Spaßpartei im WahlkampfWarum Die Partei den Kançler stellt

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Die Partei

Im Schattenkabinett der Partei sind auch zwei Kölner: „Kançlerkandidat“ ist der Comedian Serdar Somuncu (3. von links), der Kriminalbiologe Mark Benecke (r.) wurde als „Minister für Tattoos und Tierschutz“ benannt.

Berlin – So ein Parlament ist eine viel zu ernste Sache für eine Spaßpartei, findet Martin Sonneborn. Deshalb werde seine „PARTEI“ mit aller Kraft zu verhindern versuchen, dass der FDP der Wiedereinzug in den Bundestag gelingt.

Sonneborn, 52, ist in Deutschland längst nicht mehr nur als Satiriker und „Titanic“-Herausgeber bekannt, sondern auch als Politiker neuen Typs: Sage und schreibe sechs von zehn Wahlberechtigten kennen die von Sonneborn 2004 mitgegründete und heute von ihm als Bundesvorsitzendem angeführte „Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative“ (PARTEI).

Ein-Prozent-Hürde genommen

Das ergab eine Umfrage der Meinungsforscher von YouGov zur Bundestagswahl. „Vier von zehn können sich sogar vorstellen, uns zu wählen“, sagt er in seinem typischen Politikerdarstellerton am Telefon.

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Die Umfragen zeigen, dass die PARTEI viele jüngere und gut gebildete Wähler anspricht; bei früheren Wahlen halfen sie ihr in bestimmten Großstadtwahlkreisen schon über die Ein-Prozent-Hürde. Wie kann es sein, dass ausgerechnet diese begehrte Zielgruppe ihre Stimmen so wegwirft? Das sieht Sonneborn natürlich anders – und darin steckt auch die Erklärung für die zunehmenden Erfolge. Sicher, die meisten ihrer Auftritte sind schrill, überzogen, absurd inszeniert – wie jüngst in Berlin-Kreuzberg die Vorstellung des Schattenkabinetts. Da soll Bela B., 54, der Schlagzeuger der Punkband „Die Ärzte“, Gesundheitsminister werden. Und der deutschtürkische Satiriker Serdar Somuncu, 49, nicht Kanzler, nein: „Kançler!“ Begründung Sonneborns: „Warum nicht mal ein Türke?“

„Siegesgewiss wie die SPD“

Die Pressekonferenz ist eine groteske Inszenierung voller Pöbeleien, Altherrenwitzen und kruden Wahlversprechen. „Wir sind genauso siegesgewiss wie die SPD“, sagt Sonneborn und verspricht „mindestens doppelt so viel Gerechtigkeit“ wie die Sozialdemokraten. Somuncu will nach seinem Wahlsieg einen gescheiterten Putsch inszenieren und verspricht, das Erfolgsrezept Donald Trumps kopierend, auf Kosten der Ostdeutschen die Mauer wieder aufzubauen.

Den Ruf einer Spaßpartei hat die PARTEI bei vielen Jungwählern trotzdem – oder deshalb – überwunden. Denn nicht nur Sonneborn tritt mit der Verbindlichkeit einer Kunstfigur an, die ständig aus der Rolle fällt – sodass man zwischen Ironie und Systemkritik selten unterscheiden kann. Auch Programmatik, Aktionen und Wahlplakate agieren in diesem Graubereich – sodass viele von den Bundestagsparteien angeödete Jungwähler überrascht feststellen, dass der „Wahlomat“ ihnen die Satire-Partei empfiehlt.

Busen und Baguettes

Das liegt daran, dass Satire zwar das Mittel der Wahl der PARTEI ist – der Kern dahinter aber doch ein ernsthaftes Anliegen. So zeigt ihr TV-Wahlwerbespot zwar nur halbnackte PARTEI-Mitglieder mit blankem Busen und Baguettes in Penisform. Aber: „Wir wollten damit die unglaubliche Obszönität der Verflechtungen von Politik und Automobilwirtschaft übertreffen“, sagt Sonneborn. Ähnlich erklärt Somuncu seine Kandidatur: „Das mag für den einen oder anderen albern sein – für mich ist albern, was ich bei den etablierten Parteien sehe.“ Sonneborn sagt, man habe die Partei für „intelligente Protestwähler“ gegründet.

Er selbst schaffte es zehn Jahre später wegen der abgeschafften Einzugshürde ins EU-Parlament – und erreichte mit Videos seiner Schmäh- und Scherz-Plenarreden gegen Erdogan, Oettinger und die verschwenderische Bürokratie Millionen Internet-User. Indem sie mit Geldscheinen handelte (einen Hunderter für 105 Euro) parodierte die Partei nicht nur den Goldhandel der AfD – sie legte auch den windigen Handel mit staatlicher Parteienfinanzierung offen. Die wurde daraufhin vom Bundestag geändert. Statt eines Dankes bekam die PARTEI eine Strafzahlung aufgebrummt – wegen des „Geldhandels“. Seitdem steht sie kurz vor der Pleite, schon deshalb sei eine Stimme für sie nicht umsonst, so der Chef: Sobald sie bundesweit über 0,5 Prozent kommt, steht ihr staatlicher Zuschuss zu.

