Sie ist zwei bis vier Millimeter groß, verströmt einen leicht zitronigen Geruch - und treibt Kommunen mit ihren zerstörerischen Superkolonien in die Verzweiflung: Nun ist die Große Drüsenameise auch in Köln angekommen.
Plage drohtGroße Drüsenameise hat Köln erreicht – Ist sie noch zu stoppen?

Die Ameisenart Tapinoma magnum ist klein, schwarz, verströmt einen zitronigen Geruch und zeigt eine auffällige Kerbe an der Vorderseite des Kopfschildes.
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Die Überreste des Klettergerüsts ragen aus dem Boden, wie das Skelett eines ausgegrabenen Urzeit-Tiers. Es ist ein Relikt aus einer längst vergangenen Zeit. Wo früher ein Spielplatz war, ist heute nur noch eine große Sandfläche. Zwei Bagger flankieren das Gerüstskelett, so, als wollten sie klarmachen, wer ihr nächstes Opfer ist.
Der Grund für die Tristesse auf dem Spielplatz in Kehl im Südwesten Deutschlands ist nur wenige Millimeter groß – und treibt Städte und Kommunen zur Verzweiflung: Tapinoma magnum, die Große Drüsenameise. Die invasive Art, eigentlich heimisch im Mittelmeerraum, fühlt sich mittlerweile auch in Deutschland wohl – nicht zuletzt wegen des Klimawandels. Und es scheint, als müssten dort, wo sie sich eingenistet hat, früher oder später die Bagger anrücken und alles abreißen.

Invasive Ameisen der Gattung Tapinoma magnum plagen seit einigen Jahren die Anwohner im Kehler Ortsteil Marlen.
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Den Kehlern krabbelte Tapinoma magnum im vergangenen Jahr millionenfach in ihre Autos, Spülmaschinen und Kinderzimmer. Sie zerfraß Stromkabel und legte das Internet lahm. Auch der Spielplatz wurde dichtgemacht, weil sich Betonplatten hoben und Hohlräume bildeten – zu hoch wurde das Sicherheitsrisiko für die Kinder. Die zerstörerische Kraft der Tapinoma magnum liegt in ihrer Fähigkeit, Superkolonien zu bilden: Ausgehend von einer kleinen Kolonie, breitet sie sich flächig aus, bildet immer neue Nistorte mit reproduktiven Königinnen, so dass letztlich ein Netzwerk von Nistorten entsteht, zwischen denen die Arbeiterinnen hin und herlaufen. Sie erkennen sich nicht als fremd und bekämpfen sich deshalb auch nicht. So können sie Hunderte oder sogar Tausende Königinnen ausbilden – und sich rasant vermehren. Bis zu 20 Hektar kann eine solche Superkolonie einnehmen.
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Auch in Köln, Essen und Krefeld trieb sich die Tapinoma magnum schon herum
Das macht es auch so schwer, die Ameisen zu bekämpfen. Freiverkäufliche Insektizide helfen kaum. Nur der großflächige Einsatz von heißem Wasser scheint bisher Wirkung zu zeigen. Die Stadt Kehl legte sich dafür im vergangenen Jahr ein entsprechendes Gerät zu und schaffte zwei Vollzeitstellen allein für die Bekämpfung der Tapinoma magnum – insgesamt entstanden Kosten im sechsstelligen Bereich. Das hilft etwas. Nachhaltig vertreiben lässt sich das Insekt allerdings auch davon bisher nicht. Und die Große Drüsenameise ist schon längst nicht mehr nur ein Problem für Kehl – in ganz Baden-Württemberg breitet sie sich aus, in Hamburg wurde bereits ein Fund gemeldet. In Hannover macht die Tapinoma ibericum, eine enge Verwandte der Tapinoma magnum, einem Supermarkt zu schaffen.
Auch in Nordrhein-Westfalen hat das zwei bis vier Millimeter kleine Tier schon seine Spuren hinterlassen. Zwölfmal wurde es bereits im Bundesland aufgefunden. Das steht zumindest in einer Untersuchung, die als Mitteilung beim Entomologischen Verein Krefeld erschien. Als Fundort aufgeführt ist hier unter anderem ein Kölner Gartencenter, aber auch eine Essener Parkanlage, ein Wohnhaus und angrenzender Garten in Bonn, eine Gärtnerei in Mettmann sowie ein Gartencenter im Kreis Kleve. Im Kölner Zoo krabbelten Exemplare in Räumen des Aquariums herum. Dort wurde die Ameise mit gängigen Mitteln bekämpft, „sodass man dort alles im Griff hat“, teilte der Zoo auf Anfrage mit.

