heizungsgesetz haben die Grünen unglaublich viel Kredit verspielt. Die Aktionen der Letzten Generation, mit denen die Grünen nichts zu tun haben, sorgt zusätzlich in der Bevölkerung für Widerwillen gegen Klimaschutzmaßnahmen. Der Ton gegenüber den Grünen ist in Teilen der Union und Teilen der FDP, bei AfD und Freien Wählern, regelrecht aggressiv geworden.

5. Die AfD ist auch im Westen angekommen

In Bayern und Hessen ist die AfD zweitstärkste Kraft geworden. Sie hat in den westdeutschen Bundesländern noch nicht die Kraft für eine Blockademehrheit in den Parlamenten, wie sie bei den Wahlen in den drei ostdeutschen Bundesländern im kommenden Jahr droht. Die Wahlergebnisse in Bayern und Hessen zeigen aber, dass die vom Verfassungsschutz beobachtete, in Teile erwiesen rechtsextreme Partei vom äußersten rechten Rand gefährlich weit in die Mitte der Gesellschaft im Osten wie im Westen vorgedrungen ist. Konsequente Aufklärung über das, was die AfD politisch wirklich im Programm hat, und eine Politik, die schneller zu konkreten Ergebnissen kommt, könnte dem Erfolg der AfD Einhalt gebieten.

6. Die Liberalen sind existenziell bedroht

In Bayern sind die Liberalen im hohen Bogen aus dem Landtag geflogen. In Hessen war es eine Wackelpartie. In einem internen Schreiben, das dem RND vorliegt, kündigt Parteichef Christian Lindner eine „Bestandsaufnahme der Regierungsarbeit“ an und stellt sehr diskret die Sinnfrage.

Viele Wählerinnen und Wähler der FDP haben ihr Kreuz mal bei den Liberalen gemacht, um Rot-Grün zu verhindern, und nicht, um denen die Macht zu sichern. Der Wählerschwund der FDP ist also nicht nur eine Frage der politischen Performance, sondern auch eine der grundsätzlichen Ausrichtung der Bundesregierung.

7. Kleine Parteien und neue Bewegungen haben zurzeit gute Chancen

Der Erfolg der Freien Wähler in Bayern ist zum Teil mit einer Solidarisierung jener Bürgerinnen und Bürger zu erklären, die Parteichef Hubert Aiwanger zu Unrecht wegen des antisemitischen Flugblatts aus seiner Jugendzeit am Pranger sahen. Zugleich ist die demokratische Mitte zurzeit so schlecht aufgestellt, dass sich die Wählerschaft nach anderen Gruppierungen umschaut. Die Freien Wähler haben auch in Hessen zugelegt. Sollte Sahra Wagenknecht in den nächsten Wochen doch eine eigene Partei gründen, hätte auch sie gute Chancen, bei den nächsten Wahlen abzusahnen.

KStA abonnieren