In der deutschen Öffentlichkeit polarisiert der ermordete rechtsradikale US-Aktivist Charlie Kirk ähnlich stark wie in seiner Heimat.
In Medien und PolitikDer deutsche Blick auf Charlie Kirk – von „Heiligsprechung“ bis „faschistisch“

Ikonenhafte Heiligenverehrung: ein Wandgemälde des ermordeten US-Aktivisten Charlie Kirk im israelischen Ashdod.
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Der am 10. September ermordete rechtsradikale US-Aktivist Charlie Kirk, an den die US-Regierung am Sonntag im Rahmen einer Trauerveranstaltung erinnert, war auch in deutschen Medien und sozialen Netzwerken das beherrschende Thema.
Schon die unterschiedliche Umschreibung des 31-Jährigen zeigt, wie aufgeladen und polarisiert dieses Thema ist – auch in Deutschland. Während öffentlich-rechtliche Medien wie ARD, ZDF oder Deutschlandfunk Kirk als „rechten“ oder „rechtskonservativen“ Aktivisten bezeichneten, war der Trump-Verbündete für andere Medien „rechtsextrem“ (Spiegel, Zeit), „rechtsradikal“ (Spiegel), „ultrarechts“ (FAZ, Spiegel, Zeit), „ultrakonservativ“ (Süddeutsche Zeitung), „rechtskonservativ“ (Süddeutsche Zeitung, Welt) oder einfach nur konservativ (Bild, Welt).
Diese Redaktion hat sich aufgrund der Aussagen und der politischen Ziele Kirks für den Begriff „rechtsradikal“ entschieden.
Tadel und Lob von Lobo
Der Publizist Sascha Lobo spart in seinem Podcast „Feel the News“, den er zusammen mit seiner Frau Jule Lobo betreibt, nicht mit Bewunderung für Kirks Vorgehen, auf „ziemlich einzigartige Art und Weise die jüngere Generation“ sowohl auf digitalem Wege als auch mit einer geschickten „Kombination von Online- und Offline-Events“ auf seine Seite gezogen zu haben.
Gleichzeitig kritisiert er, dass linke Kommentatoren für den Mordanschlag Verständnis gezeigt oder ihn „buchstäblich gefeiert“ hätten. Für Lobo ein Indiz „politischer Verrohung“, „eben nicht mehr nur der rechten Seite“. Deutlich kritisiert Lobo indes die politische Agenda Kirks, die nur „wenig andere Begriffe als ‚rechtsradikal‘“ zulasse.
„Ich glaube, dass alle dieses Labels immer etwas zu kurz greifen“, kritisiert die langjährige US-Korrespondentin des Handelsblatts, Annett Meiritz, daher im Podcast von Paul Ronzheimer. Überhaupt neige man in Deutschland dazu, vorschnell Label zu bedienen, so die Journalistin. Das verführe auch dazu, Debatten abzuwürgen.
Tatsache ist, dass Kirk sich selbst als „radikal“ bezeichnete. „Wenn man radikal so definiert, dass jemand innerhalb eines bestehenden Systems radikale Änderungen herbeiführt, dann war er radikal“, stimmt Meiritz zu. Kirk habe „innerhalb des amerikanischen Spektrums“ gewiss „auf der rechtskonservativen Seite“ gestanden, so die Handelsblatt-Korrespondentin, er war „ein christlicher Fundamentalist“, „mit Sicherheit ein Populist – ein Menschenfeind war er aber nicht“.
