Interview zu Kinderschändern„Höhere Strafen halten nicht von schrecklichen Taten ab“

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Bastian S. (r) ist des sexuellen Miss­brauchs kleiner Kinder in 33 Fällen an­ge­klagt – er wurde im Zuge der Ermittlungen in Bergisch Gladbach gefasst.

  • Der immer weitere Kreise ziehende Missbrauchs-Skandal in Bergisch Gladbach könnte dazu führen, dass das Strafmaß für Kindesmissbrauch und Kinderpornografie erhöht werden muss.
  • Michael Bertrams hält diese Maßnahme für falsch. Der Ex-Präsident des Verfassungsgerichtshofs NRW erklärt im Interview, warum er gegen die Erhöhung ist und was aus seiner Sicht deutlich effektiver im Kampf gegen Kinderschänder wäre.

Herr Bertrams, nach anfänglicher Ablehnung will Justizministerin Christine Lambrecht nun doch das Strafmaß für Kindesmissbrauch und Kinderpornografie erhöhen. Sie hatten sich in der Debatte dagegen ausgesprochen. Bleiben Sie dabei?

Ja, und ich bedauere, dass die Ministerin dem öffentlichen Druck aus politischen Gründen nachgegeben hat. Eine Anhebung des Strafmaßes für Kindesmissbrauch sowie für Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornografischer Schriften auf mindestens ein Jahr und damit ausnahmslos auf die Ebene des Verbrechens mag in der Öffentlichkeit das Bewusstsein für die Schwere der Tat schärfen. Damit ist jedoch in puncto Prävention nichts gewonnen. Eine derartige Strafverschärfung für den gesamten Deliktsbereich lässt keinen Spielraum für Differenzierung in Fällen minderer Schwere. Bei sexuellem Missbrauch ist schon jetzt ein Mindeststrafmaß von sechs Monaten vorgesehen und ein maximales Strafmaß von bis zu 15 Jahren möglich, zuzüglich einer etwaigen anschließenden Sicherungsverwahrung. Eine Strafverschärfung hat vor diesem Hintergrund vor allem symbolischen Charakter und wird gerade bei den Tätern wenig bewirken.

Warum?

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Eine höhere Strafandrohung hält Täter nach den Erfahrungen von Kriminologen nicht von ihren schrecklichen Taten ab, die Furcht vor Entdeckung sehr wohl. Je höher die Wahrscheinlichkeit, aufzufliegen und im eigenen sozialen Umfeld geächtet zu werden, desto abschreckender. Es sollten also alle Anstrengungen darauf zielen, die Prävention gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern zu verbessern.

Wofür plädieren Sie?

Ich plädiere – wie NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) – für verstärkte Wachsamkeit auf allen gesellschaftlichen Ebenen, insbesondere in Kitas und Schulen. Und ich plädiere für eine verbesserte Zusammenarbeit von Jugendämtern und Familiengerichten. Die Täter verstehen es hervorragend, sich zu tarnen und ihre Opfer zu manipulieren. Zum Schutz gefährdeter Kinder ist es deshalb essenziell, den Familiengerichten möglichst konkrete und belastbare Anhaltspunkte zu liefern, auf deren Basis sie über eine Herausnahme von Kindern aus ihren Familien und eine Inobhutnahme entscheiden können. Es geht dabei um einen massiven Eingriff in das elterliche Grundrecht. Deshalb tun sich die Gerichte verständlicherweise schwer, eine solche Entscheidung nur auf einen nicht hinreichend erhärteten Verdacht hin zu treffen.

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Welche Instrumente in den Händen der Ermittler halten Sie für besonders effizient? Die vieldiskutierte Vorratsdatenspeicherung wird auch jetzt wieder verlangt.

Der Ruf klingt ja auch gut. Aber was bewirkt die Vorratsdatenspeicherung im Kampf gegen Kindesmissbrauch? Es ist ja nicht so, dass die Täter sich ungeschützt im Netz bewegen oder in ihrer Telekommunikation jede Menge relevante Daten hinterlassen, die man nur einzusammeln und auszuwerten bräuchte. Das Gegenteil ist der Fall: Die Täter sind ins „Darknet“ abgetaucht, wo die Vorratsdatenspeicherung überhaupt nicht greift. Ganz abgesehen von den erheblichen verfassungsrechtlichen Vorbehalten. Die höchsten deutschen Gerichte und auch der Europäische Gerichtshof befassen sich seit zehn Jahren immer wieder mit der Vorratsdatenspeicherung, ohne dass man entscheidend weitergekommen wäre.

Was ist mit Online-Durchsuchungen?

Sie dürfen laut Strafprozessordnung ausdrücklich beim Verdacht auf schweren sexuellen Missbrauch eingesetzt werden. Aber auch hier gilt: Die Ermittler müssen erst einmal einen Verdächtigen ausgemacht haben, auf dessen Computer sie dann zugreifen können. Soweit kommen sie oftmals aber gar nicht, weil sich die Straftaten, um die es geht, im besagten Darknet abspielen. Diesen verschlüsselten Sektor im Internet aufzuhellen und mit Hilfe Künstlicher Intelligenz (KI) systematisch zu durchforsten, halte ich daher für den entscheidenden Hebel.

Der verstärkte Einsatz der KI ist auch Teil des Forderungskatalogs von Minister Reul nach der Aufdeckung des Missbrauchsfalls in Münster.

Im Gegensatz zu seinem Ruf nach Strafverschärfung stimme ich Reul hier ausdrücklich zu. Die gezielte Auswertung unglaublich großer Datenmengen ist den Ermittlern auf herkömmlichem Weg schlicht unmöglich. Allein im Fall Münster haben sie es mit 500 bis 600 Terabyte zu tun. Das entspricht weit mehr als 100 Millionen Fotos oder bis zu 300 000 Stunden Videomaterial. Deshalb hat es ja auch mehr als ein Jahr gedauert, bis die Ermittler zuschlagen und die Tatverdächtigen dingfest machen konnten. Ich halte deshalb alle Maßnahmen für richtig, die den Behörden hier die Arbeit erleichtern. Schon jetzt geben ihnen die Erfolge recht.

Sehen Sie hier etwaige rechtliche Hürden, die dem verstärkten Einsatz Künstlicher Intelligenz im Weg stehen?

Nein. Das macht ja den zusätzlichen Charme des Einsatzes der KI gegen die Umtriebe im Darknet aus. Im Gegensatz zu Vorratsdatenspeicherung oder Online-Durchsuchungen stellt sich die Frage nach Rechtsverletzungen von Seiten der Ermittler nicht. Es gibt im Darknet ja niemanden, in dessen Rechte sie illegalerweise eingreifen könnten. Im Gegenteil: Die Täter entziehen sich ja gerade dem an Recht und Gesetz gebundenen Raum von Kommunikation und Datenaustausch und bewegen sich bewusst in der Anonymität und der Illegalität.

Das Gespräch führte Joachim Frank

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