Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Kommentar

Gastbeitrag
Spaltung und Glaubwürdigkeitskrise – Für die SPD ist kein Land in Sicht

5 min
Lars Klingbeil (SPD), Bundesminister der Finanzen, Vizekanzler und SPD-Bundesvorsitzender steht am 1. Oktober neben SPD-Parteivorsitzende Bärbel Bas (SPD), Bundesministerin für Arbeit und Soziales.

Lars Klingbeil (SPD), Bundesminister der Finanzen, Vizekanzler und SPD-Bundesvorsitzender steht am 1. Oktober neben SPD-Parteivorsitzende Bärbel Bas (SPD), Bundesministerin für Arbeit und Soziales.

Die SPD muss die Spaltungen innerhalb der Partei überwinden, um den Trend des Absturzes zu stoppen. Ein Gastbeitrag von Hans-Roland Fäßler.

Die SPD hat bei den Kommunalwahlen in NRW eine krachende Niederlage erlitten und das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte eingefahren. Aber die aus Duisburg stammende Parteivorsitzende Bärbel Bas erklärte im WDR: „Das Resultat ist schlecht, aber nicht so schlecht wie erwartet.“ Wer solche Erwartungen hegt, muss weiteren Absturz fürchten.

Die SPD in Baden-Württemberg hat sich auf Landesebene an die Zehn-Prozent-Grenze herangearbeitet, die Bayern-SPD hat längst auch diese Marke gerissen und liegt im einstelligen Bereich. Alles wie erwartet? Die NRW-SPD dümpelt nach den jüngsten Umfragen zwischen 16 und 19 Prozent. Und die Demoskopen erwarten, dass der Abwärtstrend sich fortsetzt.

Die SPD hat immer noch nicht verstanden, welche Bedeutung gerade direkt gewählte Oberbürgermeister, Bürgermeister und Landräte für ihre politische Schlagkraft haben. Das hat mehrere Ursachen. Der Funktionärskader der Partei ist traditionell eher links-grün, stark ideologisch fixiert und kann mit der strategischen Positionierung der Partei in der Mitte der Gesellschaft wenig bis nichts anfangen. Die SPD ist seit gut 125 Jahren in ein rechtes und linkes Lager geteilt.

Wählst Du meinen Onkel, wähl' ich Deine Tante

Nun gibt es neben dieser vertikalen auch noch eine horizontale Spaltung, nämlich die zwischen Funktionären „oben“ und den sogenannten einfachen Mitgliedern „unten“. Die Führungskader haben sich verselbstständigt: Sie stehen zum Teil an der Spitze mehrerer Arbeitsgemeinschaften wie etwa Jusos, ASF (Frauen) oder AFA (Arbeitnehmer) und organisieren auf Delegiertenkonferenzen und Parteitagen Mehrheiten, die ihrer ideologischen Ausrichtung folgen. Aber selbst wenn sie sich in Einzelfragen inhaltlich spinnefeind sind: Sie wählen ihre Personaltableaus gemeinsam durch. Peer Steinbrück ironisiert: „Wählst Du meinen Onkel, wähl' ich Deine Tante.“ Wenn Parteivorsitzende ihren Funktionären keine „vernünftigen Entscheidungen“ in Schicksalsfragen zutrauten, ließen sie Mitgliederentscheide abhalten. Nur so konnten sie sicher sein, dass die Mitglieder der Notwendigkeit, die SPD in eine Große Koalition zu führen, anders als auf einem funktionärsdominierten Kleinen Parteitag, zustimmen würden.

Bezirks-, Landes- und Bundesparteitage sind Hochämter der Funktionärskader, und da kommt es dann auch zu Beschlüssen, die mit der Lebenswirklichkeit einfacher Mitglieder und potenzieller Wähler eher wenig zu tun haben. Diese Veranstaltungen sind im Prinzip geschlossene Hinterzimmer-Gesellschaften, die sich – nachdem dort alles ausgekungelt worden ist – auf offener Bühne präsentieren. Es wird dann eher ein Demokratie-Ritual aufgeführt, als dass unmittelbare demokratische Willensbildung stattfindet. Auch dadurch verschärft sich die Glaubwürdigkeitskrise der SPD.

Dabei ist die Anschlussfähigkeit ihrer Oberbürgermeister wie Torsten Burmester in Köln und Sören Link in Duisburg an das bürgerliche Lager die Grundvoraussetzung für ihre Erfolge. Bei der Wahl in Dortmund, als der amtierende OB Thomas Westphal nach fast 80 Jahren sozialdemokratischer Vorherrschaft sein Amt gegen den CDU-Mann Alexander Omar Kalouti verlor, zeigte sich, dass Sozialdemokrat zu sein allein nicht mehr ausreicht, um gewählt zu werden. Nicht einmal in der von Herbert Wehner einst gepriesenen „Herzkammer“ der Sozialdemokratie.

