Bergisch Gladbach unterhält Freundschaften nach Ganey Tivka und Beit Jala. Wie der 7. Oktober das Friedensprojekt veränderte.
„Wir diskutieren viel“Wie Bergisch Gladbach Freundschaften nach Israel und ins Westjordanland pflegt

Zwei Mädchen stehen an der Gedenkstätte am Dizengoff-Brunnen im Vorfeld des zweiten Jahrestages des Hamas-Anschlags vom 7. Oktober 2023.
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Bergisch Gladbach pflegt Freundschaften mit den Städten Ganey Tivka in Israel und Beit Jala im palästinensischen Autonomiegebiet im Westjordanland. Die Vorsitzenden der Städtepartnerschaftsvereine erzählen, wie der 7. Oktober 2023 das einst als trilaterale Friedensinitiative geplante Projekt verändert hat.
Willy Bartz, Vorsitzender des Vereins Städtepartnerschaft Bergisch Gladbach und Ganey Tikva:
„Ich wollte gerade zum Friedhof, als ich am 7. Oktober 2023 die Nachrichten einschaltete und vom Angriff auf Israel hörte, von den Ermordeten und Verschleppten. Das darf nicht wahr sein, dachte ich. Eine einzige Katastrophe.
Zwei Monate vor dem Angriff war meine Mutter gestorben. Ich bin froh, dass sie den 7. Oktober nicht mehr erlebte. Ich weiß noch, wie sie die Nachrichten verfolgte, als Jitzchak Rabin 1995 ermordet wurde, und sagte: „Mit ihm wurde ein Stück Hoffnung getötet.“ Am 7. Oktober kam mir der Gedanke erneut. An einem einzigen Morgen hat die Hamas jegliche Friedensentwicklung für die nächsten Jahrzehnte torpediert.

Willy Bartz ist seit September 2024 Vorsitzender des Vereins Städtepartnerschaft Bergisch Gladbach und Ganey Tikva.
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Meine Eltern haben mich evangelisch erzogen, ich bin sogar konfirmiert. Unsere jüdischen Wurzeln verheimlichten sie mir fast mein ganzes Leben. Erst vor acht Jahren erfuhr ich, dass meine Großmutter am 27. Januar 1945 in Auschwitz befreit wurde. Auch mein Großvater hat ein KZ überlebt. Ich wünschte, meine Eltern hätten es mir früher gesagt, ich wünschte, ich hätte meine Großeltern danach fragen können. Aber gerade meine Mutter hat sich ihr Leben lang zu unsicher gefühlt.
Vielleicht war es diese Unsicherheit, die mich motivierte, mich in der Städtepartnerschaft zu Ganey Tikva zu engagieren. Um Sicherheit herzustellen, braucht es Sichtbarkeit und Austausch.
Die Städtepartnerschaft zwischen Bergisch Gladbach und Ganey Tikva entstand in den 2010er Jahren, kurz nach der Partnerschaft zu Beit Jala. Wir wollten eine kleine Friedensinitiative schaffen und gleichzeitig den Bürgern die israelische Kultur und das jüdische Leben näherbringen. Als Vorsitzender stehe ich im regelmäßigen Kontakt mit der Bürgermeisterin von Ganey Tikva, Lizy Delaricha. Ich gratuliere zu jüdischen Festen und erzähle von Veranstaltungen, die wir in Bergisch Gladbach durchführen. Wir haben ein freundschaftliches, familiäres Verhältnis entwickelt. Trotzdem sitze ich manchmal eine Stunde an einer Whatsapp-Nachricht, bevor ich sie abschicke. Ich bin erst seit einem Jahr Vorsitzender unseres Vereins und möchte nicht, dass unüberlegte Worte einen Riss durch unsere Freundschaft ziehen.
2024 hisste die Stadt Bergisch Gladbach zum Jahrestag des 7. Oktober die israelische Flagge. Wie lange, glauben Sie, dauerte es, bis sie heruntergerissen wurde?
Unser ehemaliger Bürgermeister sagte mal: „Städtepartnerschaften sind kommunale Außenpolitik.“ Ich verstehe den Ansatz, aber wir sind Kulturpolitiker, keine Außenpolitiker. Und als Kulturpolitiker komme ich gerade in Erklärungsnot.
2024 hisste die Stadt Bergisch Gladbach zum Jahrestag des 7. Oktober die israelische Flagge. Wie lange, glauben Sie, dauerte es, bis sie heruntergerissen wurde? Nicht einmal einen Tag. Wie sollte ich Lizy Delaricha erklären, dass ihre Partnerstadt nicht ungestört eine Fahne zum Gedenken an den brutalen Mord an 1300 Menschen hissen kann?