Kirk und seine teils unerträglichen Zitate
Es sind vor allem die von Charlie Kirk überlieferten Zitate, die dazu führen, dass ihn viele deutsche Beobachter außerhalb des demokratischen Diskurses verorten. Hier eine Auswahl:
- „Wenn ich einen schwarzen Piloten sehe, denke ich: ‚Junge, ich hoffe, er ist qualifiziert.‘“ (The Charlie Kirk Show, 23. Januar 2024)
- „Joe Biden ist ein tollpatschiger, dementer, korrupter Tyrann mit Alzheimer, der, ehrlich gesagt, wegen seiner Verbrechen gegen Amerika ins Gefängnis gesteckt und/oder zum Tode verurteilt werden sollte. (The Charlie Kirk Show, 24. Juli 2023)
- „Ich glaube, es ist, leider, lohnenswert, eine gewisse Anzahl an Waffentoten hinzunehmen, um unser gottgegebenes Recht auf Waffenbesitz zu schützen.“ (gesagt auf einer Veranstaltung organisiert von TPUSA Faith, dem religiösen Arm von Kirks konservativer Gruppe Turning Point USA am 5. April 2023)
- Auch forderte Kirk am 1. April 2024 „Nürnberg-ähnliche Prozesse“ gegen alle Ärzte, die Geschlechtsanpassungen durchführen, und bezog sich dabei auf die Nürnberger Kriegsverbrechertribunale gegen führende Nationalsozialisten nach dem Zweiten Weltkrieg. (In: The Charlie Kirk Show)
Für Heidi Reichinnek, Fraktionschefin der Linken im Bundestag, gibt es daher auch gar keinen Grund, dem lateinischen Spruch „De mortuis nil nisi bonum“ zu folgen, Deutsch: Über die Toten soll man nur Gutes sagen.
„Ich bin immer wieder sehr überrascht, dass eben jetzt genau dieser ultrarechte Nationalist an vielen Stellen so betrauert wird. Also ich bin eher irritiert davon, dass zum Beispiel die Junge Union da so einen Trauerpost schickt, wenn man überlegt, was das für eine Person ist. Bei den Demokraten haben sie das damals nicht gemacht“, so die 37-Jährige jüngst im TV-Talk von Caren Miosga. Als die Moderatorin einwendete, „Der ist ja ermordet worden“, ergänzte Reichinnek „ja, von einem anderen Republikaner …“
Tatsächlich entstammte Kirks 22-jähriger Mörder Tyler Robinson zwar einer stramm republikanischen Familie, soll sich laut Aussagen seiner Eltern aber politisch nach links radikalisiert haben.
Das Kontrastprogramm zu Reichinnek hatte die CDU-Politikerin Caroline Bosbach geliefert, die kurz nach dessen Ermordung Kirk auf Instagram als „Kämpfer für westliche Werte“ würdigte – jemanden, der für eine „freie Debatte“ stehe, zudem eine der „einflussreichsten jungen konservativen Stimmen weltweit.“ Doch dann löschte die 35-jährige Tochter des CDU-Urgesteins Wolfgang Bosbach den Beitrag umgehend wieder – mutmaßlich, weil sie damit einen Sturm der Empörung ausgelöst hatte. Eventuell aber auch, weil ihr einige Kirk-Zitate vorher nicht bekannt waren.
Folgen hatte auch die Würdigung Kirks durch den deutschen Fußballnationalspieler Felix Nmecha: Kirk sei ein Mann gewesen, „der friedlich für seine Überzeugungen und Werte einsteht“, so schrieb der gebürtige Hamburger in einer „Instagram“-Story. Borussia Dortmund, Arbeitgeber des 24-Jährigen, kündigte ein Gespräch mit Nmecha an, der Fußballer löschte den Beitrag.
AfD verlangt „Heiligsprechung“
Kein Problem mit einer Würdigung Kirks post mortem hatten Vertreter der AfD in Deutschland. Parteichefin Alice Weidel nannte ihn auf der Plattform X einen „Kämpfer für die Meinungsfreiheit“. Sie schrieb weiter: „Dafür wurde er nun von einem Fanatiker erschossen, der unsere Art zu leben und zu diskutieren hasst.“ Zu diesem Zeitpunkt war der Täter noch nicht gefasst, ein Motiv daher auch nicht bekannt.
„Ich bin entsetzt“, so Thüringens rechtsextremer AfD-Landeschef Björn Höcke in den sozialen Netzwerken. Die „Hinrichtung von Charlie Kirk“ sei „eine Schande für den ‚freien‘ Westen“.
