Interview mit Heinsberger Landrat„Meine Mitarbeiter sind am Ende ihrer Kräfte“

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Der Heinsberger Landrat Stephan Pusch stand bundesweit im Fokus am Anfang der Corona-Krise.

  • Der Landkreis Heinsberg stand zu Beginn der Corona-Krise bundesweit im Fokus, nachdem sich bei einer Karnevals-Sitzung viele Bürger mit dem Corona-Virus infiziert hatten.
  • Im Interview spricht der Landrat Stephan Pusch über die Auswirkungen der Krise auf seinen Kreis, die Aufsehen erregende Studie des Bonner Virologen Hendrik Streeck in Heinsberg und die Corona-Krise als Zeitenwende für alle.

Herr Pusch, die Gemeinde Gangelt im Kreis Heinsberg und die inzwischen deutschlandweit bekannte Karnevalssitzung werden als die Keimzelle des Corona-Ausbruchs in Deutschland in die Geschichte eingehen. Sind Sie froh, dass der Spuk vorbei ist?

In den ersten Wochen waren wir alle im Ausnahmezustand. Jetzt sind wir bei der Corona-Pandemie zum Glück auf dem gleichen Niveau wie ganz Deutschland. Es herrscht eine angespannte Ruhe. Wir haben die Mitarbeiter im Gesundheitsamt aufgestockt. Ich muss sehr behutsam mit meinen Mitarbeitern umgehen. Nach so einer langen Zeit voller Stress sind sie am Ende ihrer Kräfte. Wir brauchen alle dringend mal Urlaub. Ich habe mich noch nie so sehr darauf gefreut wie in diesem Jahr, werde mit meiner Familie Ende Juli zwei Wochen in den Bayrischen Wald fahren. Einfach mal Tapetenwechsel.

Sie sind auf einen Schlag bundesweit als Corona-Krisenmanager bekannt geworden. Ihre Youtube-Videos haben Zehntausende verfolgt. Was macht das mit Ihnen?

Ich bin ja unfreiwillig in kurzer Zeit zum Corona-Experten geworden und beschäftige mich nach wie vor sehr eng mit dem Thema. Ich habe viele Kontakte zur großen Politik und zur Wissenschaft knüpfen müssen und dürfen, die ich jetzt natürlich weiter nutze. Kurioserweise hat eine Spezialfirma für Klimatechnik aus dem Kreis Heinsberg ein neues Gerät entwickelt, das Innenräume komplett virenfrei macht. Mit selbstreinigenden Filtern. Darüber sprechen wir gerade mit dem Gesundheitsministerium des Landes und der Wissenschaft. Das könnte eine Lösung vor allem für die Gastronomie und Veranstaltungsräume sein.

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Ein Landrat, der sich um Filtertechnik kümmert, die Räume von Viren befreien soll. Überschätzen Sie sich da nicht?

Ich habe mich immer als Problemlöser verstanden. Es hat aber keinen Zweck, jetzt mit aller Macht zu versuchen, einen Landkreis nach dem anderen virenfrei zu bekommen. Das macht nur Sinn, wenn wir in Kürze einen Impfstoff haben. Aber das ist ja wenig realistisch. Wir werden länger mit dem Virus leben müssen. Die Corona-Politik muss aus meiner Sicht auf zwei Säulen ruhen. Erstens: Das Gesundheitssystem mit ausreichenden Beatmungskapazitäten muss zur Verfügung stehen. Zweitens: Wir müssen vulnerable Einrichtungen wie Altenheime besonders schützen. Das ist beides gewährleistet. Wir haben im Kreis Heinsberg 4000 Pflegekräfte zum Teil mehrfach auf Corona getestet. Bei Großveranstaltungen wird man weiter sehr vorsichtig sein müssen. Aber wenn man alle anderen Dinge unter Einschränkungen wieder darf, kann man darauf wohl am ehesten verzichten.

Der Virologe Hendrik Streeck von der Bonner Uni-Klinik hat eine Corona-Langzeitstudie mit Betroffenen aus Gangelt angekündigt. Wird es dazu kommen?

Ja. Professor Streeck hat schon mit Hausärzten Kontakt aufgenommen. Er will klären, wie lange Menschen immun sind, die mit dem Virus infiziert waren und Antikörper entwickelt haben. Das wird er mit ausgewählten Patienten machen. Das halte ich für eine sehr spannende Sache. Dass es rund um die Dunkelziffer-Studie durch das Einschalten einer Agentur Misstöne gab, ist im Nachhinein sehr schade.

Haben Sie ansatzweise geahnt, was da alles auf sie zurollen wird?

Nein. Ich bekomme aus der Bevölkerung sehr viele positive Reaktionen, bin als Landrat schon dreimal mit 60 Prozent gewählt worden. Meine Mitarbeiter frotzeln schon: „Diesmal wirst Du wohl zwischen 80 und 90 Prozent landen.“ Aber deshalb trete ich ja nicht an. Ich möchte einfach, dass es meiner Bevölkerung gut geht. Ich habe ja auch noch drei kleine Kinder. Ich weiß, was das bedeutet, wenn man über viele Wochen auf Kitas und Schule verzichten muss. Man kriegt die ganzen Familienprobleme hautnah mit. Jetzt bekomme ich etliche Einladungen zu Seminaren, bei denen ich über Krisenkommunikation sprechen soll. Die Langzeitwirkungen der Krise spüren wir erst in zwei oder drei Jahren. Das ist schon eine Art Zeitenwende.

Zur Person

Stephan Pusch (geboren am 9. Oktober 1968 in Kleingladbach) ist CDU-Politiker und seit 2004 Landrat des Kreises Heinsberg

Was meinen Sie damit?

Die Fragen des persönlichen Lebens stellen sich noch einmal völlig neu. Wir hatten kurz vor dem Ausbruch der Pandemie eine Klimamanagerin eingestellt. Wir müssen neue regionale Wertschöpfungsketten aufbauen, beispielsweise in der Landwirtschaft. Der Klimawandel war ein Treiber, die Corona-Krise könnte das verstärken. Das Thema Resilienz, also die Widerstandsfähigkeit in politischen Krisen, kommt jetzt hinzu. Viele haben in der Krise ihre Heimat im positiven Sinne neu entdeckt. Es könnte eine Besinnung auf das engere Umfeld, auf die Familie und soziale Beziehungen geben. Die Herausforderung wird sein, den Alltag auf Dauer neu gestalten.

Was kann man tun?

Wir dürfen den Populisten mit ihren vermeintlich einfachen Lösungen nicht das Feld überlassen. Ich habe durch die Krise gerade das Glück, dass mir viele zuhören und das ernst nehmen, was ich zu sagen habe. Ich bekomme plötzlich in den Ministerien jemanden leichter ans Telefon. Das macht es mir leichter, für meine Bürger etwas zu erreichen.

Das Gespräch führte Peter Berger

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