Stromsteuer, Rente, Bürgergeld: Nach stundenlangem Koalitionsgipfel steht das Ergebnis – harte Kritik daran lässt nicht lange auf sich warten.
„Gebrochenes Wahlversprechen“Stromsteuer-Entlastung bleibt aus – Verbände und Politik üben scharfe Kritik

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Die versprochene deutliche Senkung der Stromsteuer für Verbraucherinnen und Verbraucher bleibt vorerst aus. Bei ihrem zweiten Treffen im Koalitionsausschuss konnten Union und SPD keine Einigung über eine schnelle Entlastung erzielen.
Früher als zunächst angenommen soll hingegen die ausgeweitete Mütterrente kommen – und bei technischen Verzögerungen rückwirkend ausgezahlt werden. Dieser Fahrplan ist neu.
„Vertrauen gerät ins Wanken“: Wirtschaftsverbände kritisieren ausbleibende Stromsteuersenkung
„Das Ergebnis des gestrigen Koalitionsausschusses ist ernüchternd: Für überflüssige Rentengeschenke gibt es genug Geld. Für die signifikante Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bleibt zu wenig übrig.“, kommtentiert Dr. Dirk Jandura, Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) das gestrige Ergebnis des Ausschusses. „Alle nicht-industriellen Branchen, darunter auch der Großhandel, eine der umsatzstärksten Wirtschaftsstufen Deutschlands, bleiben bei den Entlastungen größtenteils außen vor.“
Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) hat die ausbleibende Absenkung der Stromsteuer für alle kritisiert und der Koalition Vertrauensbruch vorgeworfen. „Die Stromsteuersenkung für alle Betriebe war nicht irgendwo angekündigt, sondern mehrfach und verbindlich schriftlich festgehalten – im Koalitionsvertrag, in Beschlüssen des vorherigen Koalitionsausschusses und im sogenannten Entlastungspaket der Bundesregierung“, sagte Verbandspräsident Jörg Dittrich.
Viele Handwerksbetriebe hätten der Zusage vertraut und sie in ihre Planungen einbezogen. „Wenn zentrale, mehrfach zugesagte Entlastungen nicht kommen, während gleichzeitig teure politische Projekte umgesetzt werden, gerät bei den Betrieben das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit politischen Handelns insgesamt ins Wanken“, sagte er.
„Fatales Signal“: Sozialverband fordert Entlastung für Verbraucher
Im Koalitionsvertrag hatte Schwarz-Rot versprochen: „Für schnelle Entlastungen um mindestens fünf Cent pro kWh (Kilowattstunde) werden wir in einem ersten Schritt die Stromsteuer für alle so schnell wie möglich auf das europäische Mindestmaß senken und die Übertragungsnetzentgelte reduzieren.“ Die Vorsitzende des Sozialverbands Deutschland (SoVD), Michaela Engelmeier, bezeichnete das Ergebnis nach dem Spitzentreffen im Kanzleramt als ein „fatales Signal“.
Engelmeier kritisierte vor allem, dass die Koalition die Stromsteuer vorerst nur für die Industrie senken will, aber nicht auch für Verbraucherinnen und Verbraucher. „Gerade in Zeiten hoher Lebenshaltungskosten brauchen sie spürbare Entlastungen“, sagte Engelmeier der Deutschen Presse-Agentur.
Laut dem Ergebnispapier der rund fünfstündigen Beratungen bei Kanzler Friedrich Merz (CDU) sollen weitere Entlastungsschritte zwar folgen – vor allem für Verbraucherinnen und Verbraucher sowie die gesamte Wirtschaft. Doch betont die Koalition auch eine entscheidende Einschränkung: Finanzielle Spielräume müssten dafür bestehen.
Grüne sprechen von „gebrochenem Wahlversprechen“, Union gespalten
Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann wirft Bundeskanzler Friedrich Merz Wortbruch bei der Stromsteuer vor. Man habe den Bürgern konkrete Entlastungen versprochen, sagte sie im ARD-„Morgenmagazin“. Nun heiße es, „dafür ist kein Geld da, vielleicht irgendwann“.
Dabei habe die Koalition aus Union und SPD mit der Grundgesetzänderung „beste Voraussetzungen“ für mehr Investitionen. Haßelmann sprach von einem „gebrochenen Wahlversprechen“ von Merz. „Dass man an so einem Punkt dann ein Wahlversprechen bricht, ist falsch gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern und die merken sich das, da bin ich ganz sicher.“
Und auch im Arbeitnehmerflügel der CDU selbst wird Kritik am Ergebnis des Koalitionsausschusses zum Thema Stromsteuer laut. Der Bundesvorsitzende der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft, Dennis Radtke (CDU), warf der Unionsführung wegen der ausbleibenden Stromsteuersenkung für Verbraucher am Donnerstag vor, ein zentrales Wahlversprechen nicht einzulösen.
