Trotz historisch schlechtem WahlergebnisSPD hofft auf Koalition mit Grünen und FDP

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NRW-Spitzenkandidat der SPD Thomas Kutschaty hofft trotz historisch schlechtem Wahlergebnis auf den Ministerposten.

Düsseldorf – Als der Spitzenkandidat um 18.30 Uhr die Bühne betritt, könnte man denken, die SPD habe die Wahl gewonnen. „Thomas, Thomas“, skandieren die Genossen. Der Frontmann der Sozialdemokraten nimmt den Jubel dankbar entgegen. „Das tut gut an so einem Abend“, ruft Kutschaty in Mikrofon. „Vielen Dank für die Aufmunterung.“ 320 Sozialdemokraten sind zur Wahlparty in den Radschläger-Saal der Düsseldorfer Rheinterrassen gekommen. „Es gibt keinen Grund, den Kopf in den Sand zu stecken“, sagt Kutschaty. „Aber es ist klar, dass die SPD heute CDU und Grünen zu ihrem Wahlerfolg gratuliert.“

Jochen Ott, Landtagsabgeordneter aus Köln, sieht keinen Grund, die Flinte ins Korn zu werfen. „Wir haben immer noch alle Chancen, eine Fortschrittskoalition mit Grünen und FDP zu bilden“, sagte der Schulpolitiker. Sven Wolf, Rechtsexperte der SPD-Landtagsfraktion, nickt. „Natürlich haben wir uns ein besseres Ergebnis gewünscht. Aber wir müssen sehen, wo wie herkommen. Vor einem Jahr hatten wir Umfragewerte von 17 Prozent. Thomas Kutschaty hat eine großartige Aufholjagd hingelegt.“

Auch der frühere NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans bleibt zuversichtlich: „Die schwarz-gelbe Landesregierung ist abgewählt. Das Wahlergebnis ist ein Auftrag an alle demokratischen Parteien, jetzt zu schauen, welche Mehrheiten möglich sind. Die Chance ist jedenfalls da, aus diesem Wahlergebnis eine progressive Regierung zu bilden.“

Im Oktober 2021 lag SPD 13 Prozent vor der Union

Warum hat es am Ende nicht für Platz eins gereicht? Bis April hatten die Meinungsforschungsinstitute die SPD vor der CDU gesehen. Im Oktober 2021 lag die SPD sogar 13 Prozent vor der Union. Wie kam es dazu, dass der Vorsprung am Ende verspielt wurde? An den Tischen stehen die Sozialdemokraten nachdenklich beim Bier zusammen. Manche üben verhaltene Kritik. So habe der SPD-Slogan „Mit Euch gewinnen wir das Morgen“ nicht gezündet. „Diese Tonlage ist eher was für Kirchentage“, sagt ein Genosse, der aus Ostwestfalen zur Wahlparty in die Landeshauptstadt gekommen ist. „Der Wahlkampf wirkte zu defensiv. Es gab kein zentrales Thema, um eine Wechselstimmung anzutreiben.“

Möglicherweise sei auch der Rückenwind aus Berlin überschätzt worden. Der erhoffte „Scholz-Effekt“ habe sich jedenfalls nicht eingestellt. Die CDU-Kampagne um die Nähe der SPD zu Russland könnte in Teilen verfangen haben, heißt es. „Es wäre besser gewesen, Gerhard Schröder aus der Partei rauszuschmeißen“, sagt eine Genossin aus Hilden.

Fehlersuche macht auch vor Kutschaty nicht halt

Dabei hatten viele gehofft, dass die Mallorca-Affäre der CDU die SPD auf die Gewinnerstraße führen würde. NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser trat zurück, nachdem durch Recherchen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ ans Licht gekommen war, dass die Politikerin aus Köln zwei Kabinettskollegen kurz nach der Flutkatastrophe zu einer Geburtstagsfeier auf die Balearen-Insel eingeladen hatte. Dann stellte sich aber heraus, dass ein übereifriger Mitarbeiter der SPD-Landtagsfraktion versucht hatte, die minderjährige Tochter der Ministerin auszuspähen. Ein Fauxpas, der eine Empörungswelle gegen die SPD auslöste.

