Kommentar zu Benedikt XVI.Der Vorwurf der Queerfeindlichkeit ist begründbar

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Katholische Bischöfe nehmen an der öffentlichen Trauermesse für den emeritierten Papst Benedikt XVI. auf dem Petersplatz teil. Sie tragen rote Messgewänder und Scheitelkäppchen in der Bischofsfarbe violett.

Bischöfe mit violetten Pileoli (Scheitelkäppchen) und roten Messgewändern in der Trauermesse für den verstorbenen Benedikt XVI.

Nach einem kritischen Kommentar zum Tod des früheren Papstes Benedikt XVI. ist gegen das Portal queer.de eine Strafanzeige wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener erstattet worden. Unser Kommentator sieht Benedikts Denkmalschützer am Werk.

Wussten Sie, dass Homosexuelle in schwerwiegender Weise daran gehindert sind, korrekte Beziehungen zu Männern und Frauen aufzubauen? War Ihnen klar, dass Sie im Umgang mit Homosexuellen stets an deren affektiver Reife zweifeln sollten? Dass mit tiefsitzenden homosexuellen Tendenzen selbstverständlich auch die Gefahr einhergeht, eine sogenannte homosexuelle Kultur zu unterstützen?

Solche Dinge zu behaupten, sagen Sie, sei unverschämt? Ignorant, beleidigend und – zumal in der öffentlichen Kommunikation – ein Stück weit auch verleumderisch?

Weiheverbot für Homosexuelle

Stimmt. Aber solche Einwände haben den verstorbenen Papst Benedikt XVI. zu Beginn seiner Amtszeit 2005 nicht daran gehindert, all diese hanebüchenen Aussagen in einem hochoffiziellen Dokument des Vatikans zu approbieren, der „Instruktion über Kriterien zur Berufungsklärung von Personen mit homosexuellen Tendenzen im Hinblick auf ihre Zulassung für das Amt und zu den heiligen Weihen“.

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Dem maximal verschraubten Titel des Papiers der Kongregation für das katholische Bildungswesen entspricht die auf ein Minimum reduzierte Botschaft: Alles, bloß keine Schwulen im Klerus!

Realitätsverweigerung und institutionalisierte Doppelmoral

Dass homosexuelle Menschen – ob sie nun Priester werden wollen oder nicht – in einer solchen kirchlichen Verlautbarung, versehen mit päpstlichem Placet und somit höchster amtlicher Autorität, einen abgefeimten Ausdruck von Schwulenfeindlichkeit erkennen, ist nicht nur nachvollziehbar, sondern auch berechtigt. Zumal es längst common sense ist, dass der Anteil der Homosexuellen in der katholischen Geistlichkeit weit über dem Bevölkerungsdurchschnitt liegt. Gerade im Vatikan sollte das jeder wissen, der Augen hat, zu sehen, und Ohren hat, zu hören, wie es schon in der Bibel heißt.

Texte wie die von Benedikt XVI. approbierte Instruktion sind daher nicht nur Ausdruck einer formidablen Realitätsverweigerung, sondern auch einer institutionalisierten Doppelmoral – zulasten insbesondere der ungezählten katholischen Männer, die ihre homosexuelle Orientierung als Kandidaten für das Priesteramt oder später nach ihrer Weihe verheimlichen, leugnen oder verdrängen müssen, damit nur ja wahr bleibt, was nach päpstlicher Lesart wahr sein soll.

Urteil über Aussagen Benedikts XVI. sollte von der Meinungsfreiheit gedeckt sein

Wenn das LGBTQI-Portal queer.de den früheren Papst nach dessen Tod am Silvestertag als „queerfeindlichen Hetzer“ bezeichnet, ist das sehr wohl begründbar. In jedem Fall ist es eine Bewertung bestimmter Aussagen des Papstes, die von der Meinungsfreiheit garantiert sein sollte.

Der Herausgeber von queer.de, Micha Schulze, erinnert zu Recht auch an den notorischen Kampf, den der als Joseph Ratzinger geborene Kirchenführer schon in seiner Zeit als Kurienkardinal und oberster katholischer Glaubenswächter gegen die „Ehe für alle“ geführt hatte. Erkennbar genüsslich zitiert Schulze aus einem 2020, also sieben Jahre nach Benedikts Rücktritt als Papst, erschienenen Buch. Darin habe der „Papa emeritus“ die Ehe für alle als „Deformierung des Gewissens“ bezeichnet und die „geistige Macht des Antichrist“ – etwas verständlicher formuliert: des Teufels – dafür verantwortlich gemacht.

Die Denkmalschützer sind mit Feuereifer am Werk

Menschen, die Benedikt mutmaßlich sehr verbunden sind, sehen in der Reaktion von queer.de auf Aussagen wie diese eine „Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener“. Auf eine Strafanzeige hin wurde nach Angaben eines Polizeisprechers ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, wie zunächst unter anderem die „tageszeitung“ (taz) berichtete.

Dieses Vorgehen passt zu der vom Münsteraner Theologieprofessor Michael Seewald diagnostizierten „Dünnhäutigkeit“ der Ratzinger-Verehrer bei allem, was an Kritik und Vorbehalten gegenüber ihrem Idol laut wird. Die Denkmalschützer sind mit Feuereifer schon am Werk, noch ehe überhaupt ein Denkmal errichtet ist.

Dass sie sich auch des strafrechtlichen Instrumentariums bedienen, ist ihnen in einem Rechtsstaat unbenommen. Aber natürlich gerät die völlig legitime Auseinandersetzung über das Wirken Joseph Ratzingers und seine Folgen damit in eine Sphäre, in die sie nicht gehört. Wir leben schließlich in einem freien Land mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung – auch wenn manche in der katholischen Kirche damit fremdeln und sich stattdessen vielleicht lieber den Kirchenstaat zurückwünschten, in dem der Papst als Souverän sakrosankt war und gegen Kritiker – bildlich gesprochen – die Schweizergarde mobil machen konnte.

Mit absolutistischer Machtfülle ausgestattet

Ein Papst, als eine der öffentlichsten Persönlichkeiten überhaupt, innerkirchlich mit absolutistischer Machtfülle ausgestattet, muss sich auch über den Tod hinaus scharfe Kritik an seinem öffentlichen Reden und Handeln gefallen lassen. Es geht hier schließlich nicht um die Privatperson Joseph Ratzinger, sondern um den Funktionär und zeitweilig höchsten Repräsentanten der Institution katholische Kirche weltweit.

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