Ameisen der Art Tapinoma magnum
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Erstmals entdeckt wurde das Krabbeltier NRW-weit vor sechs Jahren in Gewächshäusern im Großraum Köln. Das Kölner Umweltamt berichtet von einem Befall öffentlicher Liegenschaften in Bocklemünd, bei dem Schädlingsbekämpfung wirkte. Essen hat es bislang am schlimmsten getroffen. Dort maß man ein besiedeltes Gebiet von Straßen und Nesteingängen von 140 mal 50 Metern.
Tiere kommen mit Oliven- und Feigenbäumen nach NRW
„Mit hoher Wahrscheinlichkeit kommen die Tiere mit Pflanzentransporten nach Deutschland“, sagt Manfred Verhaagh vom Staatlichen Museum für Naturkunde in Karlsruhe im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Die Ameisen kommen meist mit Pflanzentransporten aus dem Mittelmeerraum nach Nordrhein-Westfalen. Sie verstecken sich beispielsweise in Erde und Wurzeln von Zitronen-, Oliven- oder Feigenbäumchen.
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Insofern hat die Landnahme in Nordrhein-Westfalen mit dem Klimawandel zu tun. Wenn auch nur indirekt. Denn grundsätzlich sind Tapinomas robust und halten „durchaus längere Perioden von bis zu 15 Grad Frost aus“, sagt Verhaagh. „Die Tiere reisen aber mit mediterranen Pflanzen wie Olivenbäumen, Zitrus- oder Feigengewächsen erst in unsere kälteren Gefilde. Solche Mittelmeerpflanzen wurden früher seltener importiert, da man ihnen zumindest keine ganzjährigen Überlebenschancen einräumte“, so Verhaagh. Heute gedeihen sie gerade auch in der klimatisch milden Rheinschiene – und mit ihnen die Ameisen. Derzeit gleichen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Verbreitung der Tapinoma magnum mit Klimadaten ab. So wollen sie auch Prognosen für die Zukunft treffen können.
Nun könnte man meinen, einem Problem, dessen Ursprung so klar umrissen werden kann, könne vergleichsweise leicht Einhalt geboten werden. Wenn gerade der Pflanzenhandel als Einreiseschneise identifiziert wurde, könnte man ja Gärtnereien und Gartencenter verpflichten, ihre Pflanzen frei dieser Ameisenart zu verkaufen. Möglich wäre das laut Verhaagh beispielsweise, indem man die Erde vor dem Einsetzen neuer Pflanzen grundsätzlich unter Wasser setzte. Und natürlich wäre auch der Einsatz von speziellem Insektengift denkbar. Ganz so einfach ist es aber nicht, schließlich handelt es sich aus Behördensicht bei der Tapinoma magnum gar nicht um eine invasive Art. „Auf der EU-Liste der invasiven Arten stehen naturgemäß nur Arten, die in Europa nicht heimisch sind“, sagt Verhaagh. Und bei der Tapinoma ist die Heimatfrage nicht klar zu beantworten. „Ob die Tapinoma auch in den EU-Ländern Italien, Spanien oder Südfrankreich natürlicherweise vorkommt oder bereits in der Antike zum Beispiel durch den Handel der Römer aus Nordafrika eingeführt wurde, ist nicht bekannt“, so Verhaagh. Jedenfalls ist sie schon lange EU-Bewohnerin.
Nationale Liste soll Behörden ermöglichen, vorbeugend gegen die Ameise einzuschreiten
Die Umweltminister aller Bundesländer wollen diese Regellücke, die sich auf europäischer Ebene hier auftut, nun mit einer „nationalen Liste“ füllen. Als unerwünscht aufgeführt würden dort all diejenigen Pflanzen und Tiere, die in Deutschland nicht heimisch seien. Mitte Mai hatte man sich zur Besprechung eines solchen Plans schon im saarländischen Mettlach-Orscholz getroffen. Behörden könnten damit auch vorbeugend handeln und verhindern, dass aggressive Ameisen in der Erde von Mittelmeerpflanzen eingeschleppt werden.
