Hawala-KartellZig Millionen Euro illegal von NRW nach Syrien und in die Türkei geschleust

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Ein Bargeldbündel wandert von einer Hand in die andere. Im Hintergrund liegen Hundert- und Fünfzigeuroscheine.

Beim Hawala-Banking handelt es sich um ein uraltes orientalisches Geldtransfersystem, das auch illegale Finanzströme verschleiert.

Es geht um illegale Finanzströme in Millionenhöhe, Drogen und Terror. Wir haben 20.000 Seiten Ermittlungsakten ausgewertet und geben einen Einblick in eines der größten Finanzschieberkartelle NRWs.

Es ist der 2. Juli 2020 gegen 23 Uhr, als die Geldeintreiber an einer Straßenecke in Wuppertal-Barmen ihre Zielperson stellen. Sie halten dem Syrer eine Pistole an den Kopf, drohen „heute ist dein Todestag“ und versuchen erfolglos, ihn in ein Auto zu zwingen. Während die Angreifer auf Amir A. einprügeln und ihn mit der Waffe bedrohen, ruft dieser um Hilfe – Nachbarn eilen herbei, das Überfallkommando lässt von A. ab und verschwindet.

Wenn die Chefs eines der größten Finanzschieber-Kartelle in NRW betrügerische Machenschaften durch eigene Untergebene wittern, verstehen sie keinen Spaß. Schließlich geht es bei den kriminellen Geschäften um viel Geld. Zig Millionen werden über das Netzwerk via illegalem Hawala-Banking nach Syrien oder in die Türkei verschoben, um unter anderem Drogengeld aus den Niederlanden oder dem Ruhrgebiet zu waschen.

Das System basiert auf einem Vertrauensverhältnis der Kriminellen untereinander. Wer da unter Verdacht gerät, die eigenen Leute austricksen zu wollen, bekommt Besuch von gewalttätigen Inkasso-Männern. Und Amir A. stand im Verdacht. Er soll mit einem Komplizen nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ zwei Chefs eines international weitverzweigten Geldwäsche-Syndikats abgezockt haben. Eine halbe Million Euro sollen die beiden Betreiber von Zahlungsbüros des Syndikats in die eigene Tasche gelenkt haben. Fast die Hälfte der Summe soll die Inkasso-Gruppe wieder eingetrieben haben.

Geldtransfer erfolgt in bar über Vertrauensleute

Beim Hawala-Banking handelt es sich um ein uraltes orientalisches Geldtransfersystem, das auch illegale Finanzströme verschleiert. Das Prinzip ist simpel: Die Kunden der Geldschieber zahlen beispielsweise in Düsseldorf, Wuppertal, im Ruhrgebiet oder in Köln Bargeld in Zahlungsbüros ein. Die Annahmestellen tarnen sich als Kioske, Lokale oder Juweliergeschäfte. Nur wenige Minuten, nachdem die Kunden das Geld in Deutschland auf den Tresen gelegt haben, wird der gleiche Betrag über Gefolgsleute oder Verwandte ebenfalls in bar an die Empfänger in Istanbul oder Aleppo ausbezahlt. Der Transfer basiert erstmal auf Vertrauen, denn der Geldausgleich zwischen Zahlstation in Deutschland und der Türkei oder Syrien erfolgt erst hinterher über Kurierdienste oder fingierte Firmen-Rechnungen.

Bei Unregelmäßigkeiten in der Hawala-Kasse schicken die Bosse brutale Geldeintreiber-Banden wie jene des Ex-Fußballprofis Deniz Naki los. Derzeit muss sich der Kurde vor dem Landgericht Aachen wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung, bandenmäßigen Drogenhandels, Körperverletzung und gewerbsmäßiger Erpressung verantworten. Naki, in Düren geboren, ehemals deutscher Jugendnationalspieler, soll Anführer der bundesweit agierenden kriminellen kurdischen Gruppierung Bahoz gewesen sein. Der Einfluss der Aachener Filiale, der auch Bezüge zur in Deutschland verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK nachgesagt werden, reichte bis nach Köln und Bonn.

Der ehemalige Bundesligaprofi Deniz Naki (M)steht im Landgericht hinter der Anklagebank. Vor dem Landgericht Aachen hat am Freitag ein Prozess gegen Naki wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung begonnen. Zusammen mit dem 31 Jahre alten Deutschen sind drei weitere Männer türkischer Staatsangehörigkeit angeklagt. Ihnen wird unter anderem Drogenhandel, Erpressung und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen.

Deniz Naki steht im Landgericht hinter der Anklagebank.

Nebenbei soll er auch Aufträge für das Hawala-Kartell übernommen haben. Laut Staatsanwaltschaft steckte Naki hinter dem Überfall auf Amir A. 4500 Euro sollen für die Einschüchterungsaktion geflossen sein. So steht es in den Ermittlungs-Akten der landesweiten Zentralstelle gegen die organisierte Kriminalität (OK) bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf (ZeOS). Nakis Verteidiger Peter Krieger und Mutlu Günal sprechen von „hanebüchenen Vorwürfen. Da ist nichts dran“.

