Waffen, gefälschte AusweiseIslamisten-Netzwerk um Abu Walaa versorgte IS-Kämpfer

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Der Screenshot von Al Manhaj Media zeigt Abdulaziz Abdullah Abdullah, alias Abu Walaa, bei einer Predigt. Er ist seit einigen Jahren einer der einflussreichsten Prediger der radikalen deutschen Salafisten-Szene. Im November 2016 wurde er festgenommen.

Der Screenshot von Al Manhaj Media zeigt Abdulaziz Abdullah Abdullah, alias Abu Walaa, bei einer Predigt. Er ist seit einigen Jahren einer der einflussreichsten Prediger der radikalen deutschen Salafisten-Szene. Im November 2016 wurde er festgenommen.

Köln/Berlin – „Schnappt ihn euch und tötet ihn“, brüllt Abdulaziz Abdullah Abdullah alias Abu Walaa laut Polizeiprotokoll bei einer Versammlung mit seinen Anhängern. Zuerst gelte es, einen eventuellen Abtrünnigen in den eigenen Reihen ausfindig zu machen. „Schlachtet seinen Kopf, damit die anderen es sehen und es nicht nachmachen.“ Anschließend seien „die Polizei und die Kuffar (Ungläubigen) in Deutschland“ dran, ergänzt der „Sheikh“ mit Wohnsitz im nordrhein-westfälischen Tönisvorst. Die Sicherheitsbehörden halten ihn für einen der Chefideologen und obersten Vertreter des „Islamischen Staates“ (IS) in Deutschland.

Im November vergangenen Jahres nehmen Spezialkräfte den gebürtigen Iraker und vier seiner Vertrauten wegen des Verdachts der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung fest. Unter anderem soll das Quintett Kämpfer für die Terrormiliz angeworben haben. Abu Walla, so hatten Informanten des nordrhein-westfälischen Landeskriminalamtes (LKA) zuvor berichtet, soll sich mehrfach sogar öffentlich zum IS bekannt haben. Ein ehemaliger Mitstreiter gab an, der Prediger habe in Vier-Augen-Gesprächen gesagt, er sei vom IS „beauftragt und autorisiert“ worden, Rechtsgutachten zu erstellen und Kämpfer zu rekrutieren.

Suche nach Beweisen

Unter dem Einfluss des 32-Jährigen und dessen Verbündeten soll sich auch Anis Amri radikalisiert haben, der beim Berliner Sattelschlepper-Attentat zwölf Menschen tötete und 50 schwer verletzte. Die umfangreichen Akten der Ermittlungen gegen Abu Walaa und seine Mitstreiter zeigen nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“, dass schon lange zuvor bekannt war, in welchem Umfeld sich der Tunesier bewegte. Und sie belegen, wie schwierig und kompliziert es für die Fahnder oft ist, die Entscheidung zu treffen, einen Extremisten zu verhaften – oder eben nicht.

Die Sprüche vom Kopfabschlagen oder dem Kampf gegen die „Ungläubigen“ und die deutsche Polizei alleine jedenfalls reichen nicht für einen Haftbefehl. Monatelang suchen die Ermittler deshalb Belege dafür, dass die Islamisten-Zelle aus dem Ruhrgebiet Kämpfer für die IS-Terrormiliz anwirbt. Telefone werden überwacht, ehemalige Mitstreiter sowie die Angehörigen einiger Extremisten werden als Zeugen vernommen und es gelingt sogar, zwei V-Leute in die Szene einzuschleusen.

Kontakt via Messenger

Das Ergebnis: Eine Vielzahl von Beweisen, die belegen sollen, dass das Netzwerk mindestens ein Dutzend IS-Kämpfer angeworben und in den Krieg nach Syrien geschickt hat. Bereits im Sommer 2015 berichteten Insider, die nordrhein-westfälischen Terror-Unterstützer würden vor der Ausreise sogar ein Full-Service-Paket für die Gotteskrieger anbieten: Gefälschte Ausweise ebenso wie Kontaktnummern von Schleusern, Hinweise zu als Taxifahrer getarnten Verbündeten sowie zu Unterschlupfmöglichkeiten an der türkisch-syrischen Grenze.

