Sven Plöger über Klimaprognose„Ich bin der Überzeugung, dass wir das 1,5-Grad-Ziel reißen werden“

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Schiffe fahren auf dem Rhein, der sehr wenig Wasser führt. Im Hintergrund ist der Kölner Dom zu sehen. Auch das ausgetrocknete Rheinufer ist deutlich sichtbar.

Trockenheit und Hitze machen sich zunehmend auch in Deutschland bemerkbar. 2022 erreichte der Rhein einen neuen Tiefstand.

Laut eines britischen Wetterdienstes könnte das Jahr 2023 noch wärmer werden als 2022. Meteorologe Sven Plöger ordnet die Prognose ein. 

Wenig Licht, graue Wolken, feuchte Luft und Regen dominieren jetzt im Februar unseren Alltag. Die höheren Temperaturen des Frühjahrs scheinen noch in weiter Ferne zu liegen. Im Moment ist kaum vorstellbar, dass wir im Sommer wieder, wie im vergangenen Jahr, mit viel Trockenheit und Hitze zu kämpfen haben könnten. Möglich ist das durchaus, wie Vorhersagen zeigen.

Laut einer Jahresprognose des Met Office, dem nationalen meteorologischen Dienst des Vereinigten Königreichs, könnte die globale Durchschnittstemperatur in 2023 im Mittel rund 1,2 Grad über dem Durchschnitt der vorindustriellen Periode liegen. Doch was heißt das eigentlich genau?

Ein weiteres sehr warmes Jahr ist absolut denkbar.
Sven Plöger, Meteorologe

Die schnelle Antwort: Es wäre damit das zehnte Jahr in Folge, in dem die Temperaturen das Mittel der vorindustriellen Periode um mindestens ein Grad übersteigen. Und damit kämen wir dem im Pariser Klimaabkommen gesetzten Ziel eines maximalen globalen Temperaturanstiegs von 1,5 Grad schon relativ nahe. Das Met Office vermutet nicht unbedingt ein weiteres Rekordjahr, wie es beispielsweise 2016 war. Doch 2023 werde mit hoher Wahrscheinlichkeit die Reihe der immer wärmeren Jahre fortsetzen und wärmer werden als 2022.

Nach Ansicht des Diplom-Meteorologen Sven Plöger sei es richtig, nicht gleich Hitzerekorde zu vermuten. „Unsere derzeitige Situation ist schwer genug – sich zusätzlich in Aufregung zu versetzen, ist nicht hilfreich.“ Wichtig ist eine realistische Betrachtung der Prognosen. „Da es in Zeiten drastischer Klimaerwärmung aber wahrscheinlich ist, dass wir bei den Temperaturen weiter zulegen, ist ein weiteres sehr warmes Jahr absolut denkbar.“

Auch das periodisch wiederkehrende Wetterphänomen El Niño könne sich darauf auswirken, das sich laut Met Office-Prognose für 2023 wieder ankündigt. „In der letzten Zeit hatten wir es im Pazifik mit der Kaltwasseranomalie ‚La Niña‘ zu tun, die die globale Temperatur insgesamt dämpft“, sagt Sven Plöger.

Wetterphänomen „El Niño“ sorgt für wärmere Luft

Beim Gegenstück El Niño steigen hingegen die globalen Temperaturen über den Durchschnitt an. Auch viele Rekord-Hitzejahre lagen im Zeitraum von einem El-Niño-Phänomen, wie beispielsweise 2015 und 2016. Es gibt jedoch auch besonders warme Jahre, die nach Analysen des Umwelt Bundesamts nicht in einem El Niño-Ereignis lagen, so wie 2017 bis 2021. „Nun zeigen die Signale wieder einen Wechsel zu El-Niño an“, sagt Sven Plöger. „Und das spricht in der Tat dafür, dass 2023 wärmer werden könnte als 2022. Aber wir müssen die Entwicklung zunächst beobachten und keine prognostischen Schnellschüsse machen.“

Im Jahr 2021, dem weltweit siebtwärmsten Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, lag das globale Temperaturmittel nach Berechnungen der Weltmeteorologieorganisation (WMO) rund 1,1 Grad Celsius über dem Mittelwert der vorindustriellen Zeit, die mit 1850 bis 1900 angegeben wird. Diese Periode dient als Grundlage, um Abweichungen der Jahresdurchschnittstemperaturen zu messen, weil in dieser Zeit die Menschheit gerade anfing, große Mengen CO₂ mit Industriegroßanlagen zu produzieren.

Das 1,5-Grad-Ziel aus dem Klimaabkommen könnte bereits 2026 überschritten werden

„Wir sind derzeit mit 1,2 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitraum sehr nahe dran am gesetzten Ziel von 1,5 Grad“, sagt auch Plöger. „Und ich bin leider der festen Überzeugung, dass wir es reißen werden.“ Die weltweiten Treibhausemissionen nähmen immer noch zu. Derzeit seien die Menschen sogar auf einem Pfad zu einem Wert von 2,7 Grad. „Dementsprechend hat die WMO auch in einer aktuellen Studie darauf hingewiesen, dass wir die 1,5 Grad bereits 2026 mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent überschreiten.“

Schon jetzt ist es keine Seltenheit mehr, dass wir die Auswirkungen der Klimaerwärmung selbst zu spüren bekommen. Wo früher Dürren, Trockenheit und Extremwetterlagen „weit weg“ beobachtet wurden, sind diese inzwischen auch in Deutschland angekommen. Die Sommer waren in den vergangenen Jahren geprägt von starker Trockenheit. 2022 verzeichnete der Pegel im Rhein Negativrekorde. In Köln war die Marke mit 76 Zentimetern nur knapp über dem historischen Tiefstand von 69 Zentimetern aus dem Jahr 2018.  Zur gleichen Zeit gab es aber auch immer mehr Starkregenereignisse und Überflutungen, wie die Flutkatastrophe 2021 an Ahr und Erft.

Diese deutlichen Anzeichen sollten uns veranlassen, den Klimaschutz umso intensiver zu fördern, fordert Sven Plöger. „Der wichtige Blick gilt der Zukunft“, so der Meteorologe. „Es muss viel härter und klarer am Klimaziel gearbeitet werden, als das bisher der Fall ist.“

Ein Lichtblick: Würden die auf den Klimakonferenzen in Glasgow 2021 und Sharm el Sheikh 2022 beschlossenen Ziele wirklich umgesetzt, sei immerhin die 2-Grad-Marke im Visier. „Das ist zwar schlechter als 1,5 Grad, zeigt uns aber auf, dass unser Handeln auch Erfolge versprechen wird“, betont Plöger.

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