Einem deutschen Historiker ist es gelungen, den mutmaßlichen Schützen auf einem der bekanntesten Fotos des Holocausts zu identifizieren.
Mutmaßlicher NS-Mörder identifiziertDeutscher Historiker löst nach Jahrzehnten Rätsel von berüchtigtem Holocaust-Foto

Ein deutscher Soldat ist im Begriff, einen jüdischen Mann zu erschießen. Das Bild trug lange den Titel „Der letzte Jude in Winnyzja“, weil der entsprechende Text auf der Rückseite des Fotos, das in einem Fotoalbum eines deutschen Soldaten gefunden wurde, stand. (Archivbild)
Copyright: imago images/Reinhard Schultz
Es ist eines der erschütterndsten Bilder des Holocaust: Ein Soldat mit Brille richtet eine Pistole auf den Kopf eines Mannes, der in einem Anzug vor einer Grube voller Leichen kniet. Das Bild, das in der heutigen Ukraine aufgenommen wurde, erlangte fälschlicherweise als „The Last Jew in Vinnitsa“ (Der letzte Jude von Winnyzja) Berühmtheit. Jahrzehntelang jedoch bleib unklar, wo und wann die Aufnahme entstanden war und wer auf dem Bild zu sehen ist.
Der in den USA lebende deutsche Historiker Jürgen Matthäus hat nun nach akribischer Puzzlearbeit den mutmaßlichen Todeschützen identifiziert. Das berichtet „The Guardian“.
Historiker lüftet Rätsel zu bekanntem Holocaust-Foto
Matthäus' Erkenntnissen zufolge, die er in der „Zeitschrift für Geschichtswissenschaft“ veröffentlicht hat, verübte die SS das Massaker am 28. Juli 1941 – höchstwahrscheinlich am frühen Nachmittag, in der Zitadelle von Berdytschiw. Die Stadt liegt die 150 km südwestlich von Kiew. Die bisher als Ort der Tötungen geltende Stadt Winnyzja schließt Matthäus aus.

Das hier gezeigte Foto wurde so beschnitten, dass die Grube mit zahlreichen Leichen nicht zu sehen ist.
Copyright: imago images/Reinhard Schultz
In seinen Schlussfolgerungen bezieht sich der Historiker auf verschiedene Analysen, Gespräche und historische Dokumente. Auch Künstliche Intelligenz half Matthäus dabei, seine Indizienkette zu schließen. Eine entscheidende Rolle spielte zunächst aber ein Hinweisgeber. Nachdem Matthäus erste Forschungsergebnisse zum Datum, Ort und der beteiligten Einheit veröffentlicht hatte, meldete sich ein Leser.
Historiker Matthäus identifiziert Jakobus Onnen als mutmaßlichen Schützen
Dieser glaubte, basierend auf Korrespondenz aus der Zeit im Besitz seiner Familie, dass der Schütze der Onkel seiner Frau, Jakobus Onnen, sein könnte. Obwohl Briefe von der Ostfront in den 1990er Jahren vernichtet worden waren, existierten noch Bilder von ihm, die das internationale Recherchekollektiv Bellingcat für eine KI-Bildanalyse nutzen konnte.
„Die KI-Expertinnen und -Experten sagen mir, dass es bei einem historischen Foto schwieriger sei, eine Übereinstimmung von 98 oder 99,9 Prozent zu erreichen“, so Matthäus. Die starke Ähnlichkeit, kombiniert mit einer Fülle von Indizien, habe ihm jedoch die Glaubwürdigkeit für eine Veröffentlichung gegeben. Er betonte, dass KI „ein Werkzeug unter vielen“ sei und der menschliche Faktor entscheidend bleibe.
Recherchen ergaben: Der mutmaßliche Todesschütze Onnen, ein 1906 im deutschen Tichelwarf geborener Lehrer für Französisch, Englisch und Sport, war der NSDAP bereits vor deren Machtergreifung 1933 beigetreten. Der damals junge Mann stammte dem Bericht zufolge aus einer gebildeten Familie.
Er habe dem Einsatzkommando C angehört, das zur Zeit der Bildaufnahme damit beschäftigt gewesen sei, die Region von „Juden und Partisanen“ zu säubern. Die Identifizierung war ein „schrittweiser Prozess“ aus traditioneller Archivarbeit, glücklichen Zufällen und der bahnbrechenden Beteiligung von Freiwilligen der Open-Source-Journalismusgruppe Bellingcat.
„Der Grund, warum er dort posiert, die Art, wie er sich darstellt – ich denke, das soll beeindrucken“, sagte Matthäus zu der Aufnahme. Onnen habe innerhalb seiner Einheit keinen hohen Rang eingenommen und sei im August 1943 im Krieg gefallen. (red)