Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

DBICE-Sprinter nach Berlin könnte für Pendler im Rheinland zur Katastrophe werden

Lesezeit 5 Minuten

Konkurrenten auf vollen Gleisen: Ein ICE verlässt neben einem Regional-Express (l.) den Kölner Hauptbahnhof.

Köln – Die Deutsche Bahn lernt fliegen. Vier Stunden mit dem ICE-Sprinter von Köln nach Berlin. 20 Minuten schneller als bisher. Nur ein Zwischenstopp in Hannover. Das ist der Plan des Fernverkehrs, der ab Dezember 2020 Zug um Zug Wirklichkeit werden soll. Die Bahn will damit dem Flugzeug Konkurrenz machen. Weg vom Flieger, rein in die Bahn.

Nahverkehr muss ausweichen

Den Fernverkehrskunden freut es, doch beim Nahverkehr Rheinland (NVR) ist man stinksauer. Weil Tausende Berufspendler in der Region Köln/Bonn darunter leiden werden. Wenn der Sprinter kommt, muss der Nahverkehr ausweichen. „Mich nervt, dass ein Unternehmenszweig der Bahn ein Konzept zulasten des Nahverkehrs aufsetzt, ohne mit uns gesprochen zu haben“, sagt NVR-Geschäftsführer Norbert Reinkober.

Verärgert: NVR-Geschäftsführer Norbert Reinkober.

„Das wurde heimlich eingestielt über die Politik in Bonn und Berlin. Das geht so nicht. Da können wir gleich mit Traktoren über die Strecke fahren.“ Das sind die wichtigsten Fragen zum Trassenstreit.

Was plant die Bahn zwischen Köln und Berlin?

Ab Dezember 2020 will die Bahn eine Sprinter-Verbindung zwischen Köln, Hannover und Berlin einrichten. Zunächst mit drei Fahrten pro Tag und Richtung. Ab Dezember 2024 soll der Takt auf zwei Stunden verkürzt werden. Die ICE-Sprinter sollen nach der Sanierung des Bonner Hauptbahnhofs weiter auf der schon überlasteten Trasse bis Bonn fahren. Das wird frühestens 2021 möglich sein. Die Zahl der Sitzplätze in den ICE würde zwischen Köln und Berlin um 40 Prozent steigen.

Wie werden die 20 Minuten eingespart?

Der neue ICE-Sprinter soll von Köln über die sogenannte Wupper-Strecke, also über Wuppertal, Hagen und Hamm nach Berlin fahren und nach den bisherigen Plänen nur in Hannover halten.

Wie wird bisher gefahren?

Bisher fährt die ICE 10-Linie geteilt in zwei Flügeln. Ein Zug fährt von Köln im Stundentakt über Wuppertal bis Hamm und weiter nach Berlin. Das ist der „Wupper-Flügel“. Der zweite Zug von Düsseldorf über Dortmund bis Hamm weiter nach Berlin. Das ist der „Ruhr-Flügel“. In Hamm werden beide Züge zusammengekoppelt. Dieser Kuppel-Vorgang alleine kostet rund zehn Minuten.

Sollen die alten Verbindungen bestehen bleiben?

Ja. Der „Wupper-Flügel“ wird künftig statt alle 60 Minuten nur noch alle zwei Stunden fahren. Damit verschlechtert sich für die Städte Wuppertal und Hagen das Angebot, weil der Sprinter nach den bisherigen Plänen dort wohl nicht halten wird. Man prüfe, ob Stopps in Wuppertal und Hagen möglich seien, sagt die Bahn.

Der „Ruhr-Flügel“ fährt wie gewohnt im Stundentakt von Düsseldorf über Essen und Dortmund, also auch in den Sprinter-Stunden. Die Bahn will auf dem „Ruhr-Flügel“ den ICE 1 oder den neuen ICE 4 einsetzen, um die Zahl der Sitzplätze deutlich zu erhöhen. „Geflügelt“ – also die beiden Züge über die Ruhr-Schiene und den Wupper-Schiene in Hamm koppeln, würde dann nur noch in den Stunden, in denen der Sprinter nicht fährt.

Sind mehr Plätze nötig?

