Bundestagspräsidentin Julia Klöckner klagt im RND-Interview über die neue Härte im Parlament – und gibt den politischen Rändern die Schuld.
Bundestagspräsidentin Julia Klöckner„Ich bin nicht die Supernanny im Parlament“

Parlamentspräsidentin Klööckner: „Im Bundestag ging es schon immer herzhaft zu.“.
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Sie war Landeschefin der CDU in Helmut Kohls Heimat Rheinland-Pfalz, langjährige Wirtschaftspolitikerin der Union im Bundestag, wurde Angela Merkels Agrarministerin, dann Vizechefin und Bundesschatzmeisterin der CDU. Seit März ist Julia Klöckner nun die vierte Präsidentin des Bundestages und arbeitet seither an dem Ruf, im Plenum härter durchzugreifen als all ihre Vorgänger zusammen. „Der Ton hat sich verändert“, begründet Klöckner das - und würde gern noch einen Schritt weiter gehen.
Frau Bundestagspräsidentin, Ihr Präsidium ist Meister im Verteilen von Ordnungsrufen. Ist das Parlament schlimmer denn je oder sind Sie besonders streng?
Die Kategorie „schlimm“ wäre hier nicht mein Sprachgebrauch. Ein Parlament wie dieses gab es jedoch noch nie. Zehn Prozent der Sitze im Bundestag sind von links außen besetzt, rund 25 Prozent von rechts außen. Die Blockbildung ist sichtbar, sie hat Auswirkung auf den Umgang miteinander: Die mit Abstand meisten Ordnungsrufe gehen an die AfD, der Rest an die Linke.
Es ist oft geschildert, dass mit dem Einzug der AfD die Sitten rauer wurden. Hat sich das in dieser Legislatur weiter verschärft?
Ich bin seit mehr als 20 Jahren Parlamentarierin. Im Bundestag ging es schon immer herzhaft zu. Aber wir haben heute eine andere Situation als früher. Die digitalen Medien sind Verstärker für die Botschaften in die eigenen Blasen hinein. Der Ton hat sich verändert. Die gegenseitigen Vorwürfe sind extremer geworden. AfD-Politiker werden mitunter als Nazis beschimpft. Das halte ich für falsch, weil dadurch die schrecklichen Verbrechen der Nationalsozialisten relativiert werden. Genauso falsch ist es, die Linksfraktion als Mauerschützen zu bezeichnen. Solche Ausfälle passieren aber regelmäßig. Deshalb haben wir auch die Geschäftsordnung des Bundestages reformiert, um für mehr Ordnung und Respekt im Plenum zu sorgen.
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Was macht Ihnen als Sitzungspräsidentin besonders zu schaffen?
Mir macht da nichts zu schaffen. Ich gehe die Sachen einfach konsequent an. Meine Aufgabe ist es, die Regeln, die wir uns selbst gegeben haben, anzuwenden – unabhängig von der Person oder der Fraktion. Das ist keine Lex Klöckner, sondern das sind Spielregeln, an die sich alle halten müssen. Bestimmte Dinge sind im Plenum schlicht verboten: Fahnen, Plakate, Aufkleber. So klar, so einfach. Die Fraktionen melden sich auch zunehmend bei uns im Präsidium und weisen auf Verfehlungen anderer hin. Betrifft es sie selbst, sieht es dann oft anders aus. Die Maßstäbe, Rechte und Pflichten müssen für alle aber gleichermaßen gelten. Sie sind keine Geschmacksfrage, sonst wäre es Willkür. Klar ist aber auch: Ich bin nicht die Supernanny im Parlament.
Jenseits der Atmosphäre: Sehen Sie die Sicherheit des Parlaments bedroht?
Parlamente in Demokratien, die auf Transparenz und Offenheit setzen, sind immer bedroht. Das gilt auch für den Deutschen Bundestag. Wir wollen uns nicht abschotten, wir wollen unsere Türen weiter offen halten für Bürger und Besuche – zwei Millionen sind es jährlich. Aber wir müssen uns vor Bedrohungen von innen und außen schützen.
Es gibt heftige Hackerangriffe auf uns. Es gibt Leute, die sich unbefugt Zugang zum Bundestag verschaffen wollen. Deshalb brauchen wir ein Bundestagspolizeigesetz zum Austausch mit Nachrichtendiensten, zum Beispiel zu Gefährdern. Ein anderes Problem sind Hausausweise für bestimmte Mitarbeiter von Abgeordneten. Diese Ausweise geben nicht nur Zugang zu allen Gebäuden des Bundestags, sondern auch zu internen Informationen. Das ist in manchen Fällen gefährlich.