Selbst ein „IS-Bürge“, ohne den man bei der Terrororganisation nicht anheuern kann, werde Ausreisewilligen vermittelt, heißt es in Unterlagen, die dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegen. Mitglieder des Netzwerkes seien vom IS-Geheimdienst in Syrien per Messenger-Dienst gefragt worden, ob sie für einzelne Kämpfer bürgen. Und für die Reisen sei dann auch Geld zur Verfügung gestellt worden, das vom NRW-Netzwerk durch Einbrüche sowie Betrügereien mit Handy- oder iPad-Verträgen sowie aus Spenden generiert worden sei. Etwa zwei Millionen Euro sollen den Extremisten so zugeflossen sein.

Gefälschte Notrufe für einen Hinterhalt

Mit dem Geld seien womöglich auch Waffen gekauft worden, die für Anschläge in Deutschland genutzt werden sollten. Dies berichtet im Sommer und Herbst 2015 ein V-Mann dem Landeskriminalamt in NRW. Handgranaten und Pistolen mit Schalldämpfern, so hätten Mitglieder der Gruppe berichtet, seien bereits vorhanden. Eine Polizeistation, beispielsweise in Wuppertal, solle angegriffen oder die Beamten durch gefälschte Notrufe in einen Hinterhalt gelockt werden, ergänzte im November 2016 ein weiterer Insider. Extremisten-Anführer Abu Walla, so habe es geheißen, habe die Aktion auch schon genehmigt. Im Gespräch sei zudem gewesen, 15 Sturmgewehre vom Typ AK-47 im Wert von 15000 Euro anzukaufen.

Gespräche über Pläne für Bomben-Lkw

Ob die Waffen aber tatsächlich beschafft wurden, ist unklar. Auch konkrete Anschlagsplanungen konnten bisher nicht belegt werden. Dies gilt auch für einen weiteren angeblichen Plan der Islamisten, von dem ein Polizei-Informant im Juli 2015 berichtet. Im inneren Kreis sei darüber gesprochen worden, einen „Lkw voller Benzin“ mit einer Bombe zu versehen, um damit dann in eine Menschenmenge zu fahren. Als denkbares Ziel seien Großveranstaltungen wie ein Pferderennen diskutiert worden. Bei diesem Gespräch soll der Berlin-Attentäter Amri zwar nicht zugegen gewesen sein.

Fest steht den Ermittlungen zufolge aber, dass er sich an den Standorten des Netzwerkes im Ruhrgebiet aufgehalten hat: Im Duisburger Reisebüro des mittlerweile auch inhaftierten 50-jährigen Türken Hasan C. ebenso wie in der Dortmunder Wohnung des festgenommenen 36-jährigen Deutsch-Serben Boban S., in der Amri auch übernachtet haben soll. Beide Örtlichkeiten sollen dazu genutzt worden sein, junge Männer für den Dschihad zu rekrutieren.

Sechs Monate Ausbildung

Die „Schüler“, der jüngste davon soll erst 14 Jahre gewesen sein, seien zunächst darauf vorbereitet worden, am bewaffneten Kampf in Syrien teilzunehmen, berichten Insider der Polizei. Etwa sechs Monate dauere die „Ausbildung“ – Glaubensunterweisung und arabische Sprachkenntnisse inklusive. „Alternativ zur Ausreise“ seien die Teilnehmer aber auch für den bewaffneten Kampf in Deutschland geschult worden.

Der 16-jährige Yusuf T. aus Essen soll aufmerksam zugehört haben. Derzeit muss sich der Jugendliche mit zwei Komplizen wegen eines Sprengstoffanschlags auf einen Sikh-Tempel in Essen vor Gericht verantworten. Das Attentat soll in der Gruppe um Abu Walaa Jubel ausgelöst haben. Gegenüber einem V-Mann der Polizei brüstete sich der Duisburger Reisebüro-Betreiber Hasan C. damit, den Teenager im Hinterzimmer seines Geschäftes unterrichtet zu haben. Die Altersklasse sei ideal für die Zwecke der Islamisten. „Die Jungen sind Gold wert“, tönte C., „sie lassen sich besser formen.“

