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„Der Arbeitgeber entscheidet“Chefarzt klagt wegen Abtreibungsverbot in seiner Klinik – Experte ordnet Rechtslage ein

4 min
Der Gynäkologe Joachim Volz zeigt vor dem Klinikum Lippstadt - Christliches Krankenhaus sein Mobiltelefon, auf dem seine Online-Petition zu sehen ist. Nach der Fusion zweier Krankenhäuser darf der Gynäkologe gemäß einer neuen Dienstanweisung des katholischen Trägers keine Schwangerschaftsabbrüche mehr durchführen. Dagegen wendet sich der langjährige Chefarzt mit einer Klage.

Der Gynäkologe Joachim Volz klagt gegen eine Dienstanweisung seines katholischen Klinik-Trägers, dass er nach der Fusion zweier Häuser keine Abtreibungen mehr durchführen darf. 

Der Bonner Arbeitsrechtler Gregor Thüsing sieht einen katholischen Krankenhausträger im Recht, der in seinem Haus Abtreibungen verbietet.

Herr Professor Thüsing, es gab im Streit über das kirchliche Arbeitsrecht schon einmal einen „Chefarzt-Fall“. Da ging es um die persönliche Lebensführung des Mediziners, dessen Kündigung durch ein katholisches Krankenhaus am Ende nicht rechtens war. Diesmal klagt ein Chefarzt, weil der katholische Träger seiner Klinik in Lippstadt nach der Fusion mit einem evangelischen Krankenhaus Abtreibungen verbietet. Darf der kirchliche Arbeitgeber das?

Der Fall in Lippstadt unterscheidet sich von allen anderen, die bisher vor die Arbeitsgerichte gebracht wurden. Da ging es nämlich letztlich um die Frage, ob die Ungleichbehandlung von katholischen und nicht-katholischen Arbeitnehmern rechtmäßig ist. Die europäische Rechtsprechung gibt da verbindliche Maßstäbe vor. Aber auf das Europarecht kommt es bei dem Chefarzt aus Lippstadt gar nicht an.

Sondern?

Der Arbeitgeber will nicht, dass Ärzte in seinem Krankenhaus Abtreibungen vornehmen – ganz egal, ob sie katholisch, evangelisch oder ungetauft sind. Da gibt allein deutsches Arbeitsrecht die Maßstäbe vor.

Gregor Thüsing, Arbeitsrechtler, Uni Bonn

Gregor Thüsing, Arbeitsrechtler, Uni Bonn

Und was sagt das deutsche Arbeitsrecht?

Die Ausgangslage ist ganz ungewöhnlich. Normalerweise schützt das Arbeitsrecht Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor unbilligen, unzumutbaren Anweisungen des Arbeitgebers und gibt ihnen gegebenenfalls das Recht, solche Anweisungen zu verweigern. In Lippstadt dagegen will der Arbeitnehmer – also der Chefarzt – etwas tun, was der Arbeitgeber gar nicht von ihm erwartet, im Gegenteil.

Mir fehlt die juristische Fantasie, wie der Arzt mit seiner Klage erfolgreich sein sollte.
Professor Gregor Thüsing

Genau. Er verbietet ihm Abtreibungen. Darum noch einmal: Darf der Arbeitgeber das?

Ganz einfach: Ja. Es ist nun mal so, dass der Arbeitgeber vertraglich und dann durch Weisung festlegt, welche Tätigkeit als Arbeitsleistung geschuldet sind – und wenn er bestimmte Tätigkeiten nicht abruft, dann sind diese zum einen auch nicht geschuldet, zum anderen hat der Arbeitnehmer kein Recht darauf, sie als Arbeitsleistung trotzdem zu erbringen. Oder anders: Was der Arbeitgeber nicht will, das braucht er nicht als Erfüllung von Arbeitspflichten hinzunehmen.

Der Arbeitgeber war allerdings bis vor Kurzem evangelisch – mit einer anderen Auffassung zum Thema Abtreibungen.

Das heißt aber nicht, dass das nach einem sogenannten Betriebsübergang so bleiben muss. Der neue Arbeitgeber kann das Weisungsrecht nach eigenem Ermessen ausüben und ist nicht daran gebunden, was vorher galt. Insofern fehlt mir wirklich die juristische Fantasie, wie der Arzt hier mit seiner Klage erfolgreich sein sollte. Aber ich lasse mich natürlich auch gern überraschen.

Das Lebensrecht des ungeborenen Kindes gehört zum Kernbestand der kirchlichen Lehre und des katholischen Ethos.
Professor Gregor Thüsing

Aber was ist dann mit der Tätigkeit des Chefarztes in seiner eigenen Privatpraxis? Selbst da, sagt die Klinik, soll er nicht machen dürfen, was er will.