Neben den Männern, die auch Amir A. einschüchtern sollten, arbeitete noch ein weiteres Inkasso-Team militanter Islamisten für das Finanzschieber-Kartell. Das gut 90-köpfige Netzwerk soll den Ermittlungen zufolge seit 2016 gut 160 Millionen Euro über Hawala-Banking in die Türkei und nach Syrien geschleust haben. Ganz oben in der Hierarchie standen syrische Groß-Hawaladare, also Händler, wie Khaled Al M. und Khaled Al-F. mit Sitz in Wuppertal und Mönchengladbach. Für ihre Dienstleistungen strichen die kriminellen Banker drei bis fünf Prozent der transferierten Summe ein.

Kartell soll auch islamistische Terrorgruppen in Syrien unterstützen

Mit der Hawala-Masche, so der Verdacht, soll unter anderem Drogengeld aus den Niederlanden und Dortmund sowie kriminelle Gewinne kurdisch-libanesischer Clans gewaschen worden sein. Weil keine verräterischen Kontenbewegungen existieren, nutzen viele Unterweltgrößen diesen Weg, um ihre Einnahmen zu waschen. Zudem soll das Geldschieber-Kartell in die Finanzierung islamistischer Terror-Gruppen in Syrien verwickelt sein. Bisher reichte die Beweislage allerdings nicht aus, um die Beschuldigten in dieser Sache anzuklagen.

Im Herbst 2021 hoben die Ermittlungskommission Vubrag der Polizei Düsseldorf gemeinsam mit der ZeOS das Kartell aus. Seither sitzen die kriminellen Chefs in Untersuchungshaft, inzwischen haben sie umfassende Geständnisse abgelegt. Unlängst wurden die beiden mutmaßlichen Hauptakteure des Netzwerks separat angeklagt.

Polizeikräfte stehen vor Geschäftsräumen. Bei einer Großrazzia gegen Geldwäsche und organisierte Kriminalität hat die Polizei am Mittwochmorgen in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Bremen Wohnungen und Büros durchsucht und zehn Haftbefehle vollstreckt.

Polizeikräfte aus Nordrhein-Westfalen bei der Razzia im Herbst 2021

Wie eine Sprecherin des Düsseldorfer Landgerichts mitteilte, zählen zu den Vorwürfen Bildung einer kriminellen Vereinigung, Geldwäsche, Sozialleistungsbetrug im großen Stil sowie Verstoß gegen das Zahlungsdienste-Aufsichtsgesetz (ZAG). Da die Banken-Aufsicht BaFin die gewerbsmäßigen Geldgeschäfte nicht genehmigt hatte, sind sie illegal. Auf Anfrage wollten sich ihre Verteidiger nicht zu den Vorwürfen äußern.

Allein durch die Hände von Khaled Al M. und Khaled Al-F. sollen demnach 75,5 Millionen Euro geflossen sein. Das Bundesfinanzministerium schätzt, dass mit der Hawala-Methode jährlich 200 Milliarden US-Dollar weltweit zirkulieren.

Spur führt auch ins Rocker- und Clan-Milieu

Umfangreiche Recherchen dieser Zeitung und Einblicke in die mehr als 20.000 Seiten umfassende Ermittlungsakte führen in eine kriminelle Schattenwelt, die der „Kölner Stadt-Anzeiger“ in einer Serie beleuchtet: Es handelt sich um ein abgeschottetes System mit archaischen Regeln, das sich eher an der islamischen Sharia (islamische Gesetzessammlung) orientiert, als am deutschen Rechtsstaat. Die Spur reicht in die islamistische Schleuser- und Terrorszene. Auch Bezüge zum Rocker-Milieu und Kontakte zur kurdisch-libanesischen Clan-Größe Badia Al Zein aus Leverkusen sind aktenkundig.

Etliche Beschuldigte leben den Ermittlungen zufolge nach islamischem Ritus mit mehreren Ehefrauen trotz des Verbots der Bigamie zusammen. Die Großfamilien beziehen staatliche Zuwendungen. Die Akten legen ein Milieu dar, in dem Friedensrichter Konflikte lösen und der deutsche Staat als Beute angesehen wird. Zum „Selbstverständnis des Netzwerkes“ gehörte es laut Staatsanwaltschaft, die Jobcenter zu neppen. Auf der einen Seite soll etwa der Groß-Hawaladar Khaled Al-F. rund 63 Millionen Euro ins Ausland geschleust haben, bezog auf der anderen Seite aber laut den Strafverfolgern unrechtmäßig seit 2016 rund 71.000 Euro vom Jobcenter. Selbst das Schulessen und die Schulbücher für die Kinder liefen auf Staatskosten. Steuern auf die üppigen Gewinne aus dem Hawala-Banking oder Sozialversicherungs-Abgaben für Mitarbeiter wurden indes keine gezahlt.

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