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Interview

Kinderpornografie
„Mit digitaler Naivität wird ein lustiges Bild, als Meme, gedankenlos verbreitet“

Lesezeit 2 Minuten
ARCHIV - 15.04.2021, Hessen, Gießen: Eine Kriminaloberkommissarin beim Polizeipräsidium Mittelhessen sitzt in einem Büro vor einem Auswertungscomputer auf der Suche nach Kinderpornografie und Fällen von sexuellem Missbrauch. (zu dpa: ´Jugendliche im Visier der Ermittler - Deutlich mehr Kinderporno-Fälle») Foto: Arne Dedert/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Auch mit den Folgen digitaler Naivität von Kindern und Jugendlichen haben es Ermittler bei der Polizei zu tun, wenn sie Fälle von Kinderpornografie auswerten.

Die Zahl der registrierten Fälle von Kinder- und Jugendpornografie in Köln steigt. Sven Schneider von der Kripo im Interview über Motive und Tatverdächtige.

Herr Schneider, knapp 600 Fälle von Kinder- und Jugendpornografie hat die Polizei Köln im Vorjahr registriert. Was genau waren das für Fälle, und was wissen Sie über das Motiv der Tatverdächtigen?

Sven Schneider: Das ist sehr heterogen und hat eine extreme Bandbreite. Oft geht es um digitale Naivität. Da werden Fotos oder Videos weitergeleitet, bei denen man sich nicht über den Unrechtsgehalt dieser Abbildungen im Klaren ist. Man identifiziert das nicht als Kinderpornografie, sondern als lustiges Bild, als Meme, das man gedankenlos verbreitet. Das ist die eine Seite der Medaille.

Auf der anderen Seite gibt es die Pädokriminellen, die sogenannte Posingbilder bis hin zu härtesten Abbildungen von schwerem sexuellen Missbrauch zum Beispiel an Säuglingen verbreiten. Auch die Motivlage bei den Pädokriminellen ist divers: Lust am Tabubruch oder an der Erniedrigung, sexuelle Wahllosigkeit, monetäre Interessen, Perversion oder tatsächliche Pädophilie.

Unter 79 der Polizei Köln bekannten Tatverdächtigen, die im Vorjahr pornografische Bilder selbst hergestellt haben, waren 38 minderjährig, fast die Hälfte. Was bewegt Kinder und Jugendliche dazu?

Oft haben wir es mit so genannten Selbstfilmern zu tun – Kindern oder Jugendlichen, die aus eigenem Antrieb eine kinderpornografische Datei herstellen und ins Netz stellen. Ich erinnere mich an einen Fall, da hatte eine Achtjährige ihre Scheide gefilmt und das Video bei Tiktok hochgeladen. Es wurde zum Glück nicht weiterverbreitet, aber es lag auf dem Server. Das Strafverfahren wurde eingestellt, weil die Täterin minderjährig war. Wir haben aber trotzdem die Eltern aufgesucht, das machen wir immer in solchen Fällen.

Das Mädchen hat sich unter dem Tisch verkrochen, so peinlich war ihm das. Die Mutter erinnerte sich daran, dass ihre Tochter das Video genau an dem Tag hochgeladen hatte, als sie Sexualkundeunterricht hatte. Sie habe ihrer Tochter daraufhin noch gesagt: „Guck dir doch mal selbst an, wie du im Genitalbereich aussiehst, vor dem Spiegel.“ Das Kind hat aber nicht den Spiegel genommen, sondern die Handykamera. Und es hat Tiktok aufgemacht, weil es da so schöne Filter gibt.

Die Polizei spricht mit den Familien, mit den Schulen, macht Online-Elternabende – bewirkt das etwas? Lässt die digitale Naivität bei Kindern, Jugendlichen und Eltern nach?

Eigentlich nicht. Wir versuchen seit Jahren, die Prävention in diesem Bereich weiter voranzutreiben. Aber offensichtlich funktioniert das nicht so umfassend, wie es funktionieren sollte. Aus meiner Sicht sollte der Umgang mit digitalen Medien ein Schulfach werden.