Kai MykkänenDieser Klimaminister freut sich über Atomkraftwerke

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Wahlkampfplakate der finnischen Präsidentschaftskandidaten. Die erste Runde der finnischen Präsidentschaftswahlen findet am 28. Januar 2024 statt.

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Finnlands Minister für Umwelt und Klimawandel, Kai Mykkänen, spricht über das neue finnische Atomkraftwerk, Europas Klimapolitik und ehrgeizige Umweltziele.

Während in Deutschland im vergangenen Jahr das letzte Atomkraftwerk abgeschaltet wurde, ging in Finnland ein neues ans Netz. Es war viel teurer als erwartet und hat viel länger gedauert. Sind AKWs noch zeitgemäß und die Zukunft?

Ja, das stimmt und wir haben großes Glück, dass das größte Atomkraftwerk Europas seit diesem Winter am Netz ist. In den letzten zwei Wochen war es in Finnland extrem kalt, und ohne das neue Kernkraftwerk hätten wir tagelang große Probleme mit der Stromversorgung gehabt. Dieses moderne Kernkraftwerk ist daher im Moment die einzige Lösung für Finnland. Als Energie- und Klimaminister bin ich sehr froh über die nukleare Grundlast von über 40 Prozent, die es uns auch ermöglicht hat, dass 94 Prozent unserer Stromerzeugung im letzten Jahr frei von fossilen Brennstoffen waren. Damit haben wir unsere Emissionen aus der Stromerzeugung seit 2010 um fast 90 Prozent reduziert. Mit Blick auf die Zukunft bedeutet jeder realistische Weg zu einer kohlenstoffneutralen Wirtschaft in Finnland, wie in allen anderen Industrieländern auch, eine deutliche Steigerung der Strommenge. Denn wir ersetzen fossile Brennstoffe in Industrie und Verkehr durch Strom und Wasserstoff, der ja auch auf Strom basiert. Und unser Ziel ist, dass dieser Strom vollständig CO2-frei ist.

In Deutschland befürchtet man, dass ein hoher Anteil erneuerbarer Energien teuer wird. Ist das in Finnland anders?

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Nein, und die Frage nach günstigem Ökostrom beschäftigt nicht nur die finnischen Bürger, sondern auch die Industrie. Investoren fragen nach Zehnjahresverträgen mit festen Strompreisen. Das ist derzeit eine der größten Herausforderungen im Wettbewerb um Investitionen der Schwerindustrie in Finnland. Wir müssen also ein Gleichgewicht zwischen unseren erneuerbaren Energien und der Kernenergie finden, um eine günstige und stabile Grundlast für Industriekunden zu gewährleisten. Es ist klar, dass wir in Zukunft mehr Wind- und Solarenergie haben werden, und wir brauchen auch flexible Energiequellen, Pumpspeicher und Batterien. Aber wir brauchen nach wie vor die Atomkraft, um die Grundlast für die Industrie zu sichern.

Nicht nur Finnland, sondern auch andere EU-Länder investieren in neue Atomkraftwerke, statt sich ganz auf erneuerbare Energien zu konzentrieren. Wie passt das zu den europäischen Zielen, den Ausbau der erneuerbaren Energien schnell voranzutreiben?

Erstens wollen wir erreichen, dass das Klimapaket und die europäische Klimaarchitektur stärker auf einen technologieneutralen Ansatz ausgerichtet werden. Jeder Mitgliedsstaat sollte seinen eigenen Weg zur Klimaneutralität wählen können. Wir dürfen die Kernenergie nicht verbieten, denn sie ist der realistischste Weg, um weg von fossilen Brennstoffen und CO2-Emissionen zu kommen. Ich weiß, dass viele Menschen in Deutschland Atomkraft nicht mögen. Aber wir glauben, dass dies der einzige Weg ist, um unsere Emissionen aus der Stromerzeugung ausreichend zu reduzieren, und wir kümmern uns auch um den Atommüll. Deutschland sollte unseren Weg verstehen, muss ihm aber nicht folgen. Und zweitens würden wir gerne die Ziele für erneuerbare Energien durch Ziele für nicht fossile Energien ersetzen, anstatt immer zwischen erneuerbaren und nuklearen Energien zu unterscheiden. Nur um das klarzustellen: Wir haben in Finnland kein Problem mit erneuerbaren Energien, im Gegenteil: Die Strommenge aus Windkraft ist in den letzten fünf Jahren sprunghaft angestiegen. Die Windenergie ist heute eine der drei wichtigsten Stromquellen, aber ihr Produktionsniveau ist nicht sicher, und deshalb halten wir es für besser, eine nukleare Grundlast zu haben.

Sollten EU-Gelder für den Umstieg auf grüne Energie auch für den Bau von Atomkraftwerken verwendet werden?

Ja, wir sind der Meinung, dass wir alle sauberen Energiequellen gleich behandeln sollten. Deshalb sollte die gesamte CO2-freie Stromerzeugung mit EU-Mitteln gefördert werden. Wir hoffen aber, dass wir die staatlichen Subventionen minimieren können. Die Finanzmärkte sind besser darin, Gewinner auszuwählen, als wir in der Regierung.

Ist das Ziel Europas, bis 2050 klimaneutral zu werden, ehrgeizig genug?

