- Der 26-Jährige Syrer Amad A. saß in Folge einer Verwechslung mehr als zwei Monate lang zu Unrecht im Gefängnis.
- Er war am 29. September, zwei Wochen nach einem Feuer in seiner Gefängniszelle in Kleve, in einer Klinik gestorben.
- In der Folge hatte die Opposition den Behörden schwere Vorwürfe gemacht. Wurden die Akten von A. nachträglich manipuliert?
- Ein neues Gutachten, das dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt, entlastet die Justiz jetzt.
Der parlamentarische Untersuchungsausschuss zum Tod des syrischen Häftlings Amad A. in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Kleve nähert sich dem Ende. Am 17. September 2018 hatte der Gefangene, der auf Grund einer Fahndungspanne acht Wochen unschuldig einsaß, in seiner Zelle kurz nach 19 Uhr ein Feuer gelegt. Gut 20 Minuten später wurde A. aus den Flammen gerettet, starb aber zwölf Tage danach an seinen schweren Verletzungen. Seither durchleuchtet ein Abgeordnetengremium die Hintergründe der Geschehnisse.
Die Aufklärung des Polizeiskandals führte zu erheblichen politischen Vorwürfen seitens der rot-grünen Opposition gegen Justizminister Peter Biesenbach und den Chef des Innenressorts Herbert Reul.
Inzwischen aber wendet sich das Blatt. Professor Thorsten Holz vom CISPA Helmholtz-Zentrum für Informationssicherheit hat im Auftrag des Untersuchungsausschusses ein Gutachten erstellt, das dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt. Darin widerspricht der Experte den Vorwürfen, dass die Polizei Fahndungsdaten manipuliert hat, um Amad A. widerrechtlich zu inhaftieren.
In den WDR-Magazinen Westpol und Monitor zweifelten SPD-Vizefraktionschef Sven Wolf und sein Grünen-Kollege Stefan Engstfeld die Darstellung der Landesregierung in gravierenden Punkten an. Ferner stellte Westpol die Frage, ob die Polizei aus rassistischen Ressentiments die Fahndungsdaten so manipuliert hatte, dass der Migrant weiter in Haft bleiben konnte.
Verwechslung mit einem Dieb aus Mali
Die Ermittlungen in dem Fall Amad A. ergaben, dass der wegen kleiner Delikte bereits aktenkundige syrische Flüchtling aufgrund einer Panne in den Fahndungsdateien mit einem gesuchten Dieb aus Mali verwechselt wurde. Den Nachforschungen der Staatsanwaltschaft Kleve zufolge hatte eine Polizei-Angestellte in Siegen-Wittgenstein die beiden Personalien mit all ihren Alias-Namen aus Versehen zusammengefügt.
Als die Polizei Amad A. nach einer Beschwerde wegen sexueller Belästigung an einem Baggersee festnahm, ploppte der Fahndungstreffer auf. Dass der Festgenommene anders als der gesuchte Dieb keine schwarze Hautfarbe hatte, fiel durch die oberflächlichen Recherchen nicht auf.
Daten zu Amad A. wurden versehentlich gelöscht
Die Opposition nahm der Landesregierung die Erklärung für das fatale Geschehen nicht ab. Zumal eine Gutachterin die Skepsis befeuerte. Die als IT-Expertin vorgestellte Journalistin Anette Brückner sagte vor der Kamera und ähnlich im Untersuchungsausschuss: „Hier sind ganz gezielt mehrere Einzeleinträge verändert worden. Von daher gehe ich davon aus, dass es eine vorsätzliche Veränderung, also vorsätzliche Manipulation dieses Datensatzes war, um ein bestimmtes Ergebnis zu erreichen.“
Später wurde bekannt, dass die originalen Daten zu dem Verstorbenen entgegen der Anweisung des Innenministeriums durch einen vollautomatisierten Vorgang in der Fahndungsdatei nach den üblichen Fristen versehentlich gelöscht wurden. Grünen-Obman Engstfeld sprach von einem „Skandal“. SPD-Kollege Wolf sah „das Vertrauen in die Polizei“ erneut erschüttert.
