Besuch im LKA-Drogenlabor„Marihuana-Plantagen verbrauchen mehr Strom als eine Großstadt“

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Dr. Nicole Häp zeigt beschlagnahmte Drogen, darunter „Pink Cocaine“

Haschisch, Marihuana, Kokain, Amphetamin, „Pink Cocaine“: Nicole Häp zeigt, was im LKA-Labor analysiert wird.

Nirgendwo in Deutschland werden mehr Drogen analysiert als im Labor des Landeskriminalamts in Düsseldorf. Ein Ortstermin.

Die Zahlen auf dem Schild von Raum Nummer 51.2 sind aus bunten Ecstasy-Pillen zusammengesetzt. Auf einer Glasfront prangt ein Zeitungsartikel mit der Zeile „Irgendwo hier sind Drogen versteckt“, darunter ein Foto mit einem Polizisten im Dickicht einer Marihuana-Plantage. Auf den Gängen gerahmte Stillleben von Cannabisblüten, Crystal-Meth-Kristallen, Tabletten mit eingravierten Totenköpfen. Die Gestaltung des Interieurs würde auch gut zu einer Fernsehserie über Arbeit und Abgründe in einem Drogenlabor passen.

Türschild aus Ecstasy-Pillen in Drogenlabor des LKA

Türschild aus Ecstasy-Pillen

Nicole Häp, promovierte Chemikerin und Gutachterin im Drogenlabor des Düsseldorfer Landeskriminalamts, hat Humor – lässt aber von Beginn an keinen Zweifel daran, dass Witz hier höchstens mal als Ventil dient. Als sie im Gang vor einem Foto einer Drogenküche mit Dutzenden Plastikbehältern und Töpfen stehenbleibt, sagt sie: „Umweltdelikte im Zusammenhang mit der Herstellung von Drogen sind leider ein großes Thema geworden.“ Nicht selten führen niederländische Drogenhersteller „schnell über die deutsche Grenze, um dort die Reste von Chemikalien zu entsorgen“.

Cannabis-Anbauer zapfen fast immer das öffentliche Stromnetz an

Die meisten Menschen wüssten nicht, dass „ein erheblicher Teil des Cannabis, das in den Niederlanden verkauft wird, in Deutschland hergestellt wird“, sagt Häp. Allein in Nordrhein-Westfalen würden „pro Jahr 150 bis 200 illegale Marihuana-Plantagen entdeckt“. Von vielen Gerichtsprozessen und Vor-Ort-Besuchen wisse sie, dass „die Anbauer in fast allen Fällen das öffentliche Stromnetz anzapfen“. Illegale Marihuana-Plantagen in NRW verbrauchten „mehr Strom als eine Großstadt“. Auch für den legalen Anbau brauche es sehr viel Strom. „Wenn es um den Klimawandel und ums Energiesparen geht, ist das durchaus ein Faktor.“ Rechne man den zumeist illegalen Stromverbrauch mit ein, „müsste Cannabis viel, viel teurer sein“. Für viele Konsumenten wäre das Rauschmittel dann auch nicht mehr so attraktiv.

Die 51-jährige Hürtherin arbeitet seit 13 Jahren im Labor des Landeskriminalamts. Im Auftrag der Polizei überprüft sie mit ihrem Team die Wirkstoffe von Drogen, die bei Razzien, Routinekontrollen, Zufallsfunden und nach Todesfällen sichergestellt werden. In wahrscheinlich keinem deutschen Landeskriminalamt werden mehr Drogen analysiert als in Düsseldorf. Das Polizeipräsidium Köln ist der größte Zulieferer.

Und es werden immer mehr. Seit Häp angefangen hat, in dem Hochsicherheitsgebäude in der Nachbarschaft zu Kultus-, Schul- und Familienministerium zu arbeiten, ist das Team im Labor deutlich größer geworden, die Menge der beschlagnahmten Drogen hat sich in vielen Jahren mehr als verdoppelt.

Heroin riecht nach Essig und Erde, Crystal Meth und Kokain nach nichts

In der Asservatenkammer lagern die Polizei-Lieferungen eines Tages: Plastikbeutel mit mehreren Kilo Marihuana, Tüten mit Haschisch, Kokain, Amphetamin, Heroin, Crystal Meth. Bei einer Großrazzia wurden 80 Kilo Marihuana, 14 Kilo Haschisch, Kokain und „Pink Cocaine“ genanntes Amphetamin gefunden. Ein kleiner Teil davon wird heute auf seine Wirkstoffe untersucht.

Die Plastikkörbe sind mit den Vornamen der Mitarbeitenden beschriftet, die die Proben analysieren. In dem Tresorraum riecht es süßlich-stechend nach dem Harz der Cannabis-Blüten, die synthetischen Drogen bringen eine Geruchsnote ein, die an eine Mischung aus Dieselkraftstoff, Säure, Fisch und Energydrink erinnert. Häp öffnet ein Tütchen mit Heroin: Es riecht nach Essig und Erde. Crystal Meth und Kokain sind dagegen geruchslos.


