„Jahre des großen Aufschwungs vorbei“Kölner Grüner Arndt Klocke kritisiert fehlende Streitkultur in seiner Partei

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Ein Sonnenblumenlogo steht vor Beginn der Landesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen Niedersachsen auf der Bühne der Stadthalle in Osnabrück.

Das Sonnenblumenlogo von Bündnis 90/Die Grüne

Sind die Grünen zu zahm geworden? Der Landtagsabgeordnete kritisiert, die Parteitage seien zu friedlichen Familientreffen degeneriert.

Er hat im Mai 2022 in Köln mit 41,6 Prozent das landesweit stärkste Ergebnis für die Grünen bei der Landtagwahl erzielt. Seit 13 Jahren macht Arndt Klocke für die Grünen im Landtag Politik. Der frühere Partei- und Fraktionschef ist dafür bekannt, kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Jetzt sorgt er mit einer Analyse zur Lage seiner Partei für Diskussionsstoff: „Was ist bei Grün los?!“, lautet die Überschrift seines Blogbeitrags.

Der Kölner Grüne Arndt Klocke

Der Kölner Grüne Arndt Klocke

Anlass für den Meinungsbeitrag ist die Situation der Grünen nach dem Koalitionsende in Hessen. Dort werden die Grünen nicht länger Regierungspartei sein, weil die CDU sich für eine Zusammenarbeit mit der SPD entschieden hat. Das Ende von Schwarz-Grün in Hessen werfe grundsätzliche Fragen für die ganze Partei auf, schreibt Klocke. Schließlich gelte Hessen seit Mitte der Achtziger „als Musterland“ der Grünen.

Doch bei der Wahl im Oktober seien die Ziele verfehlt worden. Statt den Ministerpräsidenten zu stellen, habe die Partei fünf Prozent der Stimmen verloren und sei hinter die AfD gerutscht. „Trotzdem wurde das Ergebnis bei Grün als zweitbestes Ergebnis in der Geschichte gefeiert“, kritisiert Klocke. Dabei sei es an der Zeit, jetzt „innezuhalten“: „Es ist doch offensichtlich, dass die Jahre des großen grünen Aufschwungs, die 2018 mit der Wahl von Robert Habeck und Annalena Baerbock begannen, vorerst vorbei sind.“

„Debatte findet nicht statt“

Die Grünen seien mittlerweile aus drei Landesregierungen geflogen, obwohl in Sachsen-Anhalt, Berlin und in Hessen die jeweilige Koalition wieder eine Mehrheit bekommen hatte. „Eine wirkliche Debatte über die tieferliegenden Gründe nehme ich in der Partei aktuell nicht wahr“, bilanziert der Kölner.

Dabei sei eine Aufarbeitung dringend notwendig. Nach Einschätzung von Klocke haben die Grünen „eine nüchterne Analysefähigkeit und auch ein gewisses, gesundes Maß an Selbstkritik“ verloren. „Wie es sein kann, dass bei Landtagswahlen in zwei westdeutschen Flächenländern die Rechtsextremen bei den Jung- und ErstwählerInnen mehr Stimmen bekommen als wir?“, fragt der Kölner. „Wirklich intensive Debatten“ um Standortbestimmungen habe es seit mehreren Jahren nicht gegeben.

Auch vor zwanzig Jahren, als die Grünen in Ländern wie NRW ebenfalls in der Verantwortung standen, sei „regieren oft schwierig“ und „ein schmerzhafter Prozess“ gewesen.  „Der Unterschied zu heute ist, dass wir damals in vielen Konferenzen und Sonder-Parteitagen intensiv um unseren Kurs gerungen haben“, so Klocke. Derzeit würden Grüne-Parteitage dies nicht leisten. „Es wird dort zwar lang und viel geredet, aber echte Kontroversen sind nicht zu erkennen“, bemängelt Klocke. Strittige Anträge würden vorab über Antragskommissionen „entschärft“ oder verwiesen.

„Parteitage sind Familientreffen“

Grüne Parteitage würden ihn daher „eher an große, bunte Familientreffen“ erinnern. „Ganz wichtig heutzutage ist in der Tagungshalle die große Fotowand mit dem grünen Logo für die Erinnerungsfotos für Social Media“, erklärt Klocke. Er vermisse strittige inhaltliche Debatten, wo man um den richtigen Kurs ringt und nicht schon „vorher weiß, wie es ausgeht“. Vor zwanzig Jahren hätten die Grünen in der jetzigen Situation „auf jeden Fall“ einen Sonder-Bundesparteitag zur Migrationspolitik gehabt. „Heute hört man das Grummeln mancher – und dabei bleibt es bislang auch.“

Klocke rät seiner Partei, „mal wieder durchzupusten“ und kontroverse Debatten zu wagen. „Den mittlerweile geltenden grünen Grundsatz, dass politischer Streit in der Partei immer nur Schaden anrichtet, halte ich schon lange für falsch“, bilanziert der Experte für Wohnungspolitik und mentale Gesundheit. In den sozialen Medien erhielt Klocke für seine kritische Analyse überwiegend positive Rückmeldungen.

Tim Achtermeyer, seit 2022 Parteichef der NRW-Grünen, sagte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, er freue sich „immer über Debattenbeiträge“ aus der Partei: „Das macht sie genau so aus, wie dass wir immer wieder kontroverse Themen auf Parteitagen debattieren und entscheiden – zuletzt beim Kohleausstieg auf dem Bundesparteitag in Bonn oder beim Thema Migration beim Länderrat in Bad Vilbel“. Er sei sich sicher, dass man beim nächsten Bundesparteitag „miteinander um die besten Antworten auf die Herausforderungen der Zeit ringen“ werde. Der findet vom 23. bis 26. November in Karlsruhe statt.

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