Sie haben bereits mehreren Mitarbeitern von Abgeordneten die Hausausweise entzogen. Warum?
Das sind einige Fälle. Es geht um sicherheitsrelevante Bedenken, Vorstrafen und andere Auffälligkeiten. Wenn jemand aktenkundig ist, weil er unser demokratisches System ablehnt, können wir dieser Person nicht Zugang zum Bundestag und unseren IT-Netzwerken geben.

ulia Klöckner (CDU), Bundestagspräsidentin, spricht vor Beginn der Debatte zum Bundeshaushalt im Bundestag.
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Reicht der Entzug des Hausausweises dann oder sind weitere Schritte nötig?
Aktuell können diese Mitarbeiter trotzdem bei Abgeordneten angestellt sein – das halte ich für nicht hinnehmbar. Wenn wir einem Abgeordnetenmitarbeiter wegen gravierender Sicherheitsbedenken einen Hausausweis verweigern, sollten wir diesen Mitarbeiter nicht noch aus Steuergeldern bezahlen. Wir können nicht die Vordertür für solche Leute fest abschließen, aber die Hintertür offenlassen. Von wem eine Gefahr für das Parlament ausgeht, der hat dort auch nichts verloren – weder in den Räumlichkeiten, noch über den Lohnzettel.
Wie soll das gehen?
Wir müssen dafür das Abgeordnetengesetz ändern. Das will ich den Fraktionen vorschlagen.
Soll das auch für Mitarbeiter in Wahlkreisbüros gelten?
Ich plädiere grundsätzlich dafür, eine entsprechende Regelung so weitreichend wie möglich zu fassen.
Sie selbst sind immer wieder Kritik ausgesetzt, etwa für Ihren Vergleich des rechtspopulistischen Portals „Nius“ mit der linksalternativen „taz“. Oder für ihren Auftritt bei einer CDU-Veranstaltung auf dem Gelände des „Nius“-Finanziers Frank Gotthart. Wie neutral muss eine Bundestagspräsidentin sein?
Erst einmal erhalte ich aus der Bevölkerung sehr viel Zustimmung für die Klarheit in der Amtsführung. Und es ist doch absurd, dass es für eine CDU-Bundestagsabgeordnete, die ich auch bin, eine Kontaktschuld geben soll, weil ich auf dem Gelände eines IT-Unternehmers in meinem Heimatbundesland zu Gast bei einem CDU-Sommerfest war.
Es geht hier um einen Unternehmer, der 10.000 Arbeitsplätze stellt, bei dem der SPD-Oberbürgermeister auch zu Gast ist und dem das Verteidigungsministerium Aufträge erteilt. Wir sollten auch mal die Kirche im Dorf lassen mit solchen abstrusen Vorwürfen, das sei ein Plädoyer für die AfD. Im Übrigen sind von den 36 Ordnungsrufen bis dato im Bundestag 32 an die AfD gegangen. Zum Thema Neutralität als Bundestagspräsidentin: Wenn ich die Sitzung leite, ermahne ich auch Mitglieder meiner Fraktion oder der CDU-geführten Bundesregierung, wenn das geboten ist. Nicht der Absender ist entscheidend, sondern das Verhalten.
Und zu dem Vergleich von „Nius“ und „taz“ stehen Sie weiterhin?
Es gibt Medien, die sind ganz klar links verortet. Und es gibt Medien, die sind ganz klar rechts verortet. Auf beiden Seiten des Spektrums gibt es Lieblingsgegner, die ins Visier genommen werden – und auch eine Lieblingsklientel. So wie wir Blöcke im Parlament haben, gibt es das auch in der Medienlandschaft. Das muss mir nicht passen, aber auch das gehört zur Demokratie und ist durch die Meinungsfreiheit abgedeckt. Diesen Sachverhalt habe ich beschrieben.
Wir müssen doch in der Lage sein, inhaltliche Diskussionen zu führen und nicht gleich jemanden zu canceln, der nicht die eigene Meinung vertritt. Wer sofort moralisiert und die Gesinnung abfragt, hat offensichtlich kein Interesse am Austausch von Standpunkten und Argumenten. Und genau das beklagen viele Bürger zu Recht.


