Auch im Rheinland wird jede Menge Obst und Gemüse vom Feld gestohlen. In Bedburg im Rhein-Erft-Kreis wurde einer der Diebe mitten in der Nacht von der Polizei gestellt.
„Einfach Wahnsinn“Feld von Spargelbauer Dirk Janßen zum zweiten Mal von Dieben geplündert

Ein Feld von Spargelbauer Dirk Janßen wurde über Nacht von Dieben vollständig leergepflückt.
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Seine Gefühlslage könne er kaum beschreiben, sagt Spargelbauer Dirk Janßen. „Das geht von Wut über Ratlosigkeit und Enttäuschung bis hin zur Angst, dass das jetzt immer weiter so geht.“
Vor zweieinhalb Wochen haben Diebe über Nacht eines seiner Felder abgeerntet. Einen ganzen Hektar grüner Spargel, der über der Erde wächst. Mehr als 250 Kilogramm wurden gestohlen, der Schaden betrug mindestens 2500 Euro. „Und letzte Nacht waren die doch tatsächlich wieder hier“, berichtete Janßen dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ am vergangenen Wochenende: „Heute morgen war ich kurz vor dem Herzinfarkt – das ist doch der Wahnsinn.“
Ein Spargelfeld wurde sogar zweimal geplündert
In den Sonnentagen der vergangenen Woche war der Spargel auf zahlreichen der geplünderten Flächen in der Nähe des nordrhein-westfälischen Geldern wieder nachgewachsen. „Und die dicksten Stangen haben sich diese Leute jetzt wieder rausgebrochen“, sagt Janßen mit leicht brüchiger Stimme: „Da ist man doch nahe an der Verzweiflung.“

Sogar zweimal wurde das Feld von Landwirt Janßen geplündert.
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„Der Diebstahl von angebautem Gemüse oder Obst ist kein Kavaliersdelikt, sondern eine Straftat“, sagte Nordrhein-Westfalens Landwirtschaftsministerin Silke Gorißen (CDU) bereits nach dem ersten Spargel-Raub. Der Fall zeige, „dass Täter offensichtlich immer dreister vorgehen und nicht davor zurückschrecken, unseren Landwirtinnen und Landwirten erheblichen Schaden zuzufügen“.
Großangelegter Obstdiebstahl auch in Übach-Palenberg und im Ahrtal
Großangelegter Diebstahl wie in der Nähe von Geldern sind im Rheinland zwar noch die Ausnahme, landesweit aber schon längst keine Einzelfälle mehr. Im September vergangenen Jahres beispielsweise wurden im nordrhein-westfälischen Übach-Palenberg in einer Nacht-und-Nebel-Aktion 57 Obstbäumen auf einer 7700 Quadratmeter großen Wiese komplett leer gepflückt. Im Ahrtal bei Bonn stahlen Diebe auf einem Weingut über Nacht zweieinhalb Tonnen Trauben – der Schaden betrug etwa 18.500 Euro.
Auch außerhalb von NRW gibt es immer mehr Fälle. Im hessischen Witzenhausen beispielsweise haben Kriminelle im vergangenen Sommer rund 500 Kilogramm Kirschen von einem Obsthof gestohlen. Im bayerischen Dieterskirchen hat eine Bande übers Wochenende mehrere Tonnen Äpfel von einer abgelegenen Plantage entwendet, die einige Tage unbeobachtet war.
Auch Forschungsfelder mit seltenen und alten Apfelsorten wurden abgeerntet

