BSW, AfD und Werte-UnionWird 2024 das Jahr der Populistinnen und Populisten?

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Sahra Wagenknecht, Bundestagsabgeordnete, spricht anlässlich der Konstituierung der Gruppe „Bündnis Sahra Wagenknecht - Für Vernunft und Gerechtigkeit“ auf einer Pressekonferenz.

Die frühere Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht will am Montag, 8. Januar, ihr bisher als Verein bestehendes Bündnis Sahra Wagenknecht offiziell machen. (Archivbild)

Kriege, Krisen und die schlechte Perfomance der Ampel verschaffen vor allem rechten Parteien Auftrieb. Nicht nur die AfD will die Frustrierten sammeln.

Erst vor knapp einem Monat wurde Thomas Geisel für seine 40-jährige Mitgliedschaft in der SPD geehrt. Am Tag seines Abiturs 1983 trat der Schwabe in die Partei Helmut Schmidts ein. Bei den Geisels gehörte das zur Familientradition, sein Vater Alfred war SPD-Abgeordneter im Stuttgarter Landtag, 16 Jahre lang dessen Vizepräsident. Schwester Sofie kandidierte 2022 für die SPD gegen den früher grünen Populisten Boris Palmer für das Oberbürgermeisteramt von Tübingen.

Und zum Populisten ist nun auch ihr zehn Jahre älterer Bruder Thomas geworden. Von Schwaben war er in die NRW-Landeshauptstadt Düsseldorf gezogen, amtierte für die SPD sechs Jahre als Stadtchef – und hat nun angekündigt, gemeinsam mit dem Finanzpolitiker Fabio De Masi die Liste zur Europawahl von Sahra Wagenknechts neuer Partei BSW anführen zu wollen.

Sozialdemokraten in der SPD von heute „heimatlos“

Er werde sein „Leben lang Sozialdemokrat bleiben“, hatte Geisel bei der Ehrung zur 40-jährigen SPD-Mitgliedschaft gesagt. Doch Sozialdemokraten in der Tradition Willy Brandts und Helmut Schmidts seien in der SPD von heute „heimatlos“.

In einer vierseitigen Abrechnung mit seiner früheren Partei wirft Geisel der SPD Versagen auf allen Politikfeldern vor, insbesondere in der Gesellschafts- und Migrationspolitik. Auch deswegen hätten „viele Menschen die Hoffnung aufgegeben, dass Politik noch irgendetwas Gutes bewirken“ könne. „Sie begeben sich in innere Emigration, begegnen der Politik mit Wut oder Sarkasmus und wählen Protest oder gar nicht.“

Nie gab es so viele Enttäuschte

Damit trifft Geisel einen zentralen Punkt dieses Winters: Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik gab es so wenig Vertrauen für die etablierten politischen Kräfte, selten war der Unmut unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen so groß und heftig – und so viele Enttäuschte und politisch Heimatlose auf der Suche nach einem neuen Angebot. 2023, so schrieb es das Meinungsforschungsinstitut Forsa gerade, war das Jahr der in Teilen rechtsextremen AfD, die einen bisher unaufhaltsamen Aufstieg hinlegte.

Welche Konkurrenz bekommen die Truppen um Björn Höcke und Alice Weidel, um Maximilian Krah und Tino Chrupalla in diesem Jahr? Wird 2024 das Jahr der Populisten?

„Die momentane Unzufriedenheit in weiten Teilen der Bevölkerung befördert in einer Welle populistische Parteien nach oben“, sagt Ursula Münch, Politikwissenschaftlerin und Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Diese Unzufriedenheit hat ja durchaus auch ihren Anlass. Die Leute schimpfen nicht einfach aus heiterem Himmel über die Regierung. Es gibt manifeste Krisen, die Bundesregierung agiert nicht geschlossen genug, um den Leuten das Gefühl zu geben, gut regiert zu werden. Das ist die ideale Konstellation für Populisten und für Extremisten. Eine bessere Ausgangslage können sie sich gar nicht wünschen.“

Diese Mühseligen und Beladenen will Geisel nun an der Seite Sahra Wagenknechts einsammeln. Am Montag wird ihre Partei „Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit“ offiziell gegründet und in der Bundespressekonferenz vorgestellt. Am 27. Januar folgt der Gründungsparteitag im Ostberliner Kino Kosmos.

