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Die USA vor der WahlWo Trump-Anhänger Schilder aus Vorgärten klauen

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Tante Janet

  1. Ohio zählt zu den so genannten Swing States. Dort lebt die Tante unseres Autors. Tante Janet. Sie ist Biden-Fan.
  2. Sie erzählt von zerbrechenden Freundschaften angesichts der US-Wahl, von Schildern, die gegenseitig aus Vorgärten geklaut werden.
  3. Reportage aus einem derzeit buchstäblich verrückten Land.

Köln – Meine Tante Janet ist eine toughe Frau. Da steht sie nun mit 73 Jahren neben dem Schild in ihrem Vorgarten in Columbus, der Hauptstadt des US-Bundesstaates Ohio. „Biden/Harris“, ist auf dem Plakat zu lesen, das fest eingepflockt, unentschlossene Wähler zu einem Voting für den Herausforderer Joe Biden und dessen Mitstreiterin Kamala Harris animieren soll. Ihre Finger hat sie zum Glückskreuz in den Himmel gestreckt. Ich habe sie darum gebeten, der Redaktion ein Foto herüberzuschicken.

Trumps Anhänger haben ihr bereits zwei Schilder gestohlen. „Aber das ist normal“, sagt Janet am Telefon, „das machen die Republikaner hier genauso wie die Demokraten.“ Jüngst hatten die Nachrichten gemeldet, dass derzeit mehr Biden-Plakate entwendet würden, als jene des Präsidenten. „Das ist doch ein gutes Zeichen“, meint Janet, „bei der letzten Wahl war es genau umgekehrt“. Die Mutter zweier erwachsener Söhne hofft auf eine neue Ära im Weißen Haus. Kein Weiter so.

Ohio, zählt zu den so genannten Swing States. Seit 1964 gilt der Spruch: Wer den industriellen und landwirtschaftlich geprägten „Rosskastanienstaat“ gewinnt, zieht ins Oval Office ein. 2008 war es Obama, dann siegte Trump gegen Hillary Clinton 2016 mit acht Prozent Vorsprung.

Janet mag gar nicht mehr an diesen Moment denken. Es war die Zeit, als sie sich mit ihrer besten Freundin Mandy überwarf. Gewiss, die beiden Frauen hatten schon zuvor über die politische Ausrichtung der Präsidentschaftskandidaten gestritten. Als Barack Obama das zweite Mal kandidierte, wechselte Mandy das politische Lager. Vor allen Dingen die Gesundheitsreform für alle US-Bürger ließ sie wieder zu den Konservativen zurückkehren.

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Damit begannen die Konflikte zwischen den beiden Frauen, die bis heute andauern. Und die so typisch sind für die aktuelle Situation in den Staaten. Selten hat ein US-Präsident das Land so gespalten wie Trump. Der Bruch geht mitunter durch ganze Familien oder lässt alte Freundschaften abkühlen.

Seit gut 20 Jahren zählt meine Tante die zehn Jahre ältere Mandy zu ihren „best buddies“. Sie ratschten am Telefon, trafen sich zum Kaffeeklatsch, halfen sich gegeneinander, es passte. Bis auf die politischen Debatten, die irgendwann begannen, einen Keil zwischen sie zu treiben. „Ich bin keine Frau, die gut diskutieren kann, da werde ich schnell wütend“, gesteht Janet.

Schon beim Trump/Clinton-Duell wäre sie ihrer Freundin fast an den Hals gegangen, konnte sich aber gerade noch beherrschen. Heute weiß meine Tante gar nicht mehr, worum es genau ging, „aber es war wieder einmal so ein Sammelsurium aus Fake News und gezielt gestreuten Argumenten durch konservative Kreise, die einer näheren Überprüfung nicht standhielten.“ Seither kühlt sich die Beziehung zunehmend ab. Telefonate fallen spärlich aus, Treffen werden seltener.

Mandy, die Kontakte zu einem reaktionären Thinktank unterhält, begann ihre Freundin mit Mails zu bombardieren. Konvolute angeblich faktengestützter Trump-Lobhudeleien sollten meine Tante auf den „rechten Weg“ bringen.

