Großer Andrang, viele SorgenDie letzten Tage vor dem Lockdown

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Kurz vor dem Lockdown – großer Andrang auf der Hohe Straße in der Kölner Innenstadt

Kurz vor dem Lockdown – großer Andrang auf der Hohe Straße in der Kölner Innenstadt

Köln – Die Tendenz ist klar zu erkennen: Auf den Einkaufsstraßen in der Kölner City trägt am Montag nahezu jeder Passant mindestens eine Tüte mit Geschenken – so lassen jedenfalls die Markennamen vermuten –, viele auch mehrere. Der frühzeitige Schlussspurt hat eingesetzt. Ab Mittwoch sind die Läden geschlossen. Wer sich nicht auf den Online-Handel verlassen möchte, muss zuschlagen.

„Das ist unfassbar, was hier los ist“, sagt Sascha Heinrichs, Store-Manager von Ankerkraut auf der Breite Straße, wo Gewürzmischungen verkauft werden. Das habe schon am Samstag angefangen. In den kleinen Laden dürfen nur vier Kunden auf einmal hinein, deshalb steht draußen meistens eine Warteschlange. „Man kann aber auch an der Tür bestellen, und dann bringen wir die Ware raus.“ Schlecht gelaunt sind weder Verkäufer noch Kunden. Der Shutdown wird akzeptiert. Meckern: Fehlanzeige.

Aber Besorgnis gibt es schon. Michael Gerling, Geschäftsführer des EHI (wissenschaftliches Institut des Handels), mahnt: Der Online-Handel werde die Einnahmen-Ausfällen nicht auffangen können: „Die Einzelhandelsbetriebe werden darunter nachhaltig leiden. Besondere Probleme sehen wir in den Innenstädten, denn hier wird wie wir glauben nachhaltiger Schaden angerichtet. Wenn die Einzelhandelsstruktur zusammenbricht, leiden die Städte insgesamt. Dann werden nicht nur die Einzelhändler betroffen sein, dann wird auch die Kultur und die Gastronomie in den Innenstädten betroffen sein.“

Auf der Apostelnstraße kommt Marcel Weyrich aus dem Pop-up-Laden von Domspekulatius. Er hat eine Geschenkpackung Kekse gekauft und schräg gegenüber Kölner Gin. „Ich bin eigentlich ein Online-Shopper“, sagt er, „aber das hier kann ich ja direkt kaufen. Da ist es mir lieber, wenn ich es in der Hand habe und schnell noch als Geschenk verschicken kann.“ Und weil es ab Mittwoch nicht mehr geht, erst recht.

Jörg Hamel, Geschäftsführer Handelsverband NRW Aachen-Düren-Köln e.V., sagt: „Der Lockdown passiert zur Unzeit. Wir befürchten, dass viele Unternehmen den zweiten Lockdown ohne ausreichende Hilfe nicht überleben werden. Bereits vor Verkündung des Lockdowns sahen 57 Prozent der Unternehmen aus der Region die Gefahr einer Schließung ihres Geschäfts als groß oder sehr groß an. Diese Zahl dürfte sich seit dem Wochenende noch erhöht haben.“

Vor dem Nähbedarfladen „Stoff und Stil“ in der Straße Auf dem Berlich steht wie fast immer ein Schlange – obwohl der Laden riesig ist. Aber es sind alles Einkaufswagen vergeben, mit denen die Kundenzahl geregelt wird. „Es ist wahnsinnig viel los“, sagt die stellvertretende Ladenchefin Josephine Königshofen. „Viele Leute decken sich noch mit Stoff für Weihnachtsgeschenke ein oder für die viele Freizeit im Shutdown.“ Und es komme auch zu spontanen Entschlüssen: „Dann wird doch noch eine Nähmaschine gekauft.“ Während des Shutdowns wird ein Telefonservice eingerichtet, die Kunden können weiter bestellen. Insgesamt seien die Verluste durch Corona nicht groß. „Die Menschen hatten mehr Zeit zum Nähen und haben entsprechend viel gekauft.“

