Missbrauchsvorwürfe gegen KirchenmitarbeiterKurschus kündigt persönliche Erklärung für Montag an

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Annette Kurschus, Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), spricht bei einer Pressekonferenz imRahmen einer Tagung der 13. Synode der EKD.

Annette Kurschus, Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), spricht bei einer Pressekonferenz.

Das „Beteiligungsforum“ der EKD, in dem Missbrauchsopfer organisiert sind, forderte Kurschus' Rücktritt. Sie sei „nicht mehr tragbar“.

Es ist 13 Jahre her, als schon einmal eine Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) eine persönliche Erklärung ankündigte. Damals zog Margot Käßmann die Konsequenz aus einer Autofahrt unter Alkoholeinfluss und trat von sämtlichen Leitungsämtern zurück. Welche Entscheidung Käßmanns Nachnachfolgerin Annette Kurschus, Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, am Montag, 20. November, bekanntgibt, darum wurde am Wochenende nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ intensiv gerungen.

Die 60 Jahre alte Kurschus, seit 2021 höchste Repräsentantin von mehr als 20 Millionen evangelischen Christen in Deutschland, steht unter massivem Druck, seit die „Siegener Zeitung“ am 14. November einen ersten Bericht über Missbrauchsvorwürfe gegen einen mit Kurschus befreundeten Kirchenmitarbeiter veröffentlichte.

Es geht demnach um acht junge Männer, die unter Ausnutzung eines besonderen Näheverhältnisses zu sexuellen Handlungen gezwungen worden sein sollen. Als damalige Gemeindepfarrerin in Siegen sei Kurschus schon Ende der 1990er Jahre über die Vorwürfe informiert gewesen, habe aber nichts unternommen.

Staatsanwaltschaft: Bislang keine Anhaltspunkte für strafbare Vergehen

Auf der EKD-Synode, die vorige Woche in Ulm tagte, widersprach Kurschus: Sie habe erst zu Beginn dieses Jahres von dem Fall erfahren. Die Zeitung präsentierte tags darauf eidesstattliche Versicherungen zweier Zeugen, denen zufolge mit Kurschus doch schon zur angegebenen Zeit in ihrem Garten über nicht näher bestimmte „sexuelle Verfehlungen“ gesprochen worden sei.

Kurschus erklärte dazu, es sei zwar von der homosexuellen Orientierung des Mannes die Rede gewesen, aber niemals von sexualisierter Gewalt. Nach Auskunft der Staatsanwaltschaft lagen bislang keine Anhaltspunkte für strafbare Vergehen vor. Der Mann habe seine Stellung ausgenutzt, um erwachsene junge Männer „irgendwie zu verführen, dass sie mit ihm homosexuelle Handlungen vornehmen“.

Allerdings gibt es nach einem weiteren Bericht der „Siegener Zeitung“ inzwischen den Hinweis auf einen Betroffenen, der zur Tatzeit 13 Jahre alt gewesen sei. In diesem Fall wären sexuelle Handlungen des Beschuldigten strafbar gewesen – aber verjährt. Die westfälische Landeskirche trug zu Kurschus' Entlastung vor, sie sei seinerzeit in einer anderen Gemeinde als der Beschuldigte tätig und somit nicht als Vorgesetzte für ihn zuständig gewesen.

Beteiligungsforum der EKD fordert Rücktritt von Kurschus

Das „Beteiligungsforum“ der EKD, in dem Missbrauchsopfer organisiert sind, forderte Kurschus' Rücktritt. Sie sei „für uns nicht mehr tragbar“, sagte der Sprecher des Gremiums der „Rheinischen Post“. „Wenn ich mich hinstelle und erkläre, das Thema Aufarbeitung von sexueller Gewalt sei Chefinnensache, ist ihr derzeitiges Verhalten widersprüchlich und unglaubwürdig.“

Vor diesem Hintergrund kann eine Mitteilung der EKD zur angekündigten öffentlichen Erklärung der Ratsvorsitzenden kaum anders interpretiert werden als kaum verhohlene eigene Aufforderung zum Rücktritt: Der Rat bekenne sich „zu dem schwierigen und langen Weg der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in Kirche und Diakonie“. Er halte es für unabdingbar, dass auf diesem Weg betroffene Personen systematisch mitentscheiden.

Wie es heißt, hat Kurschus im Rat der EKD, dem höchsten kirchlichen Führungsgremium, kaum Rückhalt. Auf Kritik sei insbesondere Kurschus' fragwürdige interne und öffentliche Kommunikation gestoßen. Die Präses der EKD-Synode, Anna-Nicole Heinrich, ging ihrerseits schon auf der Vollversammlung der Synode vorige Woche in Ulm geradezu brüsk auf Distanz zu Kurschus. Einer Erklärung der aufgewühlt wirkenden Kurschus vor den Synodalen versagte Heinrich demonstrativ den Applaus.

Westfälische Kirchenleitung solidarisch mit EKD-Ratsvorsitzender

Demgegenüber stellte sich die Leitung der westfälischen Kirche demonstrativ hinter die Präses. Michael Bertrams, früherer Präsident des NRW-Verfassungsgerichtshofs und nebenamtliches Mitglied der Kirchenleitung, bezeichnete die Vorwürfe gegen Kurschus und insbesondere Rücktrittsforderungen als „unangemessen“. Zwar seien Kurschus' Erklärungen „angesichts einiger Ungereimtheiten kommunikativ unglücklich“, räumte Bertrams in einer Stellungnahme ein, die der „Kölner Stadt-Anzeiger“ veröffentlichte.

Auch sei er sich darüber im Klaren, „dass eine Berufung auf fehlende Erinnerung in der öffentlichen Wahrnehmung – nicht erst seit dem Fall Woelki in Köln – einen bitteren Beigeschmack hat. Das darf jedoch nicht dazu führen, derjenigen, die erklärt, sich bei bestem Willen nicht erinnern zu können, von vornherein und ausnahmslos die Glaubwürdigkeit abzusprechen“, so Bertrams. „In der festen Überzeugung von ihrer Glaubwürdigkeit und Integrität“ sei es ihm „ein großes Bedürfnis, Annette Kurschus in voller Übereinstimmung mit sämtlichen Mitgliedern der Kirchenleitung öffentlich meine und unser aller Solidarität zu bekunden“.

Beobachter werteten dies als Ausdruck der Entschlossenheit der Kirchenleitung in Bielefeld, sich gegen den Druck der EKD zu stemmen und Kurschus zumindest als westfälische Präses im Amt zu halten. Das Kräfteparallelogramm habe sich somit zuletzt noch einmal deutlich verschoben, hieß es. 

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