Freie Wähler und Familienpartei

Freie Wähler

Sachorientiert, ideologiefrei und wertkonservativ – so beschreiben sich die „Freien Wähler“ selbst. „Bürgernähe ist unser zentrales Motiv. Alles andere finden wir unanständig“, sagt Parteisprecher Eike Jan Brandau. In ihrem Bundestagswahlprogramm – das in Anspielung an die AfD den Titel „Die anständige Alternative“ trägt – bekennen sich die Freien Wähler zu sieben Grundwerten: Gemeinschaft und Respekt, Anstand und Ordnung, Sicherheit und Stabilität, Ehrlichkeit und Fleiß, Familie und Ehe, Demokratie und Bürgertum sowie Region und Heimat.

„Deutschland ist eine einzige Großbaustelle“, sagt Spitzenkandidat Hubert Aiwanger. Handlungsbedarf bestehe bei der Daseinsvorsorge. „Es muss endlich Schluss sein, wichtige Bereiche zu privatisieren“, fordert die Partei, die sich im klassischen Parteienschema schwer verorten lässt.    Außenpolitisch sind die gemeinsamen Wurzeln mit der AfD noch erkennbar: Euro-Rettungsschirme lehnen die Freien Wähler ab, befürworten den Ausstieg von Krisenländern aus dem Euro.   Ihren politischen Schwerpunkt hat die Partei in Bayern. Schon seit 1998 sind die Freien Wähler im Münchner Landtag vertreten. (sf)

Familien-Partei

Vor drei Jahren erregte die im Saarland gegründete Kleinpartei (600 Mitglieder) Aufsehen mit ihrem Einzug ins Europa-Parlament.  Zentrales Motiv ist die Stärkung der politischen Bedeutung der Familie. „Sie ist der Grundstein der Demokratie“, sagt Parteichef Helmut Geuking.   In ihrem Wahlprogramm spricht sich die Partei dafür aus, dass Fürsorge für Alte und Kinder von der Familie wahrgenommen wird. Die Kindererziehung soll rechtlich und finanziell der regulären Erwerbsarbeit gleichgestellt werden.  Das Ehegattensplitting wiederum verurteilt die Partei scharf: „Alleinerziehende werden benachteiligt und systematisch in die Armut getrieben“, sagt Geuking.   Das Leitmotiv Familie dominiert auch die wirtschaftspolitischen Vorstellungen. Hier wird die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie durch Heimarbeit, Arbeitszeitflexibilisierung und  Teilzeittätigkeiten gefordert.

Als konservativ mag die Partei trotz der Betonung der Rolle der Familie für Staat und Gesellschaft nicht gelten: „Wir sind eine Partei der politischen Mitte“, so Geuking. Für Nichtwähler biete sie ein „sinnvolles Angebot“, für Protestwähler eine „konstruktive Alternative zu den etablierten Parteien“.  (sf)

Demokratie in Bewegung und Piraten

Demokratie in Bewegung

Der Bundesvorsitzende   der Partei Demokratie in Bewegung (DiB), Alexander Plitsch, möchte Schluss machen mit dem, was er Stillstand nennt. „Es gibt große Umbrüche in unserer Gesellschaft, aber die großen Utopien fehlen in der Politik“, sagt er. Seine Partei will das ändern. „Junge Menschen wollen etwas machen, haben aber das Gefühl, dass Parteien der falsche Ort sind“, so Plitsch. Deswegen möchte er die Art verändern, wie Parteien Politik angehen.  „Die besseren Lösungen entstehen, wenn sich alle Gruppen einmischen.“  Deshalb sollen nicht nur die 250 Mitglieder über Inhalte entscheiden. Einfluss nehmen kann jeder, online, in einer Art Diskussionsforum. „Marktplatz der Ideen“ nennt sich das im DiB-Sprech. 

Den Internet-Auftritt zieren Zitate von Pharrell Williams, man lehnt sich an Zeilen alter Bob-Marley-Songs an. „Politik braucht mehr Pop – zumindest, wenn sie begeistern will“, sagt Plitsch. In den vergangenen zwei Wochen sei keine Partei schneller in den sozialen Medien gewesen als DiB. Da spiele es keine Rolle, wo genau man sich verortet. „Diese klassischen Links-Rechts-Spielchen braucht es nicht mehr“, sagt Plitsch. „Für uns zählt: Hauptsache progressiv.“ (nsc)

Piratenpartei

Es gibt sie noch: Die Piratenpartei tritt zur Bundestagswahl an. Selbstverständlich ist das  nicht. Im Mai schied die Partei aus dem letzten Landtag aus, in dem sie noch vertreten war.  Von der großen Bühne des Politikbetriebs sind  die  Piraten  verschwunden. Die Partei habe lernen müssen, eine „anständige Diskurskultur hinzubekommen“,   sagt Sebastian Alscher, einer der drei Spitzenkandidaten. Das selbst auferlegte Transparenzgebot und der offen ausgetragene Streit innerhalb der Partei hätten mitunter missverständlich gewirkt. Trotz aller internen Reformen sei das inhaltliche Fundament der Partei geblieben, meint Alscher: „Wir sind weiterhin eine sozial-liberale Partei, die sich für Freiheit und Grundrechte einsetzt.“

Und natürlich spiele die Digitalisierung weiterhin eine Rolle –  ein Thema, bei dem Alscher seiner Partei eine Pionierrolle zuschreibt. Er glaubt, dass die Digitalisierung alles verändern wird und will  mit seiner Partei positive Zukunftsszenarien entwerfen. Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens gehört dazu. „Wir brauchen künftig andere Wege, um Leistung zu definieren als über die Erwerbstätigkeit“, sagt Alscher. (nsc)

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