Neues Gutachten schließt nachträgliche Manipulation aus
Das forensische Datei-Gutachten des unabhängigen Sachverständigen Holz kommt auf 34 Seiten nun zu dem Schluss: „Es konnten keine nachträglichen Manipulationen an dem relevanten Datenbestand oder eine Löschung von Daten festgestellt werden, die dem PUA III vorliegenden Daten werden als authentisch eingeschätzt. Aus rein technischer Sicht sind die vorgestellten Abläufe stimmig und nachvollziehbar.“
Der Kölner CDU-Landtagsabgeordnete Oliver Kehrl bestätigt: „Die Manipulationsvorwürfe sind endgültig vom Tisch. Nichts wurde gelöscht, nichts vertuscht.“ Der Obmann der Union warf der SPD vor, „die Verschwörungsmythen rund um den Tod des syrischen Häftlings weiter zu nähren, ohne auch nur einen Fakt aufbieten zu können.“
Schwere Vorwürfe gegen die Justiz
SPD-Politiker Wolf stellte vor der Kamera die Frage in den Raum, ob A. noch leben könnte, hätten die JVA-Bediensteten früher reagiert. Womöglich hatte das Vollzugspersonal den Syrer absichtlich oder fahrlässigerweise verbrennen lassen. In dem Fall hätte Justizminister Biesenbach zurücktreten müssen.
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WDR und Opposition warteten auch mit Gutachtern auf. So behauptete ein Fachmann für Feuerlöscher in einem Monitor-Beitrag: „Der Brand, so wie von der Staatsanwaltschaft beschrieben ist, ist so nicht möglich.“ Nach Ansicht von Korbinian Pasedag, Geschäftsführer des Instituts für Brand- und Löschforschung in Sachsen, konnte es gar nicht sein, dass Amad A. erst 15 Minuten, nachdem er seine Matratze im Haftraum entzündet hatte, den Notrufknopf drückte. Alleine schon aufgrund der Rauchentwicklung sei dies nicht möglich gewesen.
Opposition spekulierte: Hat Amad A. das Feuer selbst gelegt?
Die Opposition begann zu spekulieren: Womöglich habe der Gefangene bereits früher um Hilfe gerufen, niemand aber habe reagiert. Auch stelle sich die Frage, ob Amad A. das Feuer selbst gelegt habe.
Im Untersuchungsausschuss musste Pasedag eingestehen, den Tatort nie gesehen zu haben. Demnach hatte er auf Basis von Bruchstücken aus dem 50-seitigen Brandgutachten des Experten der Staatsanwaltschaft per Ferndiagnose eine Gegenexpertise erstellt. Ferner räumte Pasedag ein, dass er einzig eine mehrtägige Fortbildung für Brandsachen absolviert hatte.
Schutz vor den Flammen gesucht
Der Gutachter der Staatsanwaltschaft hat dagegen nach eigenen Angaben fast 6000 Brandtatorte im Auftrag der Justiz untersucht. Und dabei festgestellt: Nachdem die Flammen den Raum einnahmen, suchte der Gefangene erst unter dem Tisch seiner Zelle Schutz, um dann 15 Minuten später den Notruf zu betätigen. Es dauerte fünf Minuten, um ihn schwer verletzt zu retten.
Der Chef der Frankfurter Rechtsmedizin, Professor Marcel Verhoff, bestätigte in seiner Vernehmung durch die Parlamentarier den Brandschutzgutachter der Staatsanwaltschaft. Dasselbe galt für andere Experten. Ein Mithäftling, der von Monitor für seine Angaben vor der Kamera zum damaligen Geschehen eine Aufwandsentschädigung von 300 Euro bekommen hatte, widerrief im Untersuchungsausschuss seine Darstellung. Demnach seien ihm falsche Aussagen in den Mund gelegt worden, beteuerte Jan Hendrik H. Von frühen Hilferufen will er nichts mitbekommen haben.