„Santo Subito!“ , also die „Heiligsprechung“ Kirks, forderte gar Beatrix von Storch, mit Verweis auf das X-Profil des Papstes „@Pontifex“. Kirk habe „sterben müssen, weil er die Wahrheit aussprach“, so die Bundestags-Fraktionsvize der AfD auf Englisch.
Einige AfD-Vertreter machten pauschal die gesellschaftliche Linke für Kirks Tod verantwortlich. „Linke Gewalt darf nicht länger verharmlost oder gar hofiert werden. Die Vernichtungsfantasien dieser Menschen müssen endlich klar benannt und mit aller Härte bekämpft werden“, schrieb Björn Höcke.
Die Fraktion „Europe of Sovereign Nations“ im EU-Parlament, angeführt von der deutschen AfD, hat Kirk vergangene Woche für den Sacharow-Preis des EU-Parlaments vorgeschlagen, begründet mit seiner „Verteidigung der Meinungsfreiheit und der Normen friedlicher demokratischer Auseinandersetzung“.
„Horst Wessel der MAGA-Bewegung“
Auf der anderen Seite des politischen Spektrums wird Kirk als „Horst Wessel der Maga-Bewegung“ bezeichnet, so zu lesen auf der „World Socialist Web Site“, der Online-Publikation der trotzkistischen Weltbewegung.
Zum Hintergrund: Horst Wessel war ein Berliner SA-Führer und stadtbekannter Nazi-Schläger, der 1930 von Kommunisten ermordet worden war und danach zum Märtyrer der NS-Bewegung aufgebaut wurde. Ein von ihm komponiertes Lied (Horst-Wessel-Lied) wurde zunächst zur Parteihymne und nach Hitlers Machtergreifung zur zweiten Nationalhymne Deutschlands.
„Kirk ist zu einer Projektionsfläche geworden, in die alle Seiten vorzüglich ihre eigenen Motive projizieren“, kommentiert die Politik-Chefreporterin Miriam Hollstein vom „Stern“.
Doch es gab politische Stimmen aus Deutschland, die auf Polemik verzichteten: „Wo Gewalt das Mittel politischer Auseinandersetzung wird, stirbt die Demokratie“, schrieb Cem Özdemir, Spitzenkandidat der Grünen bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg, auf der Plattform X.
Einerseits sei die Freiheit des Andersdenkenden zu verteidigen, andererseits hält es Özdemir für wichtig, „friedlich, aber bestimmt Widerspruch leisten, wo unsere liberalen Werte angegriffen werden.“
Offener Diskurs gefordert
„Die Ermordung von Charlie Kirk ist ein schreckliches Verbrechen. Das passiert, wenn unsere Gesellschaften weiter auseinandergerissen werden. Eine Demokratie muss den offenen Diskurs, das Ringen um Positionen und auch harte Auseinandersetzungen aushalten – niemals aber Gewalt. Meine Gedanken sind bei seiner Familie“, betont Generalsekretär Carsten Linnemann auf Facebook.
Viele User und Userinnen auf Tiktok kommentierten den Mordanschlag und die politischen Auswirkungen in Amerika – und lösten Kontroversen aus.
Unter „pascalredet“ (378.000 Follower) zum Thema Charlie Kirk kommentiert zum Beispiel „Benji München“: „Ich glaube, ich bin der einzige, der bis gestern noch nie von Charlie Kirk gehört hat“, während „fabi31478″ deutlich das Opfer kritisiert: „Meinungsfreiheit schützt nicht jede Aussage – insbesondere nicht, wenn sie Hass, Diskriminierung oder Gewalt gegen andere fördert.“
„Lin“ wieder bezweifelt voreilige Schlüsse den Mörder betreffend: „Dass der Täter links ist, wissen wir aktuell gar nicht und dennoch wird es dargestellt, als wären die Linken außer Kontrolle geraten.“ „Hartbrennerei“ schreibt, „Charlie Kirk ist mir egal, für die Hinterbliebenen tut’s mir leid.“