Gastbeitrag„Ökumene-WGs“, statt Rückzug aus den Stadtteilen

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Manfred Rekowski, geboren 1958, ist seit 2013 Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland.

  • Der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Manfred Rekowski, schreibt in einem Gastbeitrag für den „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Zu jedem Jahreswechsel das gleiche Phänomen: Wir schauen zurück, ziehen Bilanz und hoffen dann für das neue Jahr, dass es besser oder mindestens anders wird. Das ist menschlich, aber auch ein bisschen verwunderlich, denn aller Voraussicht nach wird sich die Welt am 1. Januar 2018 kaum anders drehen, als sie es noch am 31. Dezember 2017 getan hat.

Auch 2018 werden die gleichen fragwürdigen Charaktere Gewalt über Atomwaffen haben, wird ein Lebensmittelkonzern den Afrikanern skrupellos das Wasser abgraben, werden sich gotteslästernde Terroristen inmitten von Menschenansammlungen in die Luft sprengen. Zur Gewinnmaximierung werden Manager auch 2018 trotz Millionenerträgen Werksstandorte schließen und Arbeiter entlassen. Frauen werden für gleiche Arbeit weniger Lohn bekommen als Männer. Menschen werden andere Menschen wegen deren Hautfarbe, Religion oder sexueller Orientierung drangsalieren. Trotz Feuerwerk und Glockengeläut um Mitternacht wird unsere Erde bleiben, was sie ist: ein verletzlicher, schwieriger, heilungsbedürftiger Ort.

Keine Sorge, ich neige nicht zu Schwermut und Schwarzmalerei. Warum auch, wo doch das Weihnachtsfest die hoffnungsvolle Botschaft in die Welt getragen hat: Diese Welt ist kein gottverlassener Ort! Das, was wir angesichts des Kindes in der Krippe gehört und gesungen haben, verklärt ja nicht die Weltsicht. Im Gegenteil: Was wir gehört und gesungen haben, verklart den Blick auf die Welt. Christinnen und Christen feiern an Weihnachten, dass Gott in Jesus von Nazareth Mensch geworden ist. Er hat in seinem Leben und Wirken, das in der Bibel überliefert ist, der Liebe Gottes zu den Menschen Gestalt gegeben. Der Wanderprediger hat vorgelebt und vorgemacht, wie sich in dieser Welt Hoffnung Bahn brechen kann. Bis heute folgen Menschen seinem Beispiel. Und das ist auch gut so.

Auch 2018 wird der Sozialarbeiter der Diakonie überschuldeten Menschen aus ihrem Schlamassel heraus helfen, werden Ehrenamtliche für daheim unversorgte Kinder Mittagessen kochen und ihnen bei den Hausaufgaben helfen, werden Zuhörerinnen und Zuhörer rund um die Uhr am Telefon der ökumenisch getragenen Telefonseelsorge erreichbar sein. Helferinnen und Helfer werden Kleider und Decken an Obdachlose verteilen. Fachkundige Unterstützer werden nach Perspektiven für ungewollt Schwangere suchen, im Kindergarten für einen guten Start ins Leben sorgen, Sterbende begleiten, Trauernde trösten.

Auch 2018 stehen Christinnen und Christen unterschiedlicher Konfessionen mitten in der Welt – die ist, wie sie ist – dafür ein, dass die Weihnachtsbotschaft für viele Menschen auch hautnah erlebbar wird: Unsere Welt ist kein gottverlassener Ort, auch wenn sie oft ein Ort zum Gotterbarmen ist. Christinnen und Christen finden sich nicht ab mit den Verhältnissen. Sie wehren sich dagegen, dass politische und wirtschaftliche Interessen mit der Hoffnung und der Zukunft der Menschen Schindluder treiben. Sie durchbrechen die vorgebliche Logik, dass es nun einmal ist, wie es ist.

Oft geschieht dies angesichts der Fülle der Weltprobleme ganz klein und unscheinbar. Aber es geschieht. Und es geschieht über die Grenzen der Konfessionen hinweg. Peter Beier, mein 1996 verstorbener Vorgänger im Amt des Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, hat einmal gesagt, dass man zu unserer Zeit nicht mehr fragen wird, ob du evangelisch oder katholisch bist, sondern ob du Christ bist und woran man das erkennt. So betrachtet, ist im konfessionellen Miteinander noch Luft nach oben. Ich kann mir da auch noch einiges vorstellen, damit unser Dienst an und in der Welt hörbarer, spürbarer und sichtbarer wird.

In Zeiten, in denen die Kirchen mit weniger Personal auskommen müssen, scheinen mir gemeinsame Gemeindezentren keine schlechte Idee. Ist es nicht besser, ökumenische „Wohngemeinschaften“ zu gründen, statt dass sich beide Kirchen – am Ende vielleicht sogar unabgestimmt – aus Stadtteilen und Orten zurückziehen? Im gemeinsamen WG-Wohnzimmer gäbe es dann vielleicht manches, das nicht allen Mitbewohnern gleichermaßen gefällt: Heiligenfiguren, Frauen auf der Kanzel, Weihrauch, Trauung Geschiedener. Aber es bliebe ein Hoffnungsort für Menschen vor ihrer Haustüre erhalten. Auch im Jahr 2018 wird sich die Welt nicht anders drehen. Aber das neue Jahr bietet jede Menge Chancen, dass wir unsere kleine Welt ein bisschen anders drehen können – um Gottes und der Menschen willen.

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