Ernstfall? Nein Danke!Deutlich mehr Soldaten der Bundeswehr verweigern Kriegsdienst

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Soldaten der Bundeswehr stehen auf dem Appellplatz. Zu sehen sind nur die Hosen und Stiefel der Soldaten.

Soldaten der Bundeswehr stehen auf dem Appellplatz. (Symbolbild)

Die russische Invasion in der Ukraine ist auch in der Bundeswehr spürbar. Mehr Soldaten als zuvor weigern sich, im Ernstfall in den Kampf zu ziehen.

Die Zahl der Kriegsdienst­verweigerer in der Bundeswehr hat sich im vorigen Jahr unter dem Eindruck des russischen Angriffs auf die Ukraine gegenüber dem Vorjahr fast verfünffacht. Das teilte ein Sprecher des Bundes­amtes für Familie und zivil­gesellschaftliche Aufgaben dem Redaktions­Netzwerk Deutschland (RND) mit. Kriegsdienst­verweigerer sind seit Aussetzung der Wehrpflicht 2011 ausschließlich Menschen, die schon bei der Bundeswehr Dienst tun.

„Im Jahr 2021 sind im Bundesamt für Familie und zivil­gesellschaftliche Aufgaben 201 Anträge auf Kriegsdienst­verweigerung eingegangen, im Jahr 2022 waren es insgesamt 951 Anträge“, sagte der Sprecher. Im September hatte die Zahl noch bei 657 gelegen. Damals hatte eine Sprecherin des Bundesamtes für das Personal­management der Bundeswehr überdies erklärt, dass auch „die tatsächlichen Bewerber­zahlen für den militärischen Dienst in der Bundeswehr seit Anfang 2022 rückläufig“ seien.

Truppe soll wachsen

Viele Kriegsdienst­verweigerer begründen ihre Anträge angesichts des Krieges gegen die Ukraine und einer möglichen Eskalation damit, dass sie mit einer kriegerischen Auseinander­setzung nicht gerechnet hätten. Die Anträge müssen beim zuständigen Karriere­center der Bundeswehr gestellt werden. Das leitet sie an das Bundesamt für Familie und zivil­gesellschaftliche Aufgaben weiter.

Für die Bundeswehr ist die Entwicklung schmerzlich – auch wenn sie sich, was die absoluten Zahlen angeht, auf einem niedrigen Niveau bewegt. Denn die Streitkräfte brauchen qualifiziertes Personal und konkurrieren darum mit der Wirtschaft und anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes. Zudem sollen sie nicht wie meistens seit 1990 weiter schrumpfen, sondern wieder wachsen, von jetzt 183.000 auf 203.000 Soldatinnen und Soldaten. Da fällt jeder Abgang ins Gewicht.

Verteidigungs­ministerin Christine Lambrecht (SPD) erklärte bei der jüngsten Bundeswehr­tagung deshalb, die Streitkräfte müssten „mehr qualifiziertes Personal gewinnen und auch halten“ sowie „Abbrecher­quoten weiter reduzieren“. „Ein Blick auf die Demografie zeigt, dass wir hier besser werden müssen“, betonte sie.

Anerkennung „extrem schwer“

Der Politische Geschäftsführer der „Deutschen Friedens­gesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen“, Michael Schulze von Glaßer, sagte dem RND hingegen: „Soldatinnen und Soldaten, die in dieser sicherheits­politisch brisanten Zeit zu der Erkenntnis kommen, doch nicht auf andere Menschen schießen und sie töten oder verletzen zu wollen, muss ein einfacher Ausweg aus der Armee geboten werden. Viele der heutigen Bundeswehr­angehörigen wurden mit Werbe­versprechungen in die Armee gelockt, die mit der Realität nichts zu tun haben. Nun sind viele unzufrieden, und es ist nachvollziehbar, dass sie die Armee verlassen wollen.“

Die Anerkennung als Kriegsdienst­verweigerer sei für aktive Soldatinnen und Soldaten extrem schwer, fuhr er fort. „Am Ende bleibt nur noch die Möglichkeit, zu desertieren.“ Bundeswehr und Bundes­regierung sollten jedoch kein Interesse an Soldatinnen und Soldaten haben, die innerlich bereits gekündigt hätten, und sie „daher freigeben“.

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