„Diese Koalition hat nicht nur die Aufgabe, Deutschland wieder voranzubringen, sondern auch verlorenes Vertrauen in Politik wiederherzustellen“, sagte Radtke der „Bild“. „Die Stromsteuer-Senkung für alle war ein zentrales Versprechen unserer Kampagne, von dem ich erwartet hatte, dass wir das auch eins zu eins so umsetzen.“
Ausweitung der Mütterrente kommt früher als erwartet
Die ausgeweitete Mütterrente soll bereits zum 1. Januar 2027 starten – und damit ein Jahr früher als zunächst angenommen. „Sofern eine technische Umsetzung erst zu einem späteren Zeitpunkt möglich ist, wird die Mütterrente rückwirkend ausgezahlt“, heißt es im Ergebnispapier von Union und SPD.
Die Rentenversicherung hatte den Mitgliedern des Gremiums zuletzt schriftlich mitgeteilt, dass eine Umsetzung wegen umfassender individueller Anspruchsprüfungen erst Anfang 2028 möglich sei. Bei der ausgeweiteten Mütterrente – einem von der CSU geforderten Projekt – soll die anerkannte Kindererziehungszeit in der gesetzlichen Rentenversicherung künftig auch für vor 1992 geborene Kinder verlängert werden.
Umfassendes Rentenpaket in Arbeit
„Die Komponenten Verlängerung der Haltelinie für das Rentenniveau sowie Mütterrente werden mit dem vorliegendem Rentenpaket 2025 als erster Schritt umgesetzt“, bekräftigen die Koalitionäre. Bundessozialministerin Bärbel Bas, die als SPD-Chefin erstmals beim Koalitionsausschuss dabei war, hatte bereits einen entsprechenden Entwurf vorgelegt. Das Absicherungsniveau der Rente soll bis 2031 bei 48 Prozent stabilisiert werden, damit die Renten nicht hinter der Lohnentwicklung in Deutschland zurückfallen. Bas rechnet mit steigenden Kosten für das gesamte erste Rentenpaket auf 11,2 Milliarden Euro bis 2031.
Die Koalition bestätigt zudem weitere Rentenpläne: „Der zweite Teil des Rentenpakets bestehend aus Aktivrente, Frühstartrente sowie Betriebsrentenstärkungsgesetz wird im Herbst im Kabinett beschlossen und soll (mit Ausnahme der Frühstartrente) zum 01. Januar 2026 umgesetzt werden.“
Energie-Beschlüsse bekräftigt
Beim Thema Energie verweisen Union und SPD insgesamt auf die Beschlüsse des Kabinetts von vergangener Woche. Diese sehen Entlastungen zum 1. Januar bei den Netzentgelten sowie die Abschaffung der Gasspeicherumlage für Gaskunden vor. Dire Senkung der Stromsteuer soll für Industrie, Land- und Forstwirtschaft „verstetigt“ werden.
Offen geblieben war bis zuletzt, wie eine allgemeine Senkung der Stromsteuer für alle Betriebe und Verbraucher finanziert werden kann – das würde laut Finanzministerium 2026 rund 5,4 Milliarden Euro zusätzlich kosten. Merz hatte vor dem Treffen in einem Interview gesagt: „Wenn wir mehr tun können für die privaten Haushalte, dann werden wir das tun.“
Beschlossene Entlastungen
Im Ergebnispapier rechnen Union und SPD vor, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher sowie die Wirtschaft in der Jahreswirkung eine Entlastung von rund 10 Milliarden Euro erwartet. Alle Verbraucher würden um bis zu 3 Cent pro Kilowattstunde entlastet. Für eine vierköpfige Familie seien das bis zu 100 Euro pro Jahr. Im Koalitionsvertrag waren jedoch fünf Cent pro Kilowattstunde als Ziel vereinbart worden.
SoVD-Chefin Engelmeier sagte: „Wenn Bundeskanzler Merz sagt, es gehe nicht mehr, weil das Geld fehle, sei daran erinnert: Klimaschädliche Subventionen wie Diesel- und Dienstwagenprivilegien kosten den Staat jedes Jahr rund 23,5 Milliarden Euro.“ Sie forderte: „Hier könnte man ansetzen, statt erneut die Menschen mit kleinen Einkommen im Stich zu lassen.“ (dpa)