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Kommentar zum Twitter-RückzugPrien entzieht sich von ihr selbst ausgelöster Debatte

Lesezeit 3 Minuten
Prien Karin 140222 Portrait

CDU-Politikerin Karin Prien (Archivbild)

  1. Karin Prien hat nach einem Wochenende voll massiver Kritik ihren Twitter-Account deaktiviert und begründet das mit der Debattenkultur im sozialen Netzwerk.
  2. So wird aber auch berechtigte Kritik kurzerhand vom Tisch gewischt – ein Kommentar.

Köln – Karin Prien hat die digitale Notbremse gezogen. Die Bildungsministerin von Schleswig-Holstein und derzeitige Präsidentin der Kultusministerkonferenz deaktivierte am Sonntagabend ihren Twitter-Account. Zuvor sah sich die CDU-Politikerin über das gesamte Wochenende hinweg massiver Kritik und Rücktrittsforderungen ausgesetzt. So begründete Prien dann auch ihren Rückzug. Bei ihren Terminen außerhalb von Twitter erlebe sie eine „andere Kultur“.

Dass manche Wortmeldungen, die als Reaktion auf Priens Aussage vorgebracht wurden, deutlich unter der Gürtellinie waren, steht außer Frage. Dass die Nerven – gerade bei Familien mit Kindern – nach zwei Jahren Pandemie bei vielen blank liegen, ist ebenfalls offenkundig. Aber darf das als Grund für eine Politikerin durchgehen, sich einer Debatte zu entziehen, die sie zuvor selbst mit einer inhaltlich fragwürdigen und kommunikativ misslungenen Aussage losgetreten hatte?

Prien löste die Debatte selbst aus

Am Freitag hatte Prien, nachdem sie zuvor bereits mit einem Auftritt bei „Markus Lanz“ für viele verärgerte Reaktionen gesorgt hatte, auf Twitter noch einen draufgesetzt und einer Nutzerin, die auf die Anzahl an Corona verstorbener Kinder hingewiesen hatte, ohne viel Einfühlungsvermögen geantwortet. „Bitte differenzieren: Kinder sterben. Das ist extrem tragisch. Aber sie sterben mit COVID_19 und nur extrem selten wegen COVID_19“, verkündete Prien trocken und sorgte damit für eine Lawine der Entrüstung, die bis zum Wochenbeginn kaum an Fahrt verlor.

Dass es keine allzu gute Idee ist, nach einer Aussage zu tragischen Todesfällen bei Kindern, ein „Aber“ anzuhängen, darauf hätte Prien vorher kommen können. Nein, darauf hätte sie als Bildungsministerin sogar kommen müssen. Schließlich gehört die Kenntnis über die Stimmungslage bei Eltern und Schülerschaft zu ihrem Aufgabenbereich.

Genauso zum Aufgabenbereich von Politikern gehört übrigens vernünftige und in manchem Falle auch einfühlsame Kommunikation. Priens Stärke scheint das nicht zu sein.

Beleidigungen und scharfe Kritik nicht in einen Topf werfen

Dennoch gelang es der Bildungsministerin bereits kurz nach ihrem Tweet, die Debatte auf Twitter in eine andere Richtung zu lenken. Statt über die inhaltliche Position Priens wurde schnell nur noch über die Beleidigungen debattiert, die die CDU-Politikerin sich in der Folge anhören musste. Nicht falsch verstehen: Beleidigungen sind inakzeptabel, aber sie sind auch trauriger Alltag in den sozialen Netzwerken. Mit diesem Verweis ließe sich also nahezu jede inhaltliche Debatte auf Twitter unterbinden. Und vermutlich auch viele öffentliche Auftritte von Politikern in Bierzelten.

Ein Grund, die unzähligen, durchaus scharfen, aber überwiegend sachlich vorgetragenen, kritischen Reaktionen auf ihre Wortmeldung in einen Topf mit Beleidigungen zu werfen und damit einfach zu ignorieren, ist das nicht. Getwittert wurde noch nie mit Samthandschuhen – übrigens auch nicht von Karin Prien.

Debatte über Twitter-Kultur statt Debatte über Priens Inhalte

Eine neue Taktik ist diese Art der Diskursverschiebung übrigens nicht. Eine Diskussion von ihrem ursprünglichen Thema wegzuführen, wird gemeinhin „Derailing“ genannt. Doch macht man es sich zu einfach, wenn man nun so tut, als seien die wütenden und empörten Reaktionen ein reines Social-Media-Phänomen, dem man sich durch Deaktivierung einfach entziehen könnte.

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Hinter Twitter-Accounts sitzen in den allermeisten Fällen Menschen. Schüler, Eltern, normale Bürger – jedermann kann dank sozialer Netzwerke in direkten Kontakt mit gewählten Vertretern kommen. Das ist gewiss nichts Negatives. Und viele Bürger und Bürgerinnen machten von dieser Möglichkeit am Wochenende Gebrauch.

Der eigenen Bitte folgen

Sich angesichts dessen auf wenige indiskutable Beleidigungen zu fixieren und dabei die große Anzahl an berechtigter Kritik einfach mit vom Tisch zu wischen, steht gerade Politikern nicht gut zu Gesicht. „Bitte differenzieren“ hatte Prien ihren Auslöser-Tweet schließlich begonnen. Es wäre doch schön, wenn sie ihre eigene Bitte befolgen würde.