Ambitionierter Fahrplan

Der Fahrplan steht fest – und er ist ambitioniert: Direkt nach der Gründung am Montag sollen die ersten 400 Mitglieder ins BSW aufgenommen werden und auch direkt und damit fristgerecht die Einladungen zum Parteitag bekommen. Dort soll dann in nur einem Tag die Europaliste – mit Geisel und De Masi an der Spitze, aber ohne Wagenknecht selbst – gewählt und ein Programm beschlossen werden. „Wir versuchen, an einem Tag das zu machen, wofür andere Parteien drei bis vier Tage brauchen“, sagt Schatzmeister Ralph Suikat dem RND. Finanziell steht das BSW nicht schlecht da: Der Vorläuferverein hat in den drei letzten Monaten des Jahres 2023 insgesamt 1,4 Millionen Euro eingesammelt, so Suikat.

Politikwissenschaftlerin Münch sieht im BSW eine Kraft, die „durchaus das Potenzial hat, mehr zu sein als nur ein Egotrip“ Wagenknechts. Aber das sei an viele Bedingungen geknüpft, allen voran die Fähigkeit, eine flächendeckende Parteiorganisation aufzubauen. „Sahra Wagenknecht muss genügend Mitstreiterinnen und Mitstreiter finden, die eine gewisse Strahlkraft haben, zumindest aber ein großes Organisationstalent, und gleichzeitig ihre Führungsrolle akzeptieren.“

Auch rechts der Mitte soll noch in diesem Monat eine neue Partei entstehen – wie bei Wagenknecht soll ein Verein die Basis bilden: Der frühere Verfassungsschutzpräsident und CDU-Bundestagskandidat Hans-Georg Maaßen will den von ihm geführten Verein Werteunion in eine Partei umwandeln. Über diesen Schritt war seit Monaten spekuliert worden. In der vergangenen Woche bestätigte Maaßen die Pläne. Die Mitglieder der Werteunion sollen am 20. Januar in Erfurt darüber abstimmen, ob der Verein in „Werteunion Förderverein“ umbenannt und der Vorstand mit der Gründung einer Werteunion-Partei beauftragt wird.

Die Werteunion war ursprünglich als Sammelbecken des rechtskonservativen Flügels von CDU und CSU gegründet worden, hat sich aber in den vergangenen Jahren immer weiter von den Unionsparteien entfremdet. Auf X (früher Twitter) schrieb der Verein kurz nach dem Jahreswechsel, Friedrich Merz verweigere „die Rückbesinnung auf konservative Werte“ und setze „den merkelschen Linkskurs der CDU fort“. „Wer diese CDU wählt, wählt den Untergang Deutschlands“, hieß es dort weiter.

Lücke zwischen CDU und AfD?

Bei der Bundestagswahl 2021 war Maaßen noch als Direktkandidat für die CDU in Südthüringen angetreten. Im vergangenen Jahr leitete die CDU dann jedoch ein Parteiausschlussverfahren gegen ihn ein.

Maaßen sieht eine Repräsentationslücke für Wähler, denen die CDU nicht konservativ genug und die AfD zu weit rechts ist. Aber gibt es eine solche Lücke überhaupt? Ursula Münch glaubt das nicht. „Die meisten Parteineugründungen in Deutschland scheitern, und von der Schwäche der etablierten Kräfte versuchen viele zu profitieren, die bereits am Markt sind, etwa die Freien Wähler“, sagt sie. „Die CDU richtet sich unter Friedrich Merz neu aus und bespielt auch die zurzeit gefragten populistischen Töne und besetzt konservativere Positionen. Wenn es eine Repräsentationslücke gibt, wird sie jedenfalls zurzeit kleiner.“ Einen Erfolg von Parteineugründungen im rechtskonservativen Milieu hält Münch für unwahrscheinlich.

