Nach Wagner-AufstandMoskau will Normalität demonstrieren – doch einige Medien spielen nicht mit

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Polizeikontrolle auf einer Straße in Moskau am Samstag (24. Juni)

Polizeikontrolle auf einer Straße in Moskau am Samstag (24. Juni)

Nach der kurzfristigen Befriedigung des Wagner-Aufstands versucht man in Moskau wie üblich zu tun, als sei nichts geschehen.

So plötzlich, wie sie begonnen hatte, war die Wagner-Rebellion in Russland am Samstagabend zu Ende gegangen. Passend dazu schien am Sonntagmorgen in Moskau wieder die Sonne, nachdem es den ganzen Freitag lang und Samstagmorgen geregnet hatte. Wenig deutete in der russischen Hauptstadt darauf hin, dass es am Vortag noch so ausgesehen hatte, als ob es vor Ort zu einer bewaffneten Auseinandersetzung der Söldnertruppe Wagner mit der regulären russischen Armee kommen könnte.

Auch am Samstag war der Alltag in Moskau weitgehend normal verlaufen. Gewisse Einschränkungen gab es, indem etwa der Rote Platz, zwei Museen sowie ein Park geschlossen worden waren. Die Behörden hatten die Einwohner und Einwohnerinnen außerdem aufgefordert, auf das Autofahren zu verzichten. Angesichts erhöhter Sicherheitsvorkehrungen könne der Verkehr in Teilen von Moskau eingeschränkt sein, hatte Bürgermeister Sergej Sobjanin mitgeteilt.

Doch auf den Spielplätzen tollten die Kinder genauso herum wie an jedem Sommertag, und in den Supermärkten und in Straßencafés herrschte der normale Wochenendbetrieb.

Wiederaufgenommener Busverkehr als Zeichen der Normalität

Am Sonntagmorgen lief im Ersten Kanal die Kochshow „Köche auf Rädern“, als ob nichts gewesen wäre. Das war allerdings auch nicht erstaunlich: Seit Beginn des russischen Feldzugs gegen die Ukraine ist das Staatsfernsehen besonders darum bemüht, den Eindruck größtmöglicher Normalität zu verbreiten.

Auch die kremlnahe Tageszeitung „Iswestija“ ging nur noch am Rande auf die Wagner-Rebellion des Vortages ein: Der Busverkehr in den Regionen Lipetsk und Woronesch verlaufe wieder normal, vermeldete sie in einer kurzen Meldung. In die beiden Gebiete waren die Einheiten der Söldnerarmee von Rostow am Don im Süden Russlands aus am Samstag bis auf 400 Kilometer an Moskau herangekommen, woraufhin der öffentliche Nahverkehr dort eingeschränkt worden war.

In ihrer Hauptmeldung beschäftigte sich die „Iswestija“ hingegen mit einer Meldung des Verteidigungsministeriums in einer ganz anderen Angelegenheit als der Wagner-Rebellion: Videoaufnahmen, die die Zerstörung einer befestigten Anlage der ukrainischen Armee belegen sollen.

Für manche ist Prigoschin jetzt der Verräter Wlassow

Die auflagenstarke Boulevardzeitung „Moskowski Komsomolez“ – ebenfalls nah an der Staatsmacht – nahm sich des Wagner-Aufstands hingegen gründlich an, und das zum Teil sogar regierungskritisch: „Prigoschin geht, Probleme bleiben“, betitelte Kolumnist Michail Rostowskij sein Meinungsstück, in dem er den Kreml dafür kritisierte, mit der Wagner-Truppe das Gewaltmonopol des Staates privatisiert zu haben. In Washington, Kiew, Warschau und anderen Hauptstädten werde nun daraus die Lehre gezogen: „Man muss die Russen unter Druck setzen, es funktioniert.“

Wie ambivalent die Figur Prigoschin von offizieller Seite in Russland wahrgenommen wird, kommt in einem Kommentar des stellvertretenden Chefredakteurs des „Moskowski Komsomolez“ zum Ausdruck: „Wer sind Sie, Herr Prigoschin?“, fragt Wadim Poegli in seinem Kommentar, der gegen den Wagner-Chef gerichtet ist: „Der Held der Spezialoperation, der Bachmut eingenommen hat?“ „Zweifelsohne“, antwortet Poegli selbst. Und fährt dann fort: „Aber General Wlassow war auch ein Held der Verteidigung von Moskau. Stalin verlieh ihm dafür den Rotbannerorden und beförderte ihn zum Generalleutnant.“

Dazu muss man wissen: Andrei Andrejewitsch Wlassow gilt als der große Verräter Russlands. Als er nach der Verteidigung Moskaus im Zweiten Weltkrieg in Kriegsgefangenschaft geraten war, schlug er sich auf die Seite der Deutschen. 1946 wurde er deswegen in Moskau hingerichtet.

Zweifel an der Autorität Putins

Soll wohl heißen: Prigoschin hat sich aus Sicht des russischen Staates ohne jeden Zweifel Verdienste erworben, aber das bemächtigt ihn nicht, zum Verräter zu werden. Dass der Söldnerchef nun aus seiner Aufstandsnummer herauskommt, ohne persönlich Schaden zu nehmen, dürfte allerdings auch mit den Verdiensten zu tun haben, die man ihm anrechnet.

Für die unabhängigen Medien in Russland ist Prigoschins Aufstand allerdings noch immer die Hauptmeldung des Tages. Das Exilnachrichtenportal „Meduza“ etwa schätzt Putins Autorität als angekratzt ein: „Prigoschins Rebellion dauerte weniger als einen Tag, aber dieser Vorfall wird nicht ohne Folgen für das Machtsystem bleiben, das der Präsident der Russischen Föderation aufgebaut hat. Für seine Eliten ist an ihrem Führer nur eines wirklich wichtig: die Fähigkeit, die Kontrolle zu behalten. Die aktuelle Amnestie für Prigoschin, die verkündet wurde, nachdem Putin ihn kurz zuvor als ‚Verräter‘ bezeichnet hatte, zeigt, dass es hier ernsthafte Probleme gibt.“

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