Obwohl die nordrhein-westfälischen Sicherheitsbehörden Anis Amri erst ab Februar oder März 2016 offiziell als islamistischen „Gefährder“ führen, soll er nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ bereits am 23. Dezember 2015 an einer von den Ruhrpott-Islamisten organisierten 16 Kilometer langen Wanderung mit schwerem Gepäck teilgenommen haben. Fitnesstraining für die zukünftigen Gotteskrieger, vermuten die Ermittler. Ende 2015 und 2016 soll der Tunesier dann geplant haben, als Kämpfer in den „Islamischen Staat“ auszureisen. Im Frühjahr 2016 aber gibt es Berichte darüber, der 24-Jährige fordere andere Personen dazu auf, gemeinsam mit ihm Anschläge in Deutschland zu begehen.

Im Internet soll Amri nach Anleitungen zum Bombenbau gesucht haben. Und er wolle sich „großkalibrige Schnellfeuergewehre“ beschaffen, notieren die Fahnder. Im Juli 2016 berichtet ein Undercover-Agent dem LKA Düsseldorf, Amri habe damit geprahlt, ein Blutbad anzurichten. Erneut habe er „mehrfach davon gesprochen, Anschläge zu begehen.“ Ein Helfer namens Abdul R. habe angeboten, dem Tunesier gefälschte Pässe zu beschaffen.

Keine Hinweise auf Anschlag

Doch alle Bemühungen der Ermittler sind vergebens. Hinweise oder Beweise auf einen konkret geplanten Anschlag werden nicht gefunden, obwohl das Telefon von Amri ab März vom Landeskriminalamt Berlin überwacht wird. Seit dem Frühjahr hält sich der Tunesier überwiegend in Berlin auf. Seine martialischen Ankündigungen alleine jedenfalls reichen nicht für einen Haftbefehl, lautet offensichtlich die Einschätzung. Was nicht ungewöhnlich ist, da Festnahmen mit vergleichbarer Beweislage vor Gericht in der Regel nicht standhalten.

Viele Details sind noch ungeklärt

Zweieinhalb Wochen nach dem Terroranschlag von Anis Amri in Berlin sind zahlreiche Details weiterhin offen. Nach wie vor sei unklar, an wen Amri unmittelbar vor dem Attentat auf den Weihnachtsmarkt aus dem Fahrerhaus des Lkw heraus eine Sprachnachricht und ein Foto gesendet habe, sagte die Sprecherin der Bundesanwaltschaft, Frauke Köhler, am Mittwoch in Karlsruhe.

Unklar ist auch, ob Amri schon in Italien Kontakt zu dem später in Berlin getöteten polnischen Lkw-Fahrer aufgenommen hatte. Die Bundesanwaltschaft gehe auch dieser Frage nach, sagte Köhler. Es gebe bislang aber weder Erkenntnisse, die dafür sprächen, noch welche dagegen.

Der Fahrer hatte mit dem Lkw Stahlteile aus Italien nach Berlin-Moabit gebracht, wo Amri den Wagen kaperte. Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass der Tunesier Vorkenntnisse zur Bedienung des Lkw hatte. (dpa)

Auch die Möglichkeiten des Paragrafen 58a des Aufenthaltsgesetzes, wonach eine Abschiebung „zur Abwehr einer besonderen Gefahr“ dringend angeordnet werden kann, helfen aufgrund der dürftigen Beweislage nicht weiter, heißt es im Juli 2016 im Gemeinsamen Terrorismus-Abwehrzentrum in Berlin. Amris Gefährlichkeit könne nicht „gerichtsfest“ belegt werden, heißt es in Medienberichten.

Im September schließlich lehnt ein Berliner Richter auch ab, die Telefonüberwachung des Tunesiers zu verlängern, berichtet das Magazin „Focus“. Dem Juristen bleibt wohl keine andere Wahl, denn es gibt nur Indizien für Aktivitäten Amris im Berliner Drogenmilieu. Mutmaßliche Dealer aber dürfen, im Gegensatz zu Terroristen, nicht länger als ein halbes Jahr abgehört oder observiert werden.

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