Vehement wetterte Mandy über die illegalen Einwanderer aus Mexiko, obschon der Mittlere Westen nebst dem Staate Ohio nicht unbedingt für dieses Problem bekannt sind. Als hätte man sie damit gefüttert, rezitierte Mandy häufig die Slogans der Trump-Kampagne. Make America great again! „Dabei sind die USA doch schon groß genug, wir sind doch jetzt schon ein tolles Land“, wirft meine Tante ein, „aber für Mandy ist Trump so etwas wie ein Heilsbringer.“ Trump, der Wirtschaftsmagier, der die Industrie wiederbelebte. Trump, der Steuersenker, der die abgehängten Regionen der nordöstlichen Industrieregionen aufblühen ließ, die Armut verringerte und vor der Corona-Krise die Arbeitslosenquote herunterfuhr. Trump, der wie kaum ein anderer für das weiße Amerika stand.

Mein Onkel Ralph, emeritierter Geo-Physik-Professor der Ohio-State-University, betrachtete die Kabalen zwischen seiner Frau und ihrer besten Freundin durch die nüchterne Brille des Wissenschaftlers. „Schlag sie doch mit einem Faktencheck“, lautete sein Vorschlag. Meine Tante versuchte es zeitweilig, gab Contra, wo es nur ging. Das mit der hervorragenden Wirtschaftsquote sei Schwachsinn, führte sie aus. Gerade einmal 2,4 Prozent betrug das jährliche Wachstum in den ersten drei Jahren der Amtszeit, dann kam das katastrophale Corona-Virus-Krisenmanagement Mannes im Oval Office und nahezu sämtliche Wirtschaftsdaten rutschten in den Keller. Am Ende stand die Kardinalfrage: „Und wieso legt dieser Typ seine Steuererklärung nicht offen, wie seine Vorgänger?“

Wenn sie diskutierten, wartete Mandy häufig mit der Plattitüde auf, dass die USA ohne Trump längst vor dem Niedergang stünden. Hakte meine Tante nach, woran sie das denn festmachen würde, kam nicht mehr viel. Am Ende half all das Argumentieren nicht viel. Einzig das Zerwürfnis vertiefte sich. Janet bat ihre Freundin mit dem Shitstorm per Mail aufzuhören. Mandy aber versuchte es weiter. „Also habe ich diese Mails immer gelöscht, weil ich mich nicht weiter ärgern wollte.“

Der Dissens spiegelte sich auch medial wieder. Mandy bezieht ihre Weisheiten vornehmlich durch FOX-News, dem konservativen Trump-Unterstützer. Während meine Tante das Nachrichtengeschehen über die liberalen Sender wie NBC, ABC und CNN verfolgt.

Vieles ist nicht mehr so wie früher. Meine Tante vermisst die vertraute Herzlichkeit. „Es gab Zeiten, da habe ich gedacht, jetzt ist es aus mit der Freundschaft“, sagt sie und hält kurz inne. Aber soweit wollte Janet es nicht kommen lassen. Vielmehr hält sie sich mit Äußerungen zurück, geht in die Defensive, lässt Provokationen ihrer Freundin unbeantwortet. Kein Kommentar mehr, kein Aber, wenn Mandy das große Trump-Crescendo anstimmt.

Janet hofft, dass vieles im Land nach den Wahlen wieder mehr zusammenwächst. Auch Mandy und sie. Allerdings mag sie sich nicht ihre Reaktion vorstellen, sollte Biden ins Weiße Haus einziehen sollte. Vielleicht greift sie dann zum Hörer und klingelt bei Mandy durch, um ihr ein hämisches Ha, Ha, Ha entgegenzuwerfen. Gefolgt von dem Satz: „Wir haben gewonnen, Trump ist Geschichte.“ Dann aber wird sie wieder ernst. „Sollte es umgekehrt ausgehen, wird es sicher nur ein kurzes Gespräch.“