Die Fehlersuche macht auch vor dem Spitzenkandidaten nicht Halt. „Thomas hätte nicht sagen dürfen, dass auch Platz zwei für die Regierungsbildung reicht“, sagt eine Wahlkämpferin aus Düsseldorf. „Das war Gift für die Mobilisierung.“ Vielleicht sei Kutschaty zu unbekannt gewesen. „Aber den Wüst kannten auch nicht viel mehr Leute“, sagt die Genossin. Auch die Schlagzeilen um den umstrittenen Helikopterflug vor dem Osterurlaub von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht hätten geschadet.

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Was solls. Getreu dem Motto „glücklich ist, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist“ lassen sich viele SPD-Anhänger die gute Laune nicht verderben. Es sei immerhin gelungen, Schwarz-Gelb nach nur fünf Jahren wieder abzuwählen. Das habe die FDP vor allem dem „Zickzack-Kurs“ ihrer Schulministerin bei den Tests in den Schulen zu verdanken, sagt ein Juso: „Schüler, Eltern und Lehrer waren Frau Gebauer satt. Das hat uns geholfen.“

Zu der SPD-Party in den Rheinterrassen waren auch die frühere NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und Kutschatys Ehefrau Christina gekommen. Doch die große Party, auf die viele gehofft hatten, fiel ins Wasser.

Zuversicht sinkt von Hochrechnung zu Hochrechnung 

Von Hochrechnung zu Hochrechnung sinkt die Zuversicht der Genossen. Viele hatten ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der CDU erwartet, der deutliche Abstand zur stärksten Partei ist eine große Enttäuschung. Thomas Weber, Mitglied des Ortsvereins Düsseldorf Nord, glaubt aber nicht, dass die SPD mit einem anderen Spitzenkandidaten besser gepunktet hätte. „Der Thomas ist einer von uns. Der war in Essen-Borbeck von der Pike an bei den Jusos mit dabei. Die Leute sagen ja immer, Stallgeruch sei nicht mehr wichtig. Ich glaube aber schon, dass uns die Glaubwürdigkeit geholfen hat.“

Anders als Kutschaty hatte Kraft ihre Karriere in der SPD als Seiteneinsteigerin gestartet. „Das war ein Nachteil“, erinnert sich ein Ratsherr aus Duisburg: „Als die nach der Pleite vor fünf Jahren abdanken musste, ward die bei den Parteitagen nicht mehr gesehen. Die hat den Laden sich selbst überlassen.“

Genossen hoffen auf Gespräche mit FDP und Grünen

Vielleicht sei gerade diese Nichteinmischung ein Grundstein für den Aufstieg Kutschatys gewesen, gibt ein Parteifreund zu bedenken. Ein Genosse aus dem Ruhrgebiet erinnert sich an die mühselige Neuaufstellung nach der Wahlpleite vor fünf Jahren, als Kutschaty sich gegen den Willen der Parteigranden in einer Kampfabstimmung als Fraktionschef durchgesetzt hat: „Da hat er Mut und Charakter bewiesen.“

Und wie geht es weiter? Drei Stunden nach der ersten Hochrechnung harren nur noch wenige Genossen vor den Bildschirmen aus. Auf der Wahlparty hoffen viele, dass es Sondierungsgespräche mit Grünen und FDP gibt. „Die Grünen werden versuchen, uns die Haare vom Kopf zu fressen“, sagt ein Genosse scherzhaft. Die FDP könne angesichts der Verluste kaum hohe Ansprüche stellen. „Jetzt kommt es auf die Grünen an“, sagt ein Sozialdemokrat aus Bochum. „Wenn Sie es mit der Ampel in Berlin noch ernst meinen, können sie in NRW nicht Schwarz-Grün machen.“ 

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