„Besorgniserregend“15 Prozent der Waldflächen in NRW sind seit 2018 abgestorben

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22.11.2023, Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf: Bäume mit herbstlichem Laub stehen im Stadtwald. Landwirtschaftsministerin Gorißen stellt am 23. November 2023 den Waldzustandsbericht im Landtag vor. Dürre, Brände und Käferbefall haben den Wäldern in den vergangenen Jahren stark zugesetzt. Foto: Rolf Vennenbernd/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Bäume mit herbstlichem Laub stehen im Düsseldorfer Stadtwald.

Es braucht laut der AG Wald und Holz ab jetzt etwa drei bis vier „gute Sommer“, damit die Bäume sich vollständig erholen könnten.

Dem Wald geht es schlecht: Seit 2018 sind 15 Prozent der Waldflächen Nordrhein-Westfalens aufgrund der Witterungsbedingungen abgestorben. Zu diesem Ergebnis kommt der Waldzustandsbericht 2023.

Doch es gebe auch einen „Silberstreifen am Horizont“, sagt Silke Gorißen, NRW-Ministerin für Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Denn das bedeute auch, dass 85 Prozent der Wälder die Witterungsextreme bisher überstanden haben – wenn auch zum Teil mit erheblichen Schäden an Krone und Wurzel.

Die Bäume haben erhebliche Schäden an Kronen und Wurzeln

Wer im Wald nach oben schaue, sehe zu viel Himmel, hatte Gorißen schon im vergangenen Jahr gesagt. Die Kronen der Bäume seien nicht mehr dichtbelaubt und grün, sondern porös. Früher sei das anders gewesen. „Damals war es dunkel im Wald.“ Heute weise nur ein Viertel der untersuchten Waldbäume keine Kronenverlichtung auf.

Und die Verlichtung schreitet voran: Im vergangenen Jahr waren noch 28 Prozent der Bäume vollkommen gesund, dieses Jahr sind es nur noch 25. Zudem zeigen 36 Prozent der Wälder eine geringe, 39 Prozent der Wälder eine deutliche Verlichtung. Die Werte, so Gorißen, seien also auf demselben Niveau wie im „besorgniserregenden Vorjahr“.

23.11.2023, Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf: Silke Gorißen (CDU), Landwirtschaftsministerin von Nordrhein-Westfalen, zeigt einen Querschnitt einer Esche, an der mithilfe von Nadelköpfen das verringerte Wachstum dargestellt wird. Hier wurde der Waldzustandsbericht 2023 in der Landespressekonferenz im Landtag vorgestellt. Foto: Rolf Vennenbernd/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

NRW-Landwirtschaftsministerin Silke Gorißen (CDU)

In diesem Jahr richte sie ihren Blick aber nicht nur hoch in die Kronen, sondern auch auf den übersäuerten Waldboden. In den vergangenen Dürrejahren hätten die Bäume enorm an Wurzelmasse verloren. Hinzu kommt der Befall durch Insekten wie dem Eichenwickler und Pilzen. 

Eigentlich sei es erstaunlich, sagt Ralf Petercord von der AG Wald und Holz, dass es den Bäumen immer noch so schlecht gehe. Denn das Jahr 2023 habe einen – für Bäume – guten Sommer gehabt: warm und regnerisch. 

Die Knospenanlage ist für den künftigen Austrieb verantwortlich

Petercord erklärt sich diesen Widerspruch mit der sogenannten Knospenanlage. Diese bestimme, wie viele Blätter ein Baum überhaupt ausbilden könne. Und das tue sie bereits im Jahr davor: „Das bedeutet, die Blätter, die wir gerade sehen, sind seit Frühsommer 2022 vorbestimmt“, sagt er. Und da sei die Witterung der Bäume nicht besonders gut gewesen.

Zudem hätten die Bäume in den vergangenen Trockenperioden massiv gelitten. Und diese letzten Jahre wirken nach: Laut Petercord brauche es ab jetzt etwa drei bis vier „gute Sommer“, damit die Bäume sich vollständig erholen könnten. In denen dürfe es nicht zu trocken werden. 

Der regnerische Sommer sei außerdem dafür verantwortlich, dass es 2023 nur wenige Waldbrände gegeben habe, sagt Gorißen: 20 Brände auf 8 Hektar. Zum Vergleich: Im Jahr 2022 waren es 204 Brände auf 74,6 Hektar.

Auch die Massenvermehrung der Borkenkäfer habe sich in diesem Jahr abgeschwächt. Das liege jedoch hauptsächlich daran, dass ein großer Teil der älteren Fichten – auf die diese Käferart spezialisiert ist – inzwischen abgestorben sei.

Die Massenvermehrung der Borkenkäfer hat sich abgeschwächt

Trotzdem seien die Käfer neben Witterung und Stürmen verantwortlich für große Flächen abgestorbenen Waldes, sogenannte Kalamitätsflächen. Die Wiederbewaldung dieser Flächen sei eine dringende und langfristige Aufgabe, so Gorißen. Auf mehr als einem Viertel hätten Waldbesitzer inzwischen wieder junge Bäume angepflanzt: „Ein ermutigender Anblick!“

Damit das auch so weitergeht, bietet das Land NRW den Waldbesitzern Unterstützung an. Neben fachlichen Empfehlungen gibt es die Wiederbewaldungsprämie: Für 400 gepflanzte Bäume erhalten Waldbesitzer 800 Euro pro Hektar. So sollen standortgerechte Bäume gepflanzt werden, die im Klimawandel bestehen können.

Langfristiges Ziel sei die Errichtung von Mischwäldern, sagt Petercord. Nur so vermeide man den totalen Kahlschlag durch ein einzelnes Schad-Ereignis. Dabei solle auch weiterhin auf einheimische Baumarten gesetzt werden. Diese seien kämpfen jedoch vielerorts mit der Trockenheit durch den Klimawandel: „Wir brauchen Ergänzungen“, sagt er. Deswegen werden bereits jetzt Bäume aus Süddeutschland in NRW verpflanzt. Diese seien an das künftige Klima besser angepasst. „Außerdem erweitern wir unser Spektrum um einige Experimente.“

Ausländische Bäume sollen das Mischwald-Spektrum erweitern

Diese „Experimente“ sind Baumarten aus Südosteuropa, Nordafrika und Nordamerika: Die Atlas-Zeder, die Libanon-Zeder, der Baumhasel, der Mammutbaum und die Hemlocktanne. Welche dieser Bäume tatsächlich für den Standort NRW taugten, müsse noch in einigen Versuchen herausgefunden werden.

Gerade in Bezug auf junge Bäume kämpfe der Wald auf Kalamitätsflächen mit einem weiteren Problem, so Tim Scherer, Leiter des Landesbetriebs Wald und Holz: Das Rotwild. Viele frisch angepflanzten Bäume landen im Magen der Rehe. Seltene Baumarten wie die Esskastanie schmeckten ihnen besonders gut, sagt Scherer, sie picken sie raus wie Pralinen. Dabei seien es gerade die selten vorkommenden Baumarten, die es für einen Mischwald brauche. Scherer appelliert für einen gesunden, aber nicht zu hohen Wildbestand; Dazu sei man auf die Unterstützung der Jäger angewiesen.

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