Mordaufruf, Terror-Netzwerk und IS-KontakteHass-Prediger Abu Walaa kommt vor Gericht

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Abu Wallaa

Lange galt Abu Walaa als der „Prediger ohne Gesicht“, weil er in Internet-Videos mit dem Rücken zur Kamera sprach. 

Köln – Sein Wort war Gesetz. Ahmad Abdulaziz A., alias Abu Walaa, galt als der verlängerte Arm der Terror-Miliz „Islamischer Staat“ (IS) in Deutschland. In ihrem Namen sprach der 33-jährige Iraker, der mit seiner Familie im niederrheinischen Tönisvorst wohnte, Recht in der radikal-islamischen Salafisten-Szene in Deutschland.

Bis zu seiner Verhaftung im November 2016 zählte der Imam der DIK-Moschee in Hildesheim, der im Jahr 2001 als Asylbewerber anerkannt wurde, zu den Führungsfiguren der Hardcore-Islamisten hierzulande. Der „Sheikh“, wie ihn seine Anhänger ehrfürchtig nannten, soll der Kopf eines Netzwerks sein, das junge Muslime in geheimen Koranschulen (Madrasa) im Ruhrpott radikalisierte und zum IS schleuste.

Als der Hassprediger im Herbst 2016 in einer Videobotschaft unterschwellig zur Tötung eines Verräters aufrief, erntete er offenen Zuspruch: Seinerzeit hatte Abu Walaa einen Polizeispitzel in den eigenen Reihen enttarnt. Der V-Mann trug den Decknamen Murat. Der Mordaufruf verfing: Ein Salafist bot 200 Euro für jeden Messerstich, der dem „Abtrünnigen“ zugefügt wird. Andere riefen dazu auf, einen Mietkiller anzuheuern. Das Geld könne unter dem Hashtag „fang den Spion“ gesammelt werden.

Abu Walaa fungierte als Nummer eins des IS in Deutschland

So zumindest steht es in der Anklage der Bundesanwaltschaft und in den Ermittlungsakten, die der „Kölner Stadt-Anzeiger“ einsehen konnte. Der Mordaufruf wird in dem mit Spannung erwarteten Terror-Prozess gegen Abu Walaa und vier seiner Getreuen vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Celle vom kommenden Dienstag an eine große Rolle spielen. 200 Ordner, 44 DVDs mit Telefonüberwachungs-Protokollen, Observationsberichte, Auswertungsvermerke, Dutzende Berichte von Polizeiinformanten, selbst neue Methoden für einen Lauschangriff aus den Niederlanden füllen die Akten der Strafverfolger.

Nach Ansicht der Ankläger fungierte Abu Walaa als Nummer eins des IS in Deutschland. Der Web-Imam ohne Gesicht, der auf Youtube stets mit dem Rücken zur Kamera auftrat, verfügte demnach über Kontakte zum Geheimdienst und zur Spitze des IS. Ohne seine Zustimmung durften seine zahlreichen Anhänger nicht in den Dschihad ziehen – sei es in Deutschland oder in Syrien.

Der Fall Abu Walaa sorgt für immenses Aufsehen: Zu seinem Netzwerk zählte beispielsweise auch der Attentäter Anis Amri, der im vergangenen Dezember mit einem Lkw in den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz raste und zwölf Menschen tötete.

Kronzeuge im Mittelpunkt

Die Gruppe um Abu Walaa war hierarchisch gegliedert. Seine Gebietsleiter Boran S. und Hasan C. radikalisierten laut Anklage junge Muslime in geheimen Koranschulen in Duisburg und Dortmund. Die beiden anderen Angeklagten besorgten falsche Pässe, die nötigen Geldmittel und organisierten die Schleusung zu den Kalifatskriegern in Syrien.

Im Prozess gegen das Terror-Netzwerk stützen sich die Staatsschützer im Wesentlichen auf drei Punkte: Da wäre der Kronzeuge Anil O.. In tagelangen Verhören berichtete der IS-Rückkehrer, dass Abu Walaa im Namen der IS-Milizen Rechtsgutachten (Fatwa) erstellt habe. Auch soll der Islamist potenziellen IS-Rekruten seinen Segen zur Ausreise gegeben und sie sowohl logistisch als auch finanziell unterstützt haben. Dasselbe soll für geplante Anschläge in Deutschland gegolten haben.

Festnahme bei einer Razzia im November 2016.

Festnahme bei einer Razzia im November 2016.

Im Auftrag von Abu Walaa sollen seine Helfer ferner Einbrüche oder Betrügereien begangen haben, um die Moscheegemeinde und das IS-Netzwerk zu finanzieren. Allein zwei Millionen Euro aus Spenden und kriminellen Aktivitäten will die Radikalen-Zelle an den IS gezahlt haben. Peter Krieger, Verteidiger des Hauptangeklagten Abu Walaa, hält den Kronzeugen für wenig glaubwürdig. „Es ist doch komisch, dass ein IS-Terrorist in seinem eigenen Prozess nur zwei Jahre auf Bewährung erhält, normalerweise liegen die Straftarife in solchen Fällen deutlich höher“, sagt der Bonner Jurist. „Mit seinen Lügen über meinen Mandanten hat er sich erst das milde Urteil erschlichen“, glaubt Krieger.