Aber lässt sich eine deutschlandweite Ameisenplage überhaupt noch verhindern? Der Grünen-Politiker Bernd Mettenleiter fährt an diesem Montagnachmittag mit seinem Elektroauto am Kehler Spielplatz vor. Als Abgeordneter für den Wahlkreis Kehl im baden-württembergischen Landtag hat er das Tapinoma-Forschungsprojekt initiiert. Zunächst ist es auf zwei Jahre ausgelegt. 210.000 Euro hat Mettenleiter dafür aus dem Haushalt des Landes lockermachen können.
Kommunen kostet die Bekämpfung viel Geld
„Für die Kommunen ist die Ameisenplage natürlich eine finanzielle Herausforderung“, sagt er. Deshalb sei es wichtig, „zukunftsorientierte Lösungen“ zu finden. Das Forschungsprojekt soll dabei helfen. Die Idee ist, dass Betroffene und Kommunen sich vernetzen und Wissen austauschen. Auch mit Partnern in Frankreich und in der Schweiz steht man in Kontakt. Dass die Ameise in ihren Ursprungsregionen keine Probleme verursacht, liegt daran, dass sie dort natürliche Feinde hat. In Deutschland scheint Tapinoma magnum bislang keine wirksamen Gegenspieler wie Fressfeinde, Parasiten oder Krankheiten zu haben.
Hundert Kilometer von Kehl entfernt beugt sich Amelie Höcherl über ihr „Bino“, wie sie es liebevoll nennt. Höcherl ist Entomologin am Naturkundemuseum Stuttgart. Seit Januar arbeitet sie bei einem neuen Forschungsprojekt mit, einer Kooperation zwischen dem Stuttgarter Museum und dem Naturkundemuseum Karlsruhe. Das gemeinsame Ziel: „Genomische und ökologische Analysen der Ausbreitung der invasiven Ameisenart Tapinoma magnum in Baden-Württemberg als Grundlage für ein effektives Management“.
Die Ameise ist gekommen, um zu bleiben. Wir werden sie nicht mehr los. Das ist jetzt eher eine Frage des Managements
Höcherl und ihre Kollegen wollen also herausfinden, wie sich die Tapinoma magnum verbreitet und was das für den zukünftigen Umgang mit ihr bedeutet, denn: „Die Ameise ist gekommen, um zu bleiben. Wir werden sie nicht mehr los. Das ist jetzt eher eine Frage des Managements“, sagt Höcherl. In ihrer Arbeit sind die Forschenden auf die Mithilfe der Bevölkerung angewiesen. Wer einen Verdacht auf Tapinoma magnum hat, kann Fotos oder Proben von den Insekten einschicken. Citizen Science nennt sich dieser Forschungsansatz, also die Einbindung von Bürgerinnen und Bürgern in den Wissenschaftsbetrieb. Das eingesandte Material wird von den Forschenden untersucht – bestätigen sie den Verdacht, ist die Tapinoma magnum auf der Deutschlandkarte wieder ein Stückchen weiter gekrabbelt.
Wissenschaftler glauben, dass die Ameise ohnehin schon weitergereist ist, als die Daten der Sichtungen das nahelegen. Und einige erheben auch den Vorwurf, die Politik habe zu spät reagiert. „Am Anfang wurde das kleingeredet“, sagt auch Herbert Michalski. Sein Haus liegt direkt neben dem von Ameisen befallenen Spielplatz in Kehl. Er meint: „Vor Corona fing der ganze Mist hier an.“ Aber die Stadt habe nicht schnell genug reagiert. Jeden Morgen läuft Michalski jetzt „Streife“, wie er es nennt. „Damit mir die Mistviecher nicht zu nahe kommen.“ Seine Frau will dieses Jahr auf den Sommerurlaub verzichten, aus Angst, die Ameisen könnten ins Haus eindringen.
So erkennen Sie die Große Drüsenameise: Die Tapinoma magnum ist ziemlich klein und schwarz, zerdrückt man sie, verströmt sie einen leicht zitronigen Geruch. Als Erkennungsmerkmal kann eine Kerbe an der Vorderseite des Kopfschildes herhalten. Die Ameisen schaffen meist große Netzwerke, die sich über viele Nester erstrecken. Die Wege der Ameisen können als Ameisenautobahn bezeichnet werden, auf der mehrere Tiere nebeneinander laufen. Die abgesonderte Säure der Tapinoma kann zwar schmerzhafte Hautreaktionen hervorrufen, ist für den Menschen aber ungefährlich.