Kitas in Köln und Region„Es ist ein Drahtseilakt, mit der Personaldecke zurecht zu kommen“

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Das Bild zeigt Kinderrucksäcke im Eingangsbereich eines Kindergartens. Deutschlandweit fehlen laut einer aktuellen Studie 384 000 Plätze in Kindertagesstätten.

Deutschlandweit fehlen laut einer aktuellen Studie 384 000 Plätze in Kindertagesstätten.

Deutschlandweit fehlen 384.000 Kita-Plätze, Spitzenreiter ist NRW. Leidtragende der Misere sind Eltern, Kinder - und Kita-Personal.

Beim Wort „Ampel“ denken Mütter und Väter in Niederkassel nicht zuerst an ein Verkehrszeichen oder die Berliner Regierungskoalition. Sie denken an ihre Kindertagesstätte. In dem Örtchen zwischen Köln und Bonn wurde Mitte Februar nämlich ein Betreuungs-System eingeführt, das sich an drei Signalfarben orientiert.

Grün bedeutet: Die Kita ist planmäßig besetzt. Von Gelb an spitzt sich die Lage immer mehr und immer häufiger zu. Rot heißt: Der Personalnotstand ist derart schwerwiegend, dass Eltern, deren Kind 45 Stunden in der Woche betreut wird, ihren Bedarf nachweisen müssen. Die Verkürzung der Betreuungszeiten, eine Zusammenlegung von Gruppen, dazu kommt es immer öfter, nicht allein in Niederkassel. Wut und Verzweiflung unter den Eltern sind groß, da braucht es nicht erst einen Verdi-Streik wie auch in dieser Woche wieder. Für Mittwoch hat die Gewerkschaft zu einem ganztägigen Streik aufgerufen. Einzelne Kitas sind auch am Montag wegen des Arbeitskampfes geschlossen.

„Es gibt Einrichtungen, die kein Problem mit dem Personalmangel haben, weil sie schon immer über dem Soll gelegen haben“, sagt Felix Piepenbrock, der als Sprecher die Stadtelternschaft Bergisch Gladbach vertritt. „Wenn ein Träger aber kontinuierlich auf Kante näht, um Kosten einzusparen, kommt es zu Problemen; da müssen Gruppen zusammengelegt werden, sobald jemand ausfällt, oder die Eltern bekommen die berüchtigten E-Mails, in denen darum gebeten wird, die Kinder auf freiwilliger Basis zuhause zu behalten.“

Auch in der Kreisstadt sind die Probleme teilweise gravierend: In der Kita „Kunterbunt“, betrieben von der Arbeiterwohlfahrt, wurde Anfang Februar ein rollierendes Verfahren eingeführt – Kinder durften nur noch alle zwei Tage in die Kita.

Der größte Mangel besteht in NRW

Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung fehlen 2023 in Deutschland 384000 Plätze in den Kindertagesstätten; der größte Mangel besteht im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen mit 101600 fehlenden Kita-Plätzen. Den Fachkräftemangel nennt die Studie als eine der wichtigsten Ursachen für Misere – darunter leidet nicht zuletzt auch die Qualität der Betreuung. Das kann Piepenbrock, im Hauptberuf Unternehmensberater und selbst Vater dreier Kinder, nur bestätigen: „Erstaunlicherweise sind es oft die großen Träger – nicht die Elterninitiativen, die ein anderes und oftmals besseres Gespür für die Personalauslastung haben -, die sich schwertun.

Gleichgültig, ob die Kommunen, die beiden Kirchen oder etwa die Arbeiterwohlfahrt, die großen Träger sind meist viel zu spät mit ihren Stellenausschreibungen dran.“ Das liege auch an der internen Bürokratie. Fachkräfte könnten sich aber mittlerweile aussuchen, wo sie sich bewerben und welche Stelle sie annehmen. „Folgerichtig wählen sie nicht unbedingt einen Arbeitgeber, dessen Personaldecke dünn ist, wo man also vielleicht nicht immer wie gewünscht in Urlaub gehen kann oder wo man sogar Überstunden machen muss“, so der Elternsprecher.