Wir hatten mal einen Schüleraustausch zwischen Bergisch Gladbach und Ganey Tikva. Der kommt nicht mehr zustande, weil die israelischen Eltern sich nicht trauen, ihre Kinder nach Deutschland zu schicken. Sie haben in israelischen Medien von Angriffen auf jüdische Einrichtungen gehört und gesehen, wie am 7. Oktober 2023 in Neukölln Menschen gefeiert haben. Aber auch deutsche Eltern sind verunsichert, denn Israel kann jederzeit durch terroristische Angriffe gefährlich werden. Momentan planen wir, mit beiden Schülergruppen nach Krakau zu fliegen, damit sie sich dort treffen. Hier sind wir aber noch im Anfangsstadium unserer Planung und werden nach und nach Kooperationspartner ansprechen.
Der Städtepartnerschaftsverein Ganey Tikva macht gerade keine gemeinsamen Veranstaltungen mit dem Verein Beit Jala. Natürlich wären gemeinsame Aktionen gerade jetzt wichtig, aber ich kann das in Israel nicht erklären. Schon vor dem 7. Oktober haben gemeinsame Aktionen Spannungen ausgelöst. Wir hatten einmal beim Stadtfest einen gemeinsamen Stand von beiden Städtepartnerschaften, beim Verein Beit Jala hing eine Palästina-Fahne. Davon wurden Fotos gemacht, diese wurden nach Ganey Tikva geschickt, und Lizy Delaricha musste erklären, wieso der deutsche Partnerverein in der Nähe dieser Fahne steht. Solche Situationen möchte ich gerade nicht riskieren, weil ich unsere Städtepartnerschaft nicht riskieren möchte.
Die politische Lage wird natürlich auch bei uns im Verein diskutiert. Ich persönlich finde: Gute Freunde haben das Recht, zu kritisieren. Der Staat Israel und der Staat Deutschland sind gute Freunde. Es ist unsere Aufgabe als Städtepartner, mit kleinen Mosaiksteinchen und viel Mörtel Brücken aufzubauen, damit unsere Freundschaft Kritik aushalten kann.
Die Städtepartnerschaften Ganey Tikva und Beit Jala sind als trilaterales Friedensprojekt gestartet. Ich wünsche mir, dass sie eines Tages wieder zu einem solchen werden. Mit kleinen Schritten und viel Rücksprache mit unseren Partnern vor Ort. Nächstes Jahr will ich nach Ganey Tikva fliegen und Lizy persönlich kennenlernen. Ich hoffe, dass diese Treffen gut läuft, dass Lizy bald nach Bergisch Gladbach kommt und wir die Begegnungen intensivieren. Und ich hoffe, dass ich in ein, zwei Jahren bei einem Treffen zu ihr sagen kann: Wir würden gerne ein Projekt mit dem Städtepartnerschaftsverein Beit Jala starten. Aber ich möchte dich in jedem Schritt mit einbeziehen, denn es soll ein gemeinsames Projekt sein."
Stephan Dekker, Vorsitzender der Städtepartnerschaft Bergisch Gladbach – Beit Jala e.V.:
„Als die Städtepartnerschaft mit Beit Jala entstand, war die gesellschaftliche Stimmung noch eine andere. Die Initiative ging von einem evangelischen Pfarrer aus, der gute Kontakte zur Abrahams-Herberge in Beit Jala pflegte. Ein paar Jahre später, am 12. März 2011, unterzeichneten die Bürgermeister in Bergisch Gladbach und Beit Jala die Urkunden.
Die Stadtverwaltung bekam vom Stadtrat daraufhin den Auftrag, auch eine israelische Partnerstadt zu suchen. Der damalige Bürgermeister von Ganey Tikva zeigte Interesse, er schrieb in einem Brief: Sein Ziel sei eine trilaterale Partnerschaft zwischen Ganey Tikva, Bergisch Gladbach und Beit Jala. Aus heutiger Perspektive muss man sich das wirklich auf der Zunge zergehen lassen. Wir dachten: Diese Partnerschaften könnte ein ganz kleiner Tropfen im Friedensprozess sein und Begegnungen ermöglichen. Zu Beginn klappte das auch, und es gab einige kleine Begegnungen von Menschen beider Partnerstädte, die sich am Rande des Stadtfestes in Bergisch Gladbach trafen. Über die Jahre wurden solche Treffen undenkbar. Es gibt derzeit keinen Dialog zwischen Ganey Tikva und Beit Jala.
