„Politisch tödlicher Satz“Gäste bei Markus Lanz entsetzt von Aiwangers Antisemitismus-Statement

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dpatopbilder - 29.08.2023, Bayern, Steinbrünning: Hubert Aiwanger (Freie Wähler, M), Wirtschaftsminister von Bayern, verabschiedet sich nach seiner Rede am Politischen Abend auf dem Herbstfest Steinbrünning. Die Freien Wähler präsentieren ihr Wahlprogramms und stellen die Land- und Bezirkstagskandidaten vor. Foto: Tobias C. Köhler/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Hubert Aiwanger am Mittwochabend (29. August) nach seiner Rede auf dem Herbstfest in Steinbrünning. Zuvor hatte sich Aiwanger zur Flugblatt-Affäre geäußert.

Nach Hubert Aiwangers Einlassung vom Mittwoch ist das öffentliche Echo vernichtend. Inzwischen steht fest, wann der Landtag tagen wird. 

Der Fall Hubert Aiwanger zieht weitere Kreise. Im bayerischen Landtag wird es am Donnerstag (7. September) eine Sondersitzung zu den Vorwürfen gegen Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger geben. Landtagspräsidentin Ilse Aigner werde auf Antrag von Grünen, SPD und FDP den sogenannten Zwischenausschuss einberufen, teilte der Landtag am Donnerstag mit.

Am Mittwoch hatte sich der Freie-Wähler-Chef erstmals vor TV-Kameras zu der Affäre um das antisemitische Hetzblatt, in dessen Besitz er sich im Alter von 17 Jahren befunden hatte, geäußert. Er erklärte unter anderem, dass er „seit dem Erwachsenenalter, die letzten Jahrzehnte: Kein Antisemit, kein Extremist – sondern ein Menschenfreund“ gewesen sei. In seiner Jugendzeit könne „das ein oder andere so oder so interpretiert werden“, so Aiwanger.

Die Erklärung Aiwangers stößt bei einer breiten Öffentlichkeit auf Unverständnis, Kopfschütteln und Entsetzen. Der Tenor: Mit dieser Haltung mache der stellvertretende bayerische Ministerpräsident alles nur noch schlimmer. Damit räume er indirekt ein, in seiner Jugend ein Antisemit gewesen zu sein, und ein antisemitisches Pamphlet als „interpretationsoffen“ darzustellen, verbiete sich ohnehin. „Das war's für Hubert Aiwanger“, kommentierte „Springer“-Journalist Paul Ronzheimer am Mittwoch beim Kurznachrichtendienst X, ehemals Twitter. 

Hubert Aiwanger will angeblich in Aschau im Festzelt auftreten

Ganz spurlos scheinen die Diskussion und die immer weiteren Enthüllungen aus seiner Jugendzeit, die das Bild eines Rechtsradikalen zeichnen, nicht an Aiwanger vorbeizugehen. Die „Bild“-Zeitung berichtet am Donnerstag, dass Aiwanger einige Wahlkampf-Termine abgesagt habe. Demnach wollte er eigentlich mehrere Unternehmen besuchen, dies sei nun nicht mehr der Fall.

Für Donnerstagabend ist ein Besuch des bayerischen Vize-Regierungschefs in Aschau am Chiemsee geplant. Dort soll auf dem Jahrmarkt beim Bieranstich im Festzelt zu Gast sein. Auf Nachfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ am Donnerstagvormittag bei den Veranstaltern soll sich ab dieser Planung bislang nichts geändert haben. 

Friedrich Merz nennt Affäre um Hubert Aiwanger „höchst unappetitliche Geschichte“

Nachdem die Spitzen der Ampel-Koalition Aufklärung und Konsequenzen vom bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder gefordert hatten, positionierte sich auch der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz. „Das ist eine höchst unappetitliche Geschichte“, sagte Merz den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass 17- oder 18-jährige Schüler noch in den 80er Jahren so etwas schreiben. Das muss nun wirklich vollständig aufgeklärt werden.“

Auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt kritisierte Aiwanger. Dieser sei „sehr, sehr schmallippig geblieben. Das ist der aktuellen Situation sicher nicht angemessen“, sagte der CSU-Bundestagsabgeordnete dem Sender Welt-TV.