Sozialdemokrat zu sein allein reicht nicht mehr aus, um gewählt zu werden

Torsten Burmester hat es dagegen geschafft, mit seinem an die Mitte der Gesellschaft gerichteten Wahlprogramm in der Stichwahl trotz einer grün dominierten Stadt die Mehrheit zu erringen. In der viertgrößten Stadt Deutschlands fand er natürlich eine andere politische Lage vor als Sören Link in Duisburg, der seit 13 Jahren sowohl im Arbeitermilieu als auch im konservativen Lager eine deutliche Mehrheit erreicht: diesmal mit mehr als 78 Prozent der Stimmen. Und er hat auch seine Partei mitgezogen: Sie legte um 1,8 Prozent zu.

Das war bei der Kommunalwahl in NRW jedenfalls nicht die Regel. Er hat seit jeher vor der Ausbeutung unserer Sozialsysteme durch organisierte Kriminalität gewarnt, die sich die Armutsmigration aus Südosteuropa schamlos zunutze macht und sie zum Teil auch steuert. Es gehörte in der SPD nicht zum guten Ton, dieses Problem in der Klarheit anzusprechen, wie das Sören Link immer getan hat.

In der überregionalen Berichterstattung ist ihm der Titel „Trump von Duisburg“ angehängt worden. Das hat bei seinen Wählern nicht verfangen. Sie wissen, dass er sich um diejenigen kümmert, die in die sozialen Sicherungssysteme einzahlen und diese Form des Missbrauchs als schreiende Ungerechtigkeit empfinden. Für ihn als Sozialdemokraten ist das Ziel, Gerechtigkeit zu schaffen, von zentraler Bedeutung.

Die Kölner Stadtgesellschaft erwartet Lösungen, keine faulen Kompromisse

Torsten Burmester steht zu Beginn seiner Amtszeit vor anderen Problemen: Er will vor allem Sicherheit und Sauberkeit in allen Veedeln herstellen, gerade auch am Neumarkt, wo sich ein verstörender Hotspot der Drogenszene befindet. Der künftige OB sieht die Not und das Elend der Süchtigen, aber es ist ihm klar, dass Empathie allein nicht hilft. Die Stadtgesellschaft erwartet eine Lösung, keine faulen Kompromisse. Das wirft ein Schlaglicht auf die mit elf Fraktionen komplizierten Verhältnisse im Rat. Burmester wird wohl mit wechselnden Mehrheiten arbeiten müssen; das verschafft ihm mehr Beinfreiheit, weil er nicht an Koalitionsverträge gebunden ist, macht das Regieren aber trotzdem nicht leichter. Sören Link arbeitet in Duisburg seit Jahren in einer Koalition mit der CDU, die geschwächt aus den Ratswahlen hervorgegangen ist, und muss deshalb noch einen (kleinen) Partner ins Boot holen.

Es gibt eine weitere, gravierende Spaltung in der SPD: die zwischen direkt gewählten Kommunalpolitikern und Funktionären auf Landes- und vor allem auf Bundesebene. Sie sind miteinander nur in gegenseitiger Abneigung vereint. Funktionäre halten die pragmatische, auf die gesellschaftliche Mitte ausgerichtete Politik dieser Wahlsieger für toxisch oder gleich für parteischädigend, und was wiederum erfolgreiche Kommunalpolitiker von ideologiefixierten Überzeugungstätern halten, erklärt sich von selbst. Solange die SPD ihre Kommunalpolitiker von einer Mitwirkung in den Entscheidungszentren abhält, weil ihre Funktionäre nicht ihre potenziellen Wähler, sondern nur ihre eigene Programmatik im Auge haben, wird sie ihren Abwärtstrend nicht stoppen können. Und kein Land in Sicht.


Zur Person: Hans-Roland Fäßler arbeitete unter anderem für den BR als Redakteur im Bonner Hauptstadtbüro und als ARD-Korrespondent. 50 Jahre war er SPD-Mitglied und pflegte mit Johannes Rau und Wolfgang Clement eine enge Freundschaft, die ihn auch mit Peer Steinbrück verbindet. Nach der Wahl von Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans zu Vorsitzenden trat er aus der SPD aus. Mit seiner Firma Polimedia betreibt er Politik und Medienberatung.