Ja. Die Verbindung Köln–Berlin ist in NRW die zweitwichtigste nach Köln-Frankfurt. Durch das neue Konzept wird sich die Zahl der Sitzplätze pro Richtung von 800 auf bis zu 1300 erhöhen. „Das bestehende Konzept erreicht in den nächsten fünf Jahren das Ende seiner Möglichkeiten“, sagte Philipp Nagl vom DB Fernverkehr unlängst im Verkehrsausschuss des Landtags. „Wir kommen also in eine Situation, in der man an Tagen wie Freitag und Sonntag keine Sitzplätze mehr in den Zügen findet.“ Auf einigen Verbindungen ist das schon heute der Fall.

Klingt doch gut. Warum reagiert der Nahverkehr Rheinland (NVR) so verärgert?

Weil die ICE-Sprinter die Regionalzüge zwischen Bonn, Köln, Wuppertal und Hagen überholen müssen. Das betrifft laut Nahverkehr Rheinland die Regionalbahn 48 zwischen Köln und Bonn und den Regional-Express 7 (Rheine-Münster-Wuppertal-Köln-Krefeld), der schon jetzt nur selten pünktlich fährt. Vier weitere Linien seien auch noch betroffen, so der NVR. „Wir haben für den RE 7 und die RB 48 extra neue spurtstarke Fahrzeuge angeschafft, die Tempo 160 fahren können“, sagt NVR-Geschäftsführer Norbert Reinkober. „Wir haben Pufferzeiten eingebaut. Wenn das Sprinter-Konzept so umgesetzt wird, können wir das alles vergessen.“ Die Berufspendler auf den jetzt schon völlig überlasteten Strecken hätten das Nachsehen. „Wir haben nichts dagegen, dass die Bahn ihr Fernverkehrsangebot ausweiten will. Aber das ist nicht ausgegoren.“

Gibt es Alternativen?

Ja. Das Land hat eine Alternative entwickelt, die den Regionalverkehr in NRW kaum beeinträchtigt und durch die Überholungen vermieden werden. „Wir würden die Fahrplanreserven verschieben“, sagt NVR-Geschäftsführer Norbert Reinkober.

Das könnte Sie auch interessieren:

Warum geht der Fernverkehr der Bahn nicht darauf ein?

Aus zwei Gründen: Erstens verschöben sich die Probleme mit dem Nahverkehr nur von Nordrhein-Westfalen nach Niedersachsen. Zweitens will die Bahn das für das Jahr 2021 nicht, weil zwei Jahre später die IC-Verbindung Amsterdam-Berlin über Hannover angepasst werden muss. Bisher müssen die Züge auf dieser Linie 77 an der Grenze zu den Niederlanden in Bad Bentheim halten und Lokomotiven wechseln, weil die Stromsysteme unterschiedlich sind. Das dauert rund 15 Minuten.

Die DB wird für die Strecke neue Züge kaufen, die Ausschreibung ist erfolgt. Die Niederländer wollen neue Loks besorgen, die durchfahren können. Das bedeutet: 2023 muss der Fahrplan zwischen Berlin und Hannover sowieso verändert werden.

Wie geht es jetzt weiter?

Die Bahn versichert, dass sie an einem Kompromiss arbeitet. „Es ist uns auch klar, dass wir eben nicht alle Halte und Fahrpläne so machen können, wie es für die Fernverkehrskunden optimal ist“, sagte Philipp Nagl vom Fernverkehr der DB im Verkehrsausschuss des Landtags. Gäbe es keinen Nahverkehr, könne man in drei Stunden und 45 Minuten von Berlin nach Köln fahren. „Aber das ist natürlich nicht Realität.“ Zudem nutze jeder zweite Fernverkehrskunde auch den Nahverkehr. „Daher ist es für uns von großer Bedeutung, dass Anschlüsse funktionieren.“

Wer entscheidet?

Über die Trassenvergabe entscheidet letztlich die Bundesnetzagentur. Das wichtigste Kriterium ist dabei die Wirtschaftlichkeit. Wer die höchsten Trassenpreise zahlt, hat Vorfahrt. Und das ist der Fernverkehr.

Wann wird entschieden?

Wenn der erste Sprinter im Dezember 2020 fahren soll, muss im Herbst 2018 entschieden werden. Neue Fahrpläne für den Fernverkehr haben wegen der internationalen Auswirkungen einen Vorlauf von zwei Jahren.