Ebenso kritisch sehen die Anwälte der Angeklagten die Rolle der Polizeiinformanten in dem Verfahren. So erwies sich Murat, der V-Mann des LKA NRW, als wahre Goldgrube. Er hatte die Gruppierung um Abu Walaa über ein Jahr lang ausspioniert. Beinahe wöchentlich lieferte er Berichte aus dem inneren Zirkel der Terrorhelfer.

V-Mann soll nicht aussagen

Der Polizei-Informant wird im Prozess jedoch nicht aussagen. Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ haben die Behörden einen Sperrvermerk an den Celler OLG-Senat gesandt. Anstatt des Informanten wird sein V-Mann-Führer aus dem LKA NRW auftreten. Michael Murat Sertsöz, Verteidiger eines Mitangeklagten, sieht diesen Vorgang kritisch: „In dem Fall wimmelt es nur so von Polizeispitzeln.“ Es habe gar keine Terror-Verschwörung gegeben, so der Anwalt. „Die Maschen dieses angeblichen Netzwerks bilden einzig die falschen Aussagen der V-Leute der Polizei.“ V-Mann Murat jedenfalls hat die Beschuldigten schwer belastet. Boban S. und Hassan C., den sie den Hoca (Lehrer) nannten, warben junge Muslime in ihren radikalen Seminaren an. Das Beuteschema des Terrornetzwerks für neue Rekruten klang denkbar simpel: Je jünger, desto besser. „Die Jungen sind Gold wert“, tönte der Hoca, „Sie lassen sich besser formen.“ Formen zum „Gotteskrieger“.

Yusuf T., ein heute 17-jähriger Muslim, erhielt seine Gehirnwäsche im Hinterzimmer eines Reisebüros in Duisburg. Hasan C. las dort aus seinem „Handbuch“ des Dschihad. Meist trafen sich sieben bis zehn Schüler bei dem Extremisten. Der Jüngste war gerade einmal 14 Jahre alt. Wer am Unterricht teilnehmen wollte, brauchte zwei Bürgen.

Abu Walaa soll letzte Hinweise zu Attentat auf Sikh-Tempel gegeben haben

Stundenlang rezitierte der nun mitangeklagte Lehrer dieselben Passagen: Warum man die „Ungläubigen“ meiden solle, warum man sie überall bekämpfen müsse. Sein Dogma war simpel: Wer nicht nach Syrien gehen wollte, solle zumindest in Deutschland Anschläge verüben. Immer wieder spielte der Hoca Gräuelvideos des IS ab. Und gab zum Schluss die Parole aus: „Tötet die Ungläubigen !“

Yusuf T. hörte interessiert zu. Als er so weit war, reiste er nach Hildesheim. Dort soll ihm Abu Walaa die letzten Hinweise gegeben haben. Am 16. April 2016 verübte der Teenager dann mit zwei Komplizen einen Bombenanschlag auf einen Sikh-Tempel in Essen. Drei Menschen wurden verletzt.

Nach dem Attentat bejubelte die Clique um Abu Walaa diese Nachricht. In einem geheimen Chat mit Schülern des Netzwerks rief ein IS-Kämpfer die Brüder zu Hause dazu auf, den Tempelanschlag als Anlass zu nehmen, erneut zuzuschlagen. Er nannte auch eine Adresse: die jüdische Synagoge in Essen. Der Anklage zufolge soll das Terror-Netzwerk insgesamt acht Freiwillige angeworben und in das Kriegsgebiet in der Levante geschleust haben. Weitere elf deutsche IS-Kämpfer standen vor ihrer Ausreise in engem Kontakt mit den angeklagten Gefolgsleuten von Abu Walaa. Sechs von ihnen starben den Erkenntnissen zufolge im Kampfgebiet.

Beweismittel aus IS-Unterlagen

Als Beweismittel nutzt die Bundesanwaltschaft nach Informationen dieser Zeitung auch die Bürokratie der Kalifats-Brigaden. Vergangenes Jahr fielen dem Bundeskriminalamt Registrierungsbögen der sogenannten „Generaldirektion der Grenzverwaltung“ des IS in die Hände. Diese Unterlagen liefern auch die Namen deutscher IS-Kämpfer. Alle Neuankömmlinge in Syrien mussten offenbar ein 23 Fragen umfassendes Einreiseformular ausfüllen. In den Papieren sollen auch die Namen der Schleuser des deutschen Terror-Netzwerks zu finden sein.

In dem Konvolut tauchen auch die Zwillingsbrüder Mark und Kevin K., 25, auf. Der eine stand kurz vor seinem Jura-Examen, der andere hatte gerade einen Afghanistan-Einsatz als Bundeswehrsoldat hinter sich gebracht, als die Geschwister aus Castrop-Rauxel vermutlich Anfang 2014 unter den Einfluss eines Gefolgsmannes von Abu Walaa gerieten. In einer Dortmunder Wohnung wurden die Brüder radikalisiert. Im Sommer 2014 überschritten sie die Grenze nach Syrien. Beide sprengten sich im Jahr darauf bei Angriffen auf irakische Stützpunkte als Selbstmordattentäter in die Luft. Ihr „Mentor“ aus Dortmund feierte seine Schüler nach ihrem Tod in geheimen Chats als Märtyrer.

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