Welche Arbeitsbedingungen man vorfindet, welche Möglichkeiten zur persönlichen Entfaltung eine Kita-Stelle bietet – das hält auch Josefine Paul (Grüne) für zentral. Die Familienministerin in NRW hat den Fachkräftemangel zu einem Kernproblem erhoben, das sie in dieser Legislaturperiode angehen will – wobei sie stets betont, dass es auf die Schnelle nicht zu lösen ist: „Fachkräfte gewinnen wir, indem wir Ausbildungsplätze schaffen. Deren Zahl ist in den vergangenen Jahren erhöht worden, und daran werden wir weiter arbeiten. Aber wir brauchen daneben weitere Maßnahmen: angefangen bei der schnelleren Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse bis zu der Frage, wie man einen Quereinstieg qualifiziert organisieren kann.“

Die Kita „Robin Hood“ in Bergisch Gladbach ist eine Elterninitiative. Unter dem Dach des weitläufigen Gebäudes in Holzbauweise finden drei Gruppen Platz, die jeweils einen eigenen Schwerpunkt besitzen: auf der Unter-Dreijährigen-Betreuung, auf der inklusiven Arbeit mit Kindern mit erhöhtem Förderbedarf, auf der klassischen Kita-Arbeit für Kinder ab drei Jahren bis Schuleintritt. „Die Inklusion ist über die vergangenen Jahre hinweg für uns immer wichtiger geworden, weil sich andere Kitas wegen des Fachkräftemangels aus diesem Bereich zurückgezogen haben und wir gemerkt haben, dass Kinder mit Förderbedarf tatsächlich auf der Straße stehen – deshalb haben wir hier noch einmal investiert“, so der Kita-Leiter Stephan Vogt.

Mit Blick auf den Fachkräftemangel sei seine Einrichtung gut aufgestellt, sagt Vogt. Im Freundeskreis und in der Nachbarschaft bekomme er mit, wie sehr viele Tagesstätten davon betroffen sind: „Das ist teilweise verheerend. Da gibt es Einrichtungen, die zum Beispiel aufgrund von Krankheit eine komplette Woche geschlossen haben.“ Dem entgeht man nur, wenn man wie die Kita „Robin Hood“ über einen guten Personalschlüssel verfügt. „Normalerweise arbeiten in unseren Gruppen sechs Mitarbeitende, zwischenzeitlich haben wir in der inklusiven Gruppe sogar neun Mitarbeitende beschäftigt. Allein durch diese Zahl sind auch längere Ausfälle gut zu puffern“, so der Kita-Leiter.

„Es ist ein Drahtseilakt, mit der dünnen Personaldecke zurecht zu kommen“, sagt hingegen eine Erzieherin, die in einer Kölner Kindertagesstätte bei einem privaten Träger arbeitet. „Gerade jetzt bei dem hohen Krankenstand leihen wir die Erzieherinnen untereinander aus, damit wir die Gruppen möglichst nicht schließen müssen. Wir schauen jeden Morgen, wer da ist und wie wir den Tag bewerkstelligen können“, sagt sie.

Zur Linderung der Situation sollen sogenannte Alltagshelfer in die Kitas kommen – derartige Programme werden auch von der Politik nahezu fraktionsübergreifend begrüßt. Diese Helfer könnten die Erzieherinnen und Erzieher entlasten, indem sie beim An- und Auskleiden oder beim Zähneputzen der Kinder zur Hand gehen. Mehr als ein Notpflaster ist ein solches Programm freilich nicht, auch wenn es gut angenommen wird und vom Land auch in diesem Jahr in einem Umfang von bis zu 250 Millionen Euro gefördert wird.

Die SPD will angesichts der Misere einen übergreifenden „Betreuungsgipfel“ einberufen. Und auch Elternsprecher Felix Piepenbrock fordert eine Art konzertierte Aktion, um eine breit angelegte Personalkampagne für die Kitas zu starten – an diesem Projekt müssten sich die großen Träger der Einrichtungen gemeinsam mit den Städten und Kommunen beteiligen.


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