Kohlrabie auf einem Feld in Düsseldorf. Einige Spaziergänger sehen in dem Feld am Wegesrand eine Art Selbstbedienungsladen.
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Gestohlen wird, was ungeschützt wächst. In Baden-Württemberg etwa wurden umfangreiche Fälle mit Pflaumen, Mirabellen, Brombeeren oder Weinblättern bekannt. Sogar 1700 Artischocken-Blütenstände im Wert von 10.000 Euro haben Unbekannte mitgenommen. „Dabei geht es nicht nur um das Erntegut“, sagt Padraig Elsner vom Landwirtschaftlichen Hauptverband. In Lörrach beispielsweise, wo über Nacht in einem Forschungsgarten sämtliche 200 Bäume geplündert und 400 Kilo Äpfel von besonderen Arten verschwanden, sei ein „bemerkenswertes Forschungsprojekt sabotiert“ worden: „Es zeigt, dass die Diebe, egal im Kleinen oder im Großen, nicht darüber nachdenken, was sie anrichten.“
Der Diebstahl von Obst und Gemüse ist beileibe kein neues Phänomen. Auch Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbands, hat da so seine Erfahrungen gemacht. Zigmal habe er Leute beim Klauen von Kohl, Trauben oder anderen Lebensmitteln erwischt, hat er schon vor geraumer Zeit auf „X“ geschrieben. „Einer hielt zwei Rotkohlköpfe in den Händen und behauptete, dass er nicht geklaut hat“, ergänzte er.
„Die gestohlen Mengen gehen über den eigenen Bedarf hinaus“
Wer ähnliche Szenarien im Großraum Köln sucht, muss nicht weit fahren. „Ich höre so etwas regelmäßig von meinen Kollegen, egal was sie anbauen – das ist fast schon zu unserem traurigen Alltag geworden“, sagt Georg Bökels, einer von rund 600 Obstbauern in NRW. Neben seinem Gehöft im Bergheimer Ortsteil Fliesteden stehen einige seiner Bäumchen. In schnurgeraden Reihen, je nach Boden dicht gepflanzt im Abstand von 60 Zentimetern bis zu einem Meter. Neuere Sorten wie Elstar, Braeburn oder Wellant, historische wie die dunkelroten Netty. Hoch über den Bäumen schwebt ein dichtes Netz, das vor heftigen Hagelschauern schützen soll.
Bökels ist stolz auf das, was er seit 1982 aufgebaut hat. Damals hat er den Hof erworben, der 1938 gegründet wurde. „Die Liebe zur Landwirtschaft war es, die mich getrieben hat“, sagt er. Schon der Vater legte Obstplantagen an, nachdem er 1950 aus der russischen Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt war.
Oft wird auch der Autokofferraum vollgeladen
„Die Mengen, die heutzutage teilweise gestohlen werden, gehen deutlich über den eigenen Bedarf hinaus“, sagt Bökels, der auch Präsident des Provinzialverbandes Rheinischer Obst-und Gemüsebauern ist. „Da kommen Leute mit ihren Autos, um den Kofferraum vollzupacken.“ Auch auf seinen Wiesen kam schon Kahlschlag vor. „Als ich nach einer Wochenendreise zurückgekommen bin, fehlten auf einem Gelände etwa drei Tonnen Kirschen, da hing keine einzige Frucht mehr.“
Oder als er eine neue Apfelsorte gepflanzt habe. „Am Morgen des fünften Tages fehlten plötzlich 100 Bäume“, erzählt der 64-Jährige. Existenzbedrohend sei „dies alles glücklicherweise“ noch nicht: „Aber es hat teilweise Ausmaße angenommen, die schon weh tun.“

Obstbauer Georg Bökels auf einer seiner Wiesen im Bergheimer Ortsteil Fliesteden
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Früher sprach man von Mundraub, wenn jemand kleine Mengen an Nahrungsmitteln stahl. Der Straftatbestand jedoch wurde 1975 abgeschafft. Heute wird das Delikt als Diebstahl gewertet – also zumindest rein juristisch strenger geahndet. Diebstahl kann mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von maximal fünf Jahren bestraft werden.
Zäune schrecken die Obst- und Gemüsediebe nicht ab
Die Praxis sieht allerdings meist weniger harsch aus. Werden nur geringe Mengen im Wert weniger Euro vom Feld geklaut, betrachten die Justizbehörden das meist als „Diebstahl geringwertiger Sachen“. Diesen Fällen gehen Polizei und Staatsanwalt in der Regel nur dann nach, wenn eine Strafanzeige vorliegt.
Das größte Anbaugebiet für Äpfel in NRW liegt im Raum Meckenheim. „Wenn dort die Touristenhorden einfallen, dann läppert es sich halt, auch wenn alle nur ein paar Früchte pflücken“, sagt Bökels. Bei vielen Feldern seien noch nicht einmal Zäune möglich, weil die großen Traktoren für die Ernte oder die Einsaat dann nicht mehr auf das Gelände gelangen könnten.
Und wenn eingezäunt werde, helfe das oft auch nicht. „Da kommen teilweise Eltern mit ihren Kindern, klettern über den Zaun, zeigen ihnen, wie’s gemacht wird - und vermitteln damit, es sei nicht schlimm, anderen etwas wegzunehmen“, sagt der Landwirt, während seine Miene immer ernster wird. „Das ist das Problem, dass der Respekt vor unserer Arbeit fehlt und dass diese Respektlosigkeit immer größer zu werden scheint.“
Obstbauer Bökels: „Den Leuten fehlt der Respekt vor unserer Arbeit“
Manchmal wenigstens gibt es ein kleines Licht am Tunnelende. Johannes Nagelschmitz steht auf seinem Hof im rheinischen Bedburg und kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Seit drei Jahren wurde auf einem seiner Felder immer wieder Spargel gestohlen. „Von Jahr zu Jahr wurde die Menge immer größer“, erzählt er. In diesem Jahr seien zu Beginn der Erntesaison zehn Stellen in einer Länge von bis zu 15 Metern durchwühlt worden. „Das war ein Schaden von 6000 Euro, weil die Dämme nicht mehr wiederherzustellen waren und auch kein weiterer Spargel nachkommen konnte.“
Nagelschmitz hat deshalb zahlreiche Wildkameras im Feld versteckt, die auch funken können. Zunächst gab es einige Fehlalarme. Dann aber, vor zwei Wochen, kam mitten in der Nacht ein Foto, auf dem eine Gestalt zu sehen war. Der 48-jährige Landwirt informierte die Polizei und fuhr auch selbst zu dem zehn Kilometer entfernten Gelände.
„Und Treffer“, sagt Nagelschmitz. Der Spargeldieb konnte von den Beamten gestellt werden. „Jetzt läuft die Strafanzeige“, ergänzt der Landwirt, dessen Familien den Hof in vierter Generation betreibt: „Wir kümmern uns das ganze Jahr um die Pflanzen. Da müssen die Leute lernen, dass sie das nicht einfach so zerstören dürfen.“