Kritisiert wird auch, dass Aiwanger bislang inhaltlich überhaupt keine Stellung bezogen hat. Das wird als mindestens empathielos gegenüber Überlebenden des Holocaust gewertet. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sagte: „Hubert Aiwanger lässt auch Tage nach dem Bekanntwerden des antisemitischen Flugblattes aus seiner Schulzeit Einsicht und die Bereitschaft zur ehrlichen Auseinandersetzung vermissen. Es hätte eine schnelle Reaktion in diesem Sinne gebraucht.“

Erstaunen bei „Markus Lanz“ über Hubert Aiwanger

Auch bei Markus Lanz war Aiwanger am Mittwochabend ein großes Thema. Der Moderator nannte Aiwangers Erklärung, er sei seit dem Erwachsenenalter kein Antisemit, einen „politisch tödlichen Satz“. Faz-Journalistin Helene Bubrowski zeigte sich erstaunt, wie Aiwanger es schaffe, seine Lage mit jedem Tag schlimmer zu machen. Wenn sich Aiwanger direkt und erklärend zu den Vorwürfen geäußert und Reue gezeigt hätte, wäre die Diskussion sicherlich ganz anders gelaufen, stimmt die Runde überein. 

Journalist Roman Deininger von der „Süddeutschen Zeitung“, der seit langem über Aiwanger schreibt, glaubt, dieser wolle die Affäre aussitzen. „Was Hubert Aiwanger geschafft hat, eben weil er so als seltsames Wesen aus den Wäldern des Südens wahrgenommen wird, dass er die Maßstäbe, die für ihn gelten, so gedehnt hat, dass er mit allem davon kommt“, charakterisiert Deininger ihn. „Er wirkt entschlossen, das durchzuziehen“, glaubt er. Es gebe immer noch viele Aiwanger-Fans. Daher sei eine Entlassung seines Stellvertreters durch Söder auch nicht so einfach.

Aiwanger-Vertraute meldete sich angeblich schon vor 15 Jahren beim Lehrer

Zur Recherche der „Süddeutschen Zeitung“, die mit dem Flugblatt an die Öffentlichkeit gegangen ist, werden unterdessen immer mehr Details bekannt. Die Brisanz des Pamphlets war Aiwanger ganz offenbar schon früher klar. Vor 15 Jahren meldete sich eine Vertraute des Freie-Wähler-Chefs bei dem Lehrer des Burkhart-Gymnasiums in Mallersdorf-Pfaffenberg, der „quasi im Besitz dieses Flugblattes war“, um sich zu erkundigen, ob Aiwanger Gefahr drohe. Das berichtet Journalist Roman Deininger bei „Lanz“. Als bekannt wurde, dass Medien nun erneut in dem Fall recherchieren, habe Aiwanger sich erneut danach erkundigt.  

Der „Focus“ berichtet, ein ehemaliger Lehrer von Aiwangers Schule habe gezielt daran gearbeitet, Bayerns Vize-Regierungschef zu stürzen. Ein ehemaliger Mitschüler berichtet dem MAgazin, der Ex-Lehrer Aiwangers habe ihn acht Wochen zuvor aufgesucht mit dem Anliegen zu bestätigen, dass das antisemitische Flugblatt von Hubert Aiwanger verfasst worden sei. Es sei Zeit, dass die „braune Socke“ jetzt stürze, habe der Ex-Lehrer gesagt. Der ehemalige Mitschüler konnte und wollte dies aber nicht bestätigen.

Hubert Aiwanger bestreitet, Hitlers „Mein Kampf“ in der Tasche gehabt zu haben

Aiwanger äußerte sich in der Nacht zu Donnerstag erneut bei X und nahm auf diesen Bericht Bezug. Er schreibt, Zeugen würden ihm „unschöne Sachen unterstellen“ und verweist damit indirekt auf die angeblichen Aktivitäten des SPD-nahen Ex-Lehrers, der dem „Focus“ zufolge belastendes Material gegen ihn sammle. 

Aiwanger bestreitet ebenso bei X, Hitlers „Mein Kampf“ in der Schultasche gehabt zu haben, wie dies von ehemaligen Mitschülern ausgesagt worden war. „Es wird immer absurder“, so der Freie-Wähler-Chef, das sei „Unsinn“.

Am Tag zuvor hatte Aiwanger bei X von einer „Schmutzkampagne“ gegen ihn geschrieben und auch damit wenig Einsicht gezeigt. 

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