Maaßen möglicherweise mit Chancen in Thüringen

Die Werteunion soll nach den Vorstellungen von Maaßen und Krall bei den in diesem Jahr anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg antreten. Am ehesten könnte es der neuen Partei wohl in Thüringen gelingen, die Fünfprozenthürde zu überspringen. Dort könnte Hans-Georg Maaßen als bekanntestes Aushängeschild der Werteunion die Partei als Spitzenkandidat in den Wahlkampf führen.

Die AfD ist in Thüringen nicht nur besonders rechtsextrem. Die letzten Wahlumfragen der Institute Insa und Infratest dimap sahen sie mit bis zu 34 Prozent auch mit Abstand an der Spitze der bisher im Landtag vertretenen Parteien. Sollte es der Werteunion gelingen, vor allem Wählerinnen und Wähler der CDU abzuwerben, würde eine mögliche Regierungsbeteiligung der AfD damit zumindest näher rücken. Die Werteunion hat bereits deutlich gemacht, dass sie keine Brandmauern kennt und Koalitionen mit der AfD nicht ausschließt.

Werteunion zwischen AfD und Union einzuordnen

Allein bewegt sich die Werteunion im politischen Feld zwischen Union und AfD nicht: Bereits im Jahr 2022 wurde die Partei Bündnis Deutschland gegründet, die inhaltlich ein ähnliches Profil hat wie die Werteunion. In Bremen ist die Partei bereits mit einer eigenen Fraktion in der Bürgerschaft vertreten – weil die Abgeordneten der Wählervereinigung Bürger in Wut nach der Wahl im vergangenen Jahr zum Bündnis Deutschland wechselten.

Die Wählervereinigung war besonders deshalb erfolgreich, weil die AfD bei der Bürgerschaftswahl nicht antreten durfte. Zumindest dort gab es deshalb tatsächlich eine Repräsentationslücke. In anderen Landesparlamenten und im Europaparlament sind im vergangenen Jahr einzelne ehemalige AfD-Abgeordnete dem Bündnis Deutschland beigetreten.

AfD gibt sich betont gelassen

Werden Bündnis Deutschland und die Werteunion künftig zu Konkurrenten – oder verschmelzen sie gar zu einer gemeinsamen Partei? Der Parteivorsitzende Steffen Große sagt dazu: „Bündnis Deutschland könnte Teil oder Plattform einer neuen Partei werden. Das ist offen.“ Die Gespräche darüber, was der „beste gemeinsame Weg zur Bündelung der konservativen Kräfte“ sei, liefen weiter.

In führenden AfD-Kreisen gibt man sich demonstrativ gelassen ob der neuen Konkurrenz. Diese werde scheitern wie die politischen Projekte der ausgetretenen Ex-AfD-Chefs Björn Lucke, Frauke Petry und Jörg Meuthen, heißt es in der Bundesspitze. Auch vor Wagenknecht hat man demonstrativ keine Angst. Ist das nur ein Pfeifen im Walde?

Bündnis Dorfliebe protestiert gegen AfD

„Die AfD etabliert sich in den ostdeutschen Ländern in den Kommunen, das ist ein Nachteil für Wagenknecht“, analysiert Münch. „Ihr Bündnis kann bisher nur mit der rhetorischen Fähigkeit ihrer Frontfrau punkten. Mit welchen Themen sie einen Wahlkampf gegen diese starke Konkurrenz AfD führen möchte, da bin ich neugierig.“

Bereits am kommenden Sonntag könnte die in Thüringen als gesichert rechtsextrem eingestufte AfD einen ersten Erfolg einfahren: Im Saale-Orla-Kreis wird ein neuer Landrat gewählt. Beobachtende rechnen mit einer Stichwahl zwischen AfD und CDU. Am vergangenen Samstag demonstrierte in der Kreisstadt Schleiz ein Bündnis namens Dorfliebe für alle gegen die AfD. „Es ist Zeit, Gesicht zu zeigen und aktiv zu werden“, heißt es im Aufruf. Ein Motto, das im Wahljahr 2024 noch öfter aufscheinen wird.

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