Natürlich wäre es besser, deutlich früher klimaneutral zu werden, um uns vor den schwerwiegenden Folgen des Klimawandels zu schützen. Aber es ist sinnvoller, eine gut durchdachte Politik umzusetzen, als auszutesten, wie ehrgeizig wir sein können. Ehrlich gesagt ist es ein ziemlich ehrgeiziges Ziel, bis 2050 in Europa klimaneutral zu werden – aber wir sind auf dem richtigen Weg. In einigen Sektoren wie der Landwirtschaft und dem Verkehr wird die Transformation länger dauern. Das betrifft vor allem Mitgliedsstaaten, in denen der Durchschnittsbürger nicht so viel Geld hat, um sich zum Beispiel ein Elektroauto zu kaufen. Natürlich bin ich für ehrgeizige Pläne, aber wie viel können wir den Menschen zumuten? Wenn wir der Industrie zu viele Vorschriften zum Klimaschutz machen, wird unsere Wirtschaft sterben. In Finnland und anderen europäischen Ländern gibt es bereits immer mehr Demonstrationen gegen die Klimapolitik, aber wir brauchen alle Bürgerinnen und Bürger an Bord. Wir dürfen die Menschen nicht überfordern.

Winterszenerie im finnischen Äkäslompolo Anfang Januar.

Winterszenerie im finnischen Äkäslompolo Anfang Januar.

Hinzu kommt, dass bei der Europawahl viele Menschen für eine Partei stimmen könnten, die sich gegen ehrgeizige Klimaschutzmaßnahmen ausspricht. Wie könnten sich die Wahlen auf den Klimaschutz auswirken?

Die Wahlen werden die europäische Klimapolitik auf jeden Fall verändern. Denn das Parlament hat viel mehr Einfluss auf die Klimaagenda der EU-Kommission, als die meisten denken. Ein neues Parlament kann den Klimavorhaben eine neue Richtung geben. Ich hoffe, dass sich das nächste Parlament für kosteneffizientere Klimaschutzmaßnahmen entscheiden wird, aber gleichzeitig an den grundsätzlichen Ambitionen festhält. Das bedeutet in vielerlei Hinsicht auch, dass weniger mehr ist. Im Moment haben wir zu viele detaillierte Vorschriften, zum Beispiel zur Energieeffizienz oder darüber, welcher Strom zur Herstellung von grünem Wasserstoff verwendet wird. Die vielen Detailvorschriften machen es der Industrie so schwer, dass sie sich mit Investitionen zurückhält. Das sehen wir auch in den Bereichen CO2-Speicherung und Wasserstoffproduktion. Die Industrie hat Angst, dass die Regeln für erneuerbare Energien alle zwei Jahre geändert werden. Damit schießen wir uns selbst ins Knie, und das nächste Parlament muss damit Schluss machen.

Wäre eine Pause beim Klimaschutz besser, damit die Industrie aufholen kann?

Ich würde nicht von einer „Pause“ sprechen, denn das wäre für Unternehmen kein Anreiz für Investitionen. Sie investieren heute in die Defossilisierung unserer Wirtschaft, und das müssen wir unterstützen. Es geht mir nicht um eine Pause, sondern um eine Rückbesinnung auf die Grundlagen der Klimapolitik. Wir brauchen eine Politik, die den CO2-Ausstoß teuer macht. Der Emissionshandel ist eine der Erfolgsgeschichten der EU-Klimapolitik. Auf dem Weg zur Klimaneutralität müssen wir die Strategie der CO2-Bepreisung stärken.

Sie wollen Finnland zur ersten kohlenstoffneutralen Volkswirtschaft Europas machen. Wie schwierig wird dieser Wandel sein und welche Ratschläge haben Sie für Länder, die Ihnen folgen wollen?

In Finnland konzentrieren wir uns darauf, die fossilen Emissionen noch schneller zu reduzieren, vor allem bei der Fernwärme und in der Industrie. Außerdem investieren wir in die CO2-Abscheidung in der Industrie. Hier gibt es ein riesiges Potenzial, das in zehn bis 15 Jahren nutzbar sein könnte. Ich würde auch anderen Staaten empfehlen, sich intensiver mit diesem Instrument zu beschäftigen. Eine besonders schwierige Frage für Finnland ist, wie sich der Forstsektor im Laufe der Zeit verändern wird. Der Umgang mit Wäldern, die viel CO2 speichern, ist wahrscheinlich unsere größte Herausforderung auf dem Weg zur Kohlenstoffneutralität. Aber wir haben auch neue Konzepte und testen, wie im Großraum Helsinki eineinhalb Millionen Menschen heizen können, ohne etwas zu verbrennen. Dort nutzen wir Abwärme, erneuerbare Energien, Stromspeicher und reduzieren den Energieverbrauch. Wenn wir mit diesem Konzept Erfolg haben, könnte es ein Exportschlager für größere Städte werden. Und das ist das Wichtigste für das Klima, denn allein können wir Finnen nichts ändern.

Aber was ist mit kleineren EU-Ländern, die sich keine großen Schritte wie Finnland leisten können?

Ich habe dafür kein Patentrezept. Aber wir müssen alle zusammenarbeiten, um die kosteneffizientesten Wege und Instrumente zu finden, um auf saubere Stromerzeugung zu setzen und diese auszubauen. Wir sind immer bereit, unsere Freunde zu unterstützen und glauben, dass mit gemeinsamen Anstrengungen alle Länder klimaneutral werden können.

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