Kommentar zu tödlichen PolizeieinsätzenVertrauen ist gut, Kontrolle ist besser

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Demo Dortmund dpa 110822

Zwei Tage nach den tödlichen Schüssen der Polizei auf einen 16-Jährigen protestieren mehrere hundert Demonstranten vor der Polizeiwache Nord gegen den Tod des Jungen. 

  • Nach den tödlichen Schüssen auf einen 16-Jährigen fürchtet Innenminister Reul Misstrauen gegenüber der Polizei.
  • Die Stimmen nach unabhängigen Beschwerdestellen werden jedoch zurecht immer lauter – ein Kommentar.

Es war der dritte Mensch in wenigen Tagen, der bei Polizeieinsätzen in Nordrhein-Westfalen zu Tode gekommen ist. Und nach den tödlichen Schüssen eines Polizeibeamten in Dortmund gegen einen 16-Jährigen kommt es deshalb nun zu einer fragwürdigen bis absurden Situation: Die Polizei Recklinghausen, bei der es am Sonntag zu einem tödlichen Einsatz gekommen war, untersucht den Tötungsfall der Dortmunder Kollegen vom Montag, während die Dortmunder den der Recklinghäuser Polizei ermittelt.

Es ist ein grotesker Missstand in der Kontrolle der Polizei, der hier offenbar wird. Auch NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) findet dieses Prozedere, so hört man, im konkreten Fall nicht optimal – ändern will er daran aber zunächst nichts. Dabei wären Änderungen überfällig.

Umgang mit Fehlern ist allzu oft ein Problem

Dass Fehler passieren, auch bei der Polizei, ist menschlich. Das Problem ist allzu oft der Umgang damit. Die deutsche Polizei erweckte in der Vergangenheit den Eindruck, als könne es so etwas gar nicht geben: Polizeigewalt, Fehlverhalten von Beamten, missglückte Einsatzplanung und Durchführung oder Fehler generell. Ex-Bundesinnenminister Horst Seehofer verhinderte sogar eine Studie über rassistische Einstellungen bei der deutschen Polizei. Alles in Ordnung hier, bitte gehen Sie weiter – das darf nicht die Devise sein.

Dass die Polizei in Deutschland Verantwortung für ihre Fehler übernimmt, bleibt eine absolute Ausnahme. Eine Ausnahme bleibt es übrigens auch, wenn Polizeibeamte vor Gericht erfolgreich für Fehlverhalten belangt werden können.

Auch nach Dortmund erleben wir die immer gleichen Reflexe

Nach Dortmund sehen wir wieder die immer gleichen Reflexe. Innenminister Reul sorgt sich um „Misstrauen“ gegenüber seinen Beamten. Vertrauen haben Polizeibeamte fraglos verdient, da braucht sich der Innenminister keine Sorgen zu machen. Aber Vertrauen ersetzt Kontrolle nicht – und die ist eben noch besser. Und sie ist auch überhaupt nichts Schlimmes, sondern ein Eckpfeiler jeder Demokratie.

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Warum die Polizei in Deutschland von einer externen Kontrolle verschont bleibt, und stattdessen unter Kollegen ermitteln darf, war bereits vor den Fällen in Dortmund und Recklinghausen nicht plausibel erklärbar. Ob Kennzeichnungspflicht oder unabhängige Beschwerde- und Ermittlungsstellen – beides gibt es in Deutschland nicht. In anderen Demokratien schon, und das nicht ohne Grund.

Europäische Nachbarländer machen es besser

Derartige Einrichtungen gibt es in unterschiedlichen Ausgestaltungen in vielen europäischen Nachbarländern. In Dänemark ist die „Unabhängige Polizeibeschwerdebehörde“ für Fälle wie in Dortmund zuständig, ihre Mitglieder werden vom dänischen Justizministerium benannt, in ihrer Arbeit sind sie unabhängig und weisungsfrei. „Die Polizeiberufungsbehörde bemüht sich um eine faire Fallbearbeitung für alle Beteiligten und arbeitet weder im Dienst des Bürgers noch der Polizei, sondern im Dienst der Wahrheit“, schreiben die Dänen auf ihrer Webseite. Das müsste ja auch Innenminister Reul eigentlich gefallen.  

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