 Der KStA-Drogenreport 2023

Kölns dunkle Seite – Recherchen aus einer Schattenwelt

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In einem der Labore schüttet Mitarbeiter Nik Marihuana-Blüten aus einer Zwei-Kilo-Tüte in eine Mühle. Der Chemie-Laborant überprüft das Marihuana auf seinen Wirkstoffgehalt, der für das Strafmaß entscheidend ist. Die Drogen werden im Ultraschallbad mit Lösungsmitteln extrahiert und mithilfe teurer technischer Apparate wie Gaschromatographen und Flammenionisationsdetektoren in ihre Bestandteile zerlegt und analysiert. Die Tendenz ist klar: Der Wirkstoffgehalt der häufigsten Drogen steigt – „allein bei Haschisch und Marihuana in den vergangenen Jahren von im Schnitt acht auf mehr als 23 Prozent“, sagt Häp.

Die Zahl der registrierten Drogentoten hat sich in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt. Im Jahr 2021 gab es laut der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht 1826 Todesfälle – 245 mehr als im Jahr zuvor. Die meisten Fälle gehen auf Heroinkonsum zurück.

Dr. Nicole Häp vor dem Foto eines entdeckten Drogenlabors

Nicole Häp vor dem Foto einer illegalen Drogenküche

„Es gibt auch deswegen so viele Drogentote, weil die Konsumenten oft nicht wissen, was sie genau einnehmen“, sagt Nicole Häp. An Bedeutung gewonnen hätten in den vergangenen Jahren neue psychoaktive Stoffe wie synthetisch hergestellte Cannabinoide, Stimulanzien oder Opioide. Frei käuflicher CBD-Hanf, CBD-Haschisch oder E-Liquids für Vaporisatoren würden gelegentlich mit synthetisch hergestellten Cannabinoiden versetzt, die „regelmäßig für Einlieferungen in die Notaufnahmen“ sorgten.

Der Anteil von giftigen Verschnittstoffen wie dem Entwurmungsmittel Levamisol in Kokain sei in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen – das Entwurmungsmittel werde nur noch in jeder neunten Probe nachgewiesen. Spektakulär war der Nachweis von Milzbrandsporen in Heroin im Jahr 2010 – vermutlich durch den Transport in Tierfellen oder beim Abpacken in Tierställen sei es zu der Kontamination mit dem hochgefährlichen Bakterium gekommen, das vor allem Schafe und Rinder befällt.

Bei Heroin, Kokain, Amphetamin und Crystal handelt es sich um toxische Substanzen - alle sind durch einen Totenkopf als Gefahrensymbol gekennzeichnet, das sollten sich die Konsumenten vielleicht mal klarmachen
Dr. Nicole Häp, Chemikerin

„Leider können wir nicht mit Horrorstorys aufwarten, wir haben nur häufiger Substanzen, die als Betäubungsmittel eingeschickt werden, aber gar keine sind – zum Beispiel Katzenstreu in Socken oder Parmesankäse als Amphetamin, Weihrauch als MDMA, Menthol-Kristalle als Crystal“, sagt Nicole Häp. „Bei Heroin, Kokain, Amphetamin und Crystal handelt es sich generell um toxische Substanzen – alle sind durch einen Totenkopf als Gefahrensymbol gekennzeichnet, das sollten sich die Konsumenten vielleicht mal klarmachen.“

Tagesaktueller Drogenfund: Auf einem Metalltisc liegen Tüten mit Marihuana, Haschisch, Kokain, Amphetamin und „Pink Cocaine“

Tagesaktueller Drogenfund

Aus den USA komme der Trend, Wirkstoffe wie THC mit Hilfe von Hochdruckgeräten zu destillieren. Der Kölner Rapper Dr. Knarf hatte sich vor sechs Jahren lebensgefährlich verletzt, als sein selbst gebautes Cannabisdestilliergerät in einem Keller explodierte. Das LKA erstellte Gutachten zum Hergang des Unfalls. „Wenn nur ein Ventil nicht funktioniert, ist das lebensgefährlich“, sagt ein Gutachter auf dem Gang des LKA-Labors. „Viele dieser Apparaturen, die von Bastlern zusammengebaut werden, haben aber Dutzende Ventile. Das ist komplett irre.“

Ein gerahmtes Bild auf dem Gang zeigt eines der Destilliergeräte, die zur Todesfalle werden können. Dr. Knarf hatte nach der Explosion, die zu schwersten Verbrennungen, Schlaganfällen und dem Verlust eines Teils seines Schädels durch eine Operation geführt hatte, gesagt, dass sein Verhalten „total verantwortungslos“ gewesen sei.

Wenn man vor Gericht oder Vor-Ort-Besuchen in Drogenküchen in menschliche Abgründe blickt, nimmt man das manchmal mit nach Hause
Nicole Häp

Für Nicole Häp, die jährlich 600 bis 700 Gutachten schreibt, gehören die Auftritte vor Gericht zu den „weniger angenehmen Aufgaben des Berufs“. Ihr sei es lieber, Konsumenten, Drogenhersteller oder Dealer nicht zu kennen. „Wenn man vor Gericht oder Vor-Ort-Besuchen in Drogenküchen in menschliche Abgründe blickt, nimmt man das manchmal mit nach Hause.“ Wenn – wie an diesem Tag – lediglich beutelweise Kokain, Amphetamin, Heroin, Marihuana und Haschisch auf dem desinfizierten Metalltisch liegen und analysiert werden müssen, „ist das ein wissenschaftlicher Job, der einem zudem das Gefühl gibt, etwas Sinnvolles gegen organisierte Kriminalität zu tun“.


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