Kommentar zur OECD-StudieTeenager träumen vom Lehrerberuf – na und?

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OECD-Studie_Berufswünsche

Immer noch wollen viele deutsche Jugendliche Mechatroniker werden. 

  • Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat eine Auswertung zu den Berufswünschen 15-Jähriger veröffentlicht.
  • Oft, aber beileibe nicht immer, schwärmen Jungen und Mädchen im Alter von 15 Jahren für eher traditionelle Berufe wie Lehrer oder Ärztin.
  • Die OECD macht daraus ein Riesenproblem und sieht die Gefahr, dass Jugendliche nicht für die Zukunft der Arbeitswelt in Industriestaaten ausgebildet werden. Doch das ist Unfug. Ein Kommentar.

Können Sie sich daran erinnern, was Sie mit 15 werden wollten? Ich wollte Kapitän werden. Auf großer Fahrt. Ich hatte damals viele Seefahrerromane verschlungen. Mit einem großen  Frachtschiff über die Weltmeere schippern, stellte ich mir toll vor.

Zugegeben, das ist ein paar Jahrzehnte her. Und zugegeben, damals erschöpfte sich mein und der Kontakt meiner Schulkameraden mit dem Berufsleben während der Schulzeit in  einem eintägigen Besuch im örtlichen Berufsbildungszentrum des Arbeitsamtes, wie das damals hieß. Girls's Day? Eintägige Schnupperpraktiken in Unternehmen? Zwei- bis dreiwöchige Schülerbetriebspraktiken in Betrieben? Besuche von Vertretern der Handwerkskammern oder Industrie- und Handelskammern in Schulen oder gar von Freiberuflern wie Grafik-Designern, Rechtsanwälten oder Ärzten oder Unternehmensvertretern in Schulen? Gab's alles nicht.

Die Zeiten haben sich geändert. Jungen und Mädchen in Nordrhein-Westfalen haben schon in der Sekundarstufe I vielfältige Kontakte mit der Arbeitswelt, hören Praktikern zu, die aus ihrem Berufsalltag berichten und bekommen vielfältige Angebote, sich mit Berufsbildern auseinanderzusetzen – vom Dachdecker über den Kfz-Mechaniker bis zum Softwareentwickler.

Was sich nicht geändert hat, ist die Tatsache, dass 15-jährige Jugendliche mitten in der Pubertät sich mit vielen Dingen beschäftigen, vor allem auch mit den Veränderungen im eigenen Körper, mit ihrem eigenen sich verändernden Blick auf das andere oder gleiche Geschlecht, mit der Art und Weise, wie ihre gleichaltrige und erwachsene Umwelt sie betrachtet. 

Die Frage: Was will ich später mal werden?, konkurriert in dem Alter mit einer Vielzahl anderer wichtiger Fragen, die die Aufmerksamkeit der Jugendlichen beanspruchen. Sie ist nicht das alles beherrschende Gesprächsthema der jungen Leute, auch wenn sich die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) das vielleicht wünscht. Unter anderem deshalb stehen oben auf der Liste der Wunschberufe oft solche, die die Jungen und Mädchen aus dem Elternhaus oder der Schule kennen oder die traditionell ein hohes Ansehen genießen wie der Arztberuf.

Aus diesen Angaben nun abzuleiten, es bestehe „ein großes Risiko, dass wir die nächste Generation für unsere Vergangenheit ausbilden und nicht für deren Zukunft“, wie es der  OECD-Bildungsexperte Andreas Schleicher tut, ist, jedenfalls mit Blick auf Deutschland, blanker Alarmismus. Zumal die befragten 15-jährigen Jungen in Deutschland 2018 doch sogar in großer Zahl angaben, dass sie mit 30 IT-Spezialist sein würden.

Aber Schleicher tut so, als seien die Angaben 15-Jähriger über ihre Berufswünsche in Stein gemeißelt, als ändere sich daran bis zur ersten Schulabschluss gar nichts mehr. Das ist eine gewagte Annahme, die mit der Realität wenig zu tun hat.

Im Gegenteil wandeln sich Berufswünsche Jugendlicher in aller Regel, oft sogar mehrmals, bevor sie sich tatsächlich für eine Ausbildung oder ein Studienfach entscheiden. 

Darüber hinaus macht die Organisation der Industrieländer eine merkwürdige Dichotomie auf, indem sie traditionelle Berufsbilder solchen gegenüberstellt, die mit der Digitalisierung der Wirtschaft entstanden sind. Die OECD tut so, als ob zum Beispiel Dachdeckerbetriebe ihre Angebote immer noch auf dem Zeichentisch ohne CAD und 3-D-Modellierung erstellen würden.

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Und ganz offensichtlich ist die Weiterentwicklung des Berufsbildes Kfz-Mechaniker zum Mechatroniker auch an der Organisation vorbeigegangen. Die Zahl der tatsächlich neuen unter den aktuell 326 dualen Ausbildungsberufe, die neu im Zuge der Digitalisierung hinzugekommen sind, ist  überschaubar: Es sind genau drei. 

Nein, diese Sonderauswertung der neuesten Pisa-Studie baut jedenfalls mit Blick auf Deutschland einen Popanz auf, ein Problem, das es nicht gibt.

Das mit dem Kapitän auf großer Fahrt (ich weiß, ich weiß, der heißt inzwischen Nautischer Offizier) hab' ich mir übrigens auch nochmal überlegt. 

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