Noch zwei Wochen vor dem Angriff der Hamas besuchten wir Israel und die palästinensischen Gebiete, um mit einer Tanzgruppe beim Friedensfestival in Beit Jala aufzutreten. Dann, am Morgen des 7. Oktobers hörte ich fassungslos die Nachrichten. Das war's, dachte ich, das ist das Ende aller Friedensbemühungen. Für einen Moment wollte ich jedes ehrenamtliche Engagement hinschmeißen. Dann beschloss ich: Jetzt erst recht. Meine positive Haltung und mein Engagement lasse ich mir von Terroristen nicht nehmen.
Die Stadt Bergisch Gladbach hisste nach dem 7. Oktober die israelische Fahne. Manche Mandatsträger im Stadtrat von Beit Jala reagierten verstimmt. Sie diskutierten sogar kurzzeitig, ob Beit Jala die Städtepartnerschaft ruhen lassen sollte.
Meine Freundschaften nach Beit Jala pflege ich weiter. Wir diskutieren viel, manchmal auch kontrovers, aber das muss eine Freundschaft aushalten. Ein guter Freund von mir arbeitet in der Stadtverwaltung von Beit Jala. Er ist ein ausgesprochen friedliebender Mensch, den der Angriff am 7. Oktober schwer getroffen hat. Das in den palästinensischen Gebieten zu äußern, die von der Besatzung geprägt sind, ist schwer. Kritisiert man die Hamas, heißt es schnell: Stehst du etwa auf der Seite von Israel? Manche meiner Bekannten sagten, Israel sei durch die Besatzung zum Teil selbst schuld. Für mich ist ein solches Massaker, eine solche Entmenschlichung, durch nichts zu rechtfertigen.
Seit dem 7. Oktober konnten wir nicht mehr nach Beit Jala reisen, aber einer unserer Freunde besuchte uns in Bergisch Gladbach. Mohamed ist muslimischer Araber, arbeitet in der christlichen Abrahams-Herberge und ist der friedliebendste Mensch, den ich kenne. Wir kündigten seinen Besuch in einer Mitteilung unseres Vereins an. Daraufhin zogen Demonstranten vor den Veranstaltungsraum und brüllten eine halbe Stunde: „Gebt die Geiseln frei!“ Es war an Peinlichkeit nicht zu überbieten. Mohamed hält keine Geiseln und er hat auch keinen Einfluss darauf, dass sie freikommen. Wir haben ihn von der Veranstaltung raus begleitet, aber natürlich war die Situation höchst unangenehm für ihn.

Stephan Dekker ist seit November 2022 Vorsitzender des Städtepartnerschaftsvereins Bergisch Gladbach – Beit Jala e.V.
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Auch wenn der Krieg in Gaza geführt wird, veränderte sich nach dem 7. Oktober auch das Leben der Einwohner von Beit Jala. Früher überquerten viele von ihnen jeden Morgen den Grenzübergang in Bethlehem, um in Israel zu arbeiten. Heute ist die Grenze größtenteils zu. Viele Einwohner haben ihren Arbeitsplatz verloren, dazu brach der Tourismus nach Bethlehem und Beit Jala ein. Die sozialen Folgen sind massiv, die Armut nimmt zu. Das alles bereitet mir große Sorgen.
Unser Vereinsmotto war früher: Brücken statt Mauern für Menschen in Palästina und Israel. Das bleibt unser Traum, aber das Motto mussten wir der Realität anpassen. Heute steht auf unseren Flyern: Freiheit, Würde und Zukunft für die Menschen in Palästina.
Trotzdem bleibe ich ein naiv-positiver Mensch: Eine Annäherung kann schneller passieren, als man denkt
Momentan gibt es keine gemeinsamen Veranstaltungen der Vereine Beit Jala und Ganey Tikva in Bergisch Gladbach. Ich persönlich würde mir gemeinsame Aktionen wünschen, verstehe aber auch, dass die Situation schwierig ist. Eigentlich ist es absurd. In beiden Vereinen sind Menschen aktiv, die sich jeweils schätzen und respektieren. Aber wenn wir gemeinsam auftreten, kann das in unseren Partnerstädten für Schwierigkeiten sorgen.
In Israel und Palästina ruht ein unfassbares Potenzial. Wo sonst blickt eine Region auf eine so unvergleichliche Geschichte und Kultur zurück? Ich bin fest überzeugt, dass die Mehrheit ihrer Bewohner in Frieden und auf Augenhöhe miteinander leben will, auch wenn terroristische Gruppierungen und Menschen in politischer Verantwortung daran kein Interesse haben. Es macht mich unfassbar traurig, dass so viele unschuldige Menschen sterben müssen. Trotzdem bleibe ich ein naiv-positiver Mensch: Eine Annäherung kann schneller passieren, als man denkt. Wer hätte Anfang 1989 gedacht, dass im November die Mauer fällt?“