Das ist die juristisch sehr viel spannendere Frage: Inwieweit erstreckt sich das Weisungsrecht des Arbeitgebers auch auf Nebentätigkeiten? Die Praxis liegt, soweit ich weiß, viele Kilometer vom Krankenhaus entfernt, sie hat also keine organisatorische Verbindung zum Hauptarbeitsplatz. Generell sieht das Arbeitsrecht vor, dass es einen sachlichen Grund, ein „legitimes Interesse“ geben muss, Nebentätigkeiten zu untersagen. Das ist als Begriff ausfüllungsbedürftig. Und ich bin sicher: Darum wird sich sehr viel eher die Diskussion im Prozess drehen.

Sehen Sie das „legitime Interesse“ denn gegeben?

Ja, weil der Arzt als Person unteilbar ist. Als Chefarzt bekleidet er eine herausgehobene Position, in der er auch für die Klinik steht. Und die hat als – jetzt – katholisches Haus ein berechtigtes Interesse daran, dass ihr leitender Mitarbeiter in seinem Dienst nichts tut, was dem katholischen Verständnis vom menschlichen Leben so diametral entgegenläuft wie eine Abtreibung. Das Lebensrecht des ungeborenen Kindes gehört zum Kernbestand der kirchlichen Lehre und des katholischen Ethos. Das muss das Krankenhaus ernst nehmen und es auch nach innen durchsetzen können.

Das ist hart zu hören in einer säkularen, pluralistischen Gesellschaft. 
Professor Gregor Thüsing

Die Pflicht des Arztes zu helfen, gehört aber auch fundamental zum Ethos der Medizin. Der Arzt macht geltend, die Vorgaben der Klinik bedeuteten de facto unterlassene Hilfeleistung.

Wo es um Leben und Tod der werdenden Mutter geht, schränkt der Arbeitgeber diese Pflicht nicht ein. Das ist wichtig und richtig. Nach katholischer Lehre ist eine Abtreibung bei Gefahr für Leib und Leben der Schwangeren zulässig – übrigens auch in Übereinstimmung mit dem deutschen Gesetz unabhängig von allen Fristen.

Bei einer Schwangerschaft als Folge einer Vergewaltigung oder auch bei schwerer Behinderung des sich entwickelnden Kindes liegt der Fall nicht mehr so klar.

Da sagt die Kirche: im Grundsatz keine Abtreibung, wenn dies nicht auch Leib und Leben der Mutter beeinträchtigt! Das ist hart zu hören in einer säkularen, pluralistischen Gesellschaft – aber wer eine Pluralität der Krankenhausträger haben will, der muss auch das hinnehmen. Katholische Krankenhäuser dienen der Nächstenliebe, die eben auch auf das ungeborene Leben gerichtet ist.

Der Kläger ist ja nun nicht mehr der Jüngste. Hätte die Klinik nicht sagen können, wir lassen die Kirche im Dorf stehen – den Arzt bald in den verdienten Ruhestand ziehen?

Als Jurist will und kann ich das nicht bewerten. Aber es sieht schon so aus, dass man sich nicht nur großes Aufsehen, sondern auch einen mutmaßlich langwierigen Rechtsstreit hätte ersparen können. Bis der in nächsten oder gar übernächsten Instanz entschieden ist, ist der Chefarzt wohl längst in Pension. Das Krankenhaus ist hier konsequenter, als es andere vielleicht gewesen wären.

Wie sehen Sie die grundsätzliche Bedeutung des Falls?

In den allgemeinen arbeitsrechtlichen Bahnen ist es schwer vorstellbar, dass man ein Recht auf bestimmte Tätigkeiten einklagen kann, die der Arbeitgeber nicht von einem will und die der Vertrag auch nicht ausdrücklich als Arbeitsleistung mit umfasst. Trotzdem kann ich mir vorstellen, dass dieser Fall bis zum Bundesarbeitsgericht geht – weniger wegen der juristischen als wegen der gesellschaftlichen Relevanz.


Zur Person

Gregor Thüsing, geb. 1971, ist Professor für Arbeitsrecht an der Universität Bonn und Mitglied im Deutschen Ethikrat. Er hat die katholische Kirche als Sachverständiger in verschiedenen arbeitsrechtlichen Verfahren vertreten, unter anderem im Fall des Düsseldorfer Chefarztes Romuald A., in dem es um die Weiterbeschäftigung als Geschiedener und Wiederverheirateter ging. (jf)