Ingo Gerhartz und die AbhöraffäreSie nennen ihn den „Boss“ – Der General, den Pistorius kaum opfern wird

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Generalleutnant Ingo Gerhartz, Inspekteur der Luftwaffe, steht zu Beginn des internationalen Luftwaffen-Manövers ‚Air Defender 2023‘ am Fliegerhorst Wunstorf in der Region Hannover. (Archivbild)

Generalleutnant Ingo Gerhartz, Inspekteur der Luftwaffe, steht zu Beginn des internationalen Luftwaffen-Manövers 'Air Defender 2023' am Fliegerhorst Wunstorf in der Region Hannover. (Archivbild)

Ausgerechnet der erfolgreiche Luftwaffen-Inspekteur Ingo Gerhartz steht im Zentrum der von Russland ausgelösten Abhöraffäre. 

Der Luftwaffen-Inspekteur ist zu Fuß auf dem Weg zu einer Konferenz in der Innenstadt. Es ist sonnig, er trägt Uniform, aber die Kopfbedeckung, die laut Anzugordnung der Bundeswehr in der Öffentlichkeit zu tragen ist, hat er in der Aktentasche. Unerwartet kommen junge Offiziere des Weges. Vielleicht übersehen sie ihn ja, da erschallt es schon: „Guten Morgen, Herr General!“ Sie ziehen ihren Hut vor ihm, zu ihrer Freude bleibt er kurz stehen, es wird gelacht.

Dafür schätzen sie Ingo Gerhartz in der Truppe: Nahbar ist er, unprätentiös und unkompliziert, dabei führungsstark und auch noch humorvoll. Gerhartz gilt obendrein als einziger General in der Nato, der auch die harten körperlichen Anforderungen erfüllt, um mit seinen 58 Jahren noch selbst Kampfjets zu fliegen. „Der deutsche ‚Top Gun‘-General“, schrieb 2023 der „Spiegel“. Ein cooler Typ mit viel Erfahrung.

Ein Mann, der weiß, was er tut

Vor knapp 20 Jahren war er Sprecher der Luftwaffe und der Isaf (Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe für Afghanistan) im Pressestab des Verteidigungsministeriums in Berlin und baute schon damals sein Netzwerk über das Militär hinaus auf – wenn wenig später Politikerinnen und Politiker zum Truppenbesuch an den Hindukusch reisten, begrüßte er sie dort als Tornado-Pilot im Einsatz. In der Truppe nennen sie ihn oft nur „Boss“. In Uniform oder in Fliegeroverall – einer, der weiß, was er tut.

Pistorius weiß, was er an Gerhartz hat

Ausgerechnet um ihn rankt sich nun die von Russland ausgelöste Abhöraffäre um den Marschflugkörper Taurus. Ein Gespräch wurde belauscht, in dem Gerhartz mit hochrangigen Militärs über eine – wie sich dann herausgestellt hat – nicht abhörsichere Leitung erörtert, ob die Rakete die Hauptverbindung zwischen russischem Festland und der von Putin annektierten ukrainischen Halbinsel Krim zerstören könnte: die Krim-Brücke. Er hat das gemacht, was jede Regierung von ihrem Luftwaffenchef erwartet: geklärt, was militärisch möglich wäre, wenn die Politik eine Entscheidung trifft. Hier ging es darum, wie die Ukraine die Waffe bedienen könnte, ohne dass Deutschland sich beteiligt. Die russische Propaganda lügt sich nun aber das Gegenteil zurecht und spricht von deutschen Kriegsplanungen.

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) teilt am Dienstag mit, dass disziplinarische Vorermittlungen gegen alle vier Teilnehmer des Gesprächs eingeleitet worden seien. Damit auch gegen Gerhartz. Vorermittlungen sind noch kein Verfahren, jedoch extrem ärgerlich. Pistorius weiß aber, was er an Gerhartz hat. Würde er ihn nicht halten, wäre das ein schwerer Verlust für die Bundeswehr und ein Geschenk für Moskau.

Ein Luftwaffenchef auf der Höhe der Zeit

Der Rheinland-Pfälzer hat die Luftwaffe 2018 übernommen. Damals war er mit 52 Jahren jünger als alle seine 15 Amtsvorgänger. Die Teilstreitkraft war in desolatem Zustand. Nur etwa ein Drittel der Eurofighter waren damals verfügbar, bei den Truppentransportern A400M sah es nicht besser aus. Kündigungen von frustrierten Piloten machten die Runde. Und gleich zu Beginn seiner Amtszeit kam es auch noch zu einem Drama, als die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr damaliger Finanzminister Olaf Scholz zum G20-Gipfel nach Argentinien fliegen wollten und die Technik der Maschine einen gefährlichen Ausfall hatte. Der Regierungsflieger musste umkehren und vollbetankt in Köln notlanden.

Ingo Gerhartz (l), Generalinspekteur der Luftwaffe, begrüßt Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (r, SPD) auf dem Fliegerhorst Holzdorf.

Ingo Gerhartz (l), Generalinspekteur der Luftwaffe, begrüßt Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (r, SPD) auf dem Fliegerhorst Holzdorf.

Nach bald sechs Jahren auf dem Posten ist jetzt nicht nur jener Luftwaffe-Pannen-Airbus ausgemustert, sondern die Teilstreitkraft auf breiter Fläche modernisiert und neu ausgerichtet. Gerhartz hatte damit begonnen, bevor von Wladimir Putins Krieg gegen die Ukraine etwas zu ahnen war. Als Olaf Scholz (SPD) nach dem russischen Überfall im Februar 2022, inzwischen Bundeskanzler, von einer „Zeitenwende“ sprach, hatte er mit dem Luftwaffenchef einen Mann auf der Höhe dieser Zeit.

Die Eurofighter sind weitgehend in Schuss, neue Kampfjets und schwere Transporthubschrauber werden in den USA gekauft. 2023 holte Gerhartz das Nato-Militärmanöver Air Defender nach Deutschland und er war maßgeblich daran beteiligt, dass Deutschland das israelische Luftabwehrsystem Arrow 3 anschafft, das feindliche Lang- und Mittelstreckenraketen in der Erdatmosphäre und oberhalb davon zerstören kann – sowie Raketen mit Atomsprengköpfen. Das Geld kommt dafür aus dem 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen, das auch sonst zu erheblichen Teilen für die Luftwaffe ausgegeben wird.

Von 2025 an soll Gerhartz nach jetzigen Planungen das „Allied Joint Forces Command“ im niederländischen Brunssum befehligen – eines von zwei operationalen Nato-Hauptquartieren in Europa. Er würde seine Karriere mit einem vierten Stern krönen. Mehr geht nicht. Pistorius sagt, er habe mit Nato-Partnern gesprochen. Das Vertrauen in Deutschland sei trotz der Abhöraffäre nicht beschädigt. Jeder Staat sei der Gefahr russischer Spionage ausgesetzt, das wüssten auch alle. Personelle Konsequenzen stünden für ihn „derzeit nicht auf der Agenda“. Und wenn nicht noch etwas Schlimmeres herauskomme – und davon gehe er nicht aus, betont Pistorius –, „werde ich niemanden meiner besten Offiziere Putins Spielen opfern“.

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