Der Haftbefehl gegen den Ex-Jugendnationalfußballer Deniz Naki wurde jüngst aufgehoben – die Gründe überraschen. Droht NRW ein Justizskandal?
„Das wäre ein Skandal“SPD verlangt Aufklärung über Haftentlassung von Ex-Fußballer Naki

Fast zwei Jahre nach Prozessbeginn am Aachener Landgericht ist der Untersuchungshaftbefehl gegen den angeklagten früheren Profi-Fußballer Deniz Naki aufgehoben worden. Das Bild entstand 2018.
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Die Strafvorwürfe wiegen schwer. Der einstige Jugendnationalspieler Deniz Naki, 33, soll einer der Köpfe einer rockerähnlichen, kurdischen Gang namens „Bahoz“ gewesen sein. Seit Anfang Juni 2021 musste sich der inhaftierte Ex-Profi-Fußballer mit drei Komplizen vor dem Aachener Landgericht verantworten. Dabei ging es um die Bildung einer kriminellen Vereinigung, dem bandenmäßigen Drogenhandel, Körperverletzung und gewerbsmäßiger Erpressung.
Hinter den Vorwürfen sollen laut den Ermittlungen Schießereien, Bandenkriege mit Rivalen aus dem Rockermilieu, mithin auch Bezüge zur PKK gesteckt haben. Der Name Bahoz steht für Sturm. Die Gangs galten als kriminelle Ableger der hierzulande verbotenen kurdischen Arbeiterpartei und als Gegenstück zur türkischen Osmanen Germania.
Angeklagter Ex-Profifußballer Deniz Naki kam überraschend aus U-Haft frei
Wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ aus Justizkreisen erfuhr, kam der prominente Angeklagte vergangenen Mittwoch überraschenderweise frei. Ein Gerichtssprecher in Aachen bestätigte am Montag den Vorgang. Allerdings gehe die Strafkammer weiterhin von einem dringendem Tatverdacht gegen Naki und seine drei Mitangeklagten aus.
Die Aufhebung des Haftbefehls fußt auf überraschenden Argumenten, die bei Prozessbeobachtern Kopfschütteln auslösen. Demnach verschwanden wichtige Beweisstücke – und: die Berufsrichter konnten wohl ihre Urlaubszeiten nicht unter einen Hut bringen. Das hat zur Folge, dass jeder der drei Kammermitglieder zu unterschiedlichen Zeiten verreist. Das gleiche Terminproblem betrifft auch die zwei Schöffen.
Somit passiert zwischen dem 1. Juni und Ende September kaum etwas im Gerichtssaal. Die Strafkammer sah sich lediglich in der Lage, in vier Monaten 14 Hauptverhandlungstermine in dem spektakulären Fall um die mutmaßlichen Unterweltbosse festzulegen. Viel zu wenig, um den Beschleunigungsgrundsatz bei inhaftierten Angeklagten zu verfolgen. Für den Oktober sieht es noch schlechter aus: Da sei nur ein Sitzungstag aufgrund einer erholungsbedingten Auszeit möglich, heißt es.
71 Protokolle belauschter Gespräche verschwunden
Inzwischen entstand zudem ein zweites Verfahrenshindernis: Wie diese Zeitung weiter erfuhr, verschwanden 71 Protokolle belauschter Gespräche aus dem verwanzten Wagen eines der Angeklagten. Diese Vermerke sind wohl nicht mehr zu rekonstruieren. Deshalb wird es eine längere Zeit dauern, um die Aufnahmen erneut durch einen Übersetzer anfertigen zu lassen – ein Vorgang, der den Prozess zusätzlich verschleppt. Mit der Folge, dass Naki und seine Komplizen aus der Untersuchungshaft entlassen wurden.
Vor zwei Wochen war bereits ein weiterer Angeklagter freigelassen worden, der mutmaßliche kurdische Bandenboss, war 2003 in Köln wegen Mordes zu einer langen Haftstrafe verurteilt worden; nun sind etliche Vorwürfe gegen ihn in der Sache Naki in sich zusammengefallen.
Bisher konnten die Ermittler der Abteilung Organisierte Kriminalität bei der Polizei Aachen den Verlust der Protokolle nicht erklären. Womöglich könnte das Verfahren auch aus rein formalen Rechtsfehlern sogar platzen.
Die Opposition im Landtag verlangt nun von Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) für den kommenden Mittwoch eine Erklärung zu dem Fall. Sonja Bongers, rechtspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion erklärte: „Sollte sich das so abgespielt haben, dann wäre das wirklich ein Skandal. Es ist jedenfalls kaum vorstellbar, dass ein Verfahren wegen unabgestimmter Urlaubsplanungen zum Erliegen kommt.“
FDP-Fraktionsvize Marc Lürbke sprach von „Pleiten, Pech und Pannen der Justiz, die keinem Bürger zu erklären sind.“ Der Rechtsstaat mache sich „geradezu lächerlich", wenn er beispielsweise Falschparken immer hart und schnell verfolge, während er bei kriminellen Straftätern nicht sauber und konsequent mit Hochdruck arbeite, so der Liberale. „Schwarz-Grün muss bei der Justiz in NRW dringend mehr aufs Tempo drücken: Mehr Personal, schnellere Verfahren, konsequente Rechtsprechung. Es kann doch nicht sein, dass Urlaubsplanungen und verschwundene Beweismittel dazu führen, dass sich Kriminelle ins Fäustchen lachen."
Das Justizministerium äußerte sich bisher nicht, mit dem Verweis auf den anstehenden Rechtsausschuss. Danach werde man sich zum Fall äußern. Der Jurist Jörg Geerlings, der für die NRW-CDU im Rechtsausschuss sitzt, sagte unserer Zeitung: „Das Ganze muss nun genau untersucht werden, es kann ja nicht sein, dass ein so wichtiges Verfahren wegen einer Urlaubsregelung der Richter zu scheitern droht."
Nakis Strafverteidiger Peter Krieger und Mutlu Günal begrüßten indes die Freilassung ihres Mandanten. Die Anwälte hatten die Anklagevorwürfe gegen Naki stets zurückgewiesen und die Nachforschungen der Strafverfolger kritisiert. „Das Gericht hat angesichts dubioser Machenschaften der Ermittlungsbehörden die Reißleine gezogen“, erklärten die Bonner Verteidiger auf Anfrage.