Annett Polster, Geschäftsführerin von Stadtmarketing Köln, ist skeptisch: „Die Überbrückungshilfe III, die mit dem ab Mittwoch beginnenden Lockdown in Aussicht gestellt wurden, sind von der Bundesregierung gut gemeint. Allerdings sind viele Details noch unklar. Wenn die Gelder so spät wie bei den Überbrückungshilfen I und II ankommen, ist vielen Firmen noch weniger geholfen.“

Auf der Maastrichter Straße im Belgischen Viertel warten Menschen vor dem Geschenkeladen Schee, hier werden Kunstdrucke, Papeterie-Produkte und Wohnaccessoires angeboten. „Es ist mehr Betrieb als sonst“, sagt Store-Manager David Hübner. Der Weihnachtsumsatz sei zwar nicht zu vergleichen mit den letzten Jahren, aber insgesamt gar nicht so schlecht. „Die Leute kommen gezielter, gebummelt wird nicht mehr.“ Gejammert wird nicht: „Wir machen das Beste aus diesen Tagen.“ Online verkauft Schee übrigens nicht – auf den Rechnern könne man nicht erkennen, wie schön die Drucke seien.

Nicole Grünewald, Präsidentin der IHK Köln, sagt: „Wir müssen jetzt mit vereinten Kräften die Krise überwinden! Dabei ist es für unsere regionale Wirtschaft aber existenziell wichtig, dass sie für die Umsatzausfälle Hilfen und Ausgleichszahlungen bekommen, die auch zeitnah bei den Unternehmen ankommen! Wichtig sind jetzt auch unbürokratische Nothilfen für die Branchen, die langfristig betroffen sind.“

Seit Jahrzehnten sitzt in der Maastrichter Straße die Firma Hack, wo Lederprodukte handgefertigt werden. Mitarbeiter Johannes Simonis sagt: „Man merkt schon, dass jetzt wirklich der Letzte noch schnell loszieht, um Geschenke zu kaufen.“ Die großen Händler und Warenhäuser hätten es jetzt in der Krise wohl wesentlich schwerer als die kleinen Fachgeschäfte, meint er. Klar, es sei viel an Laufkundschaft weggefallen „Aber wir haben einen sehr stabilen Kundenkreis.“ Ob mit oder ohne Corona.

Im Rhein-Erft-Kreis zeigt sich ein gemischtes Bild. „Wir haben heute sehr gut zu tun und kriegen neben dem Verkauf kaum was anderes geregelt“, sagt Katrin Bach.

Die 28-Jährige ist die Leiterin der Buchhandlung Kayser in der Wesselinger Innenstadt. Die Leute kämen immer stoßweise und wollten noch schnell Bücher als Weihnachtsgeschenke bestellen, die sie am Dienstag noch abholen könnten. In Bergheim hält sich das Gewusel noch in Grenzen. „Die Leute wollen noch Gutscheine und die für Oma und Opa immer beliebten Hausschuhe“, sagt Helga Esser vom Schuhhaus Hemmersbach. Allerdings sei der Andrang auch nicht viel größer als zu Weihnachten eigentlich üblich.

Andrang in Leverkusen

In Leverkusen hingegen war es merklich voller. „Es tut mir unglaublich Leid für die Händler“, sagt Regine Hall-Papachristopoulos, Vorsitzende der Aktionsgemeinschaft Opladen. Mit dem erneuten Lockdown habe man zwar schon gerechnet – dass er nun aber noch vor den Weihnachtsfeiertagen kommt, erwischt auch die Opladener Geschäfte kalt. Das Einkaufsverhalten der Leute habe sich zudem massiv verändert. „Man will ja ein schönes Gefühl beim Einkaufen haben“, sagt sie, doch Abstands- und Maskenregelungen machten das kaum möglich – „das ist ja auch als Käuferin frustrierend.“

Und online? „Wir sind nicht Amazon“, sagt sie, „Weihnachten ist in rund einer Woche – die Händler haben gar nicht die Kapazitäten dafür, so schnell viele Bestellungen zu bearbeiten und zu versenden.“ (mit smh/nip/sül/tie/gw)

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