NRW-Bauministerin Scharrenbach im Interview„Der Schock von der Flut sitzt uns allen noch in den Knochen“

Lesezeit 5 Minuten
NRW-Kommunalministerin Ina Scharrenbach übergibt einen Förderbescheid für den Wiederaufbau nach der Flut an dem Vorstand des Erftverbandes, Bernd Bucher

NRW-Bauministerin Scharrenbach bei der Übergabe eines Förderbescheids für den Wiederaufbau nach der Flut im Dezember 2022

NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach glaubt zwei Jahre nach dem verheerenden Hochwasser, dass das Land auf Katastrophen besser vorbereitet ist.

Frau Scharrenbach, die Flut ist jetzt zwei Jahre her. Wird Ihnen manchmal mulmig, wenn im Wetterbericht starker Regen vorhergesagt wird?

Ina Scharrenbach: Ja, auf jeden Fall. Ich informiere mich beim Deutschen Wetterdienst, welche Regionen betroffen sind. Der Schock von der Flut vor zwei Jahren sitzt uns allen noch in den Knochen. Unwetterwarnungen werden in den Kommunen jetzt sehr ernst genommen. Als Ende Juni das Tief Lambert mit Starkregen aufzog, wurden an vielen Stellen in der Eifel und anderswo von den Feuerwehren Sandsäcke bereitgestellt. Diese Sensibilität für drohende Gefahren ist bei den Menschen vor Ort nach den Ereignissen von 2021 deutlich spürbar.

NRW und Rheinland-Pfalz haben die Bewilligung von Finanzhilfen bis zum 31. Dezember 2030 verlängert. Gibt es eine ungefähre Schätzung, wie viel Geld bis zum Ablauf der Fristen noch bereitgestellt werden muss?

Alles zum Thema Ina Scharrenbach

Bisher haben wir Kommunen und Privathaushalten rund 3,1 Milliarden Euro bewilligt. In vielen Kommunen sind wir mit der Schadensregulierung selbst weitestgehend durch und es wird emsig an dem Hochwasser-sichereren Wiederaufbau gearbeitet. Ich gehe davon aus, dass nicht mehr allzu viel nachkommt, aber einige Bürger haben noch keinen Antrag gestellt.

Ina Scharrenbach steht an der Erft in Bad Münstereifel an einem sonnigen Tag auf einer Treppe.

Ina Scharrenbach an der neuen Freitreppe an der Erft in Bad Münstereifel

Wird diese Frist reichen? Vor allem bei den Kommunen und der zerstörten Infrastruktur muss man bei einigen Projekte doch mit ganz langen Zeitabläufen rechnen?

Da bin ich zuversichtlich. Bis spätestens 2030 wird der Wiederaufbau abgeschlossen sein. Wir unterstützen die Kommunen durch unbürokratische Abrechnungsprozesse. So werden auch die krisenbedingt angestiegenen Baukosten berücksichtigt.

Frist für Firmen endet 2024

Die Antragsfrist für Wiederaufbauhilfe für Unternehmen wurde nur bis zum 30. Juni 2024 verlängert. Warum diese Ungleichbehandlung?

Das hängt mit dem Beihilferecht in der EU zusammen. Es kann sein, dass Brüssel einer weiteren Fristverlängerung zustimmt. Die Anzahl der Anträge aus der Wirtschaft ist allerdings vergleichsweise gering. Das liegt möglicherweise daran, dass ein Großteil der Schäden bei den Unternehmen von den Versicherungen beglichen worden ist.

Sie haben ein Jahr nach der Flut von einem „Kraftakt“ gesprochen? Wie weit sind wir heute?

Die Muskeln sind trainiert. Gemeinsam sind wir dabei, den Kraftakt zu stemmen. Wenn man in den Orten unterwegs ist, sieht man, dass der Wiederaufbau vorangeht.  Bei der Verbesserung des Hochwasserschutzes müssen Städte, Wasser- und Umweltverbände zusammenarbeiten. Fluten machen bekanntlich nicht an kommunalen Grenzen halt.

Was ist mit den Kontrollen bei der Gewährung der Wiederaufbauhilfen? Wie viele Strafverfahren sind anhängig?

Wir hatten 367 Verdachtsfälle auf Betrug, das ist gemessen an der Gesamtzahl der Verfahren ein sehr kleiner Anteil. In 256 Fällen hat sich der Verdacht erhärtet. Da ist bei der Antragsbearbeitung zum Beispiel aufgefallen, dass Fotos vom selben Schadensort mehrfach verwendet wurden. Oder wenn die Regulierung ein- und desselben Schadens von unterschiedlichen Personen beantragt wurde.

77 Millionen noch nicht ausgegeben 

„Deutschland hilft“ hat zwei Jahre nach der Flut erst 70 Prozent der Spenden (261 Millionen Euro), die für Rheinland-Pfalz und NRW zur Verfügung stehen, ausgegeben. 77 Millionen Euro konnten immer noch nicht eingesetzt werden. Was passiert mit Hilfsgeldern, die am Ende übrigbleiben?

Wir arbeiten eng mit den Hilfsorganisationen zusammen. Es gibt immer wieder Fälle, wo der Eigenanteil der Betroffenen dann doch nicht aus eigener Kraft gestemmt werden kann. Oder die Versicherungen regulieren die Schäden nicht wie angekündigt. In solchen Fällen können die Betroffenen mit den verbliebenen Spendengeldern unterstützt werden.

Kellerschächte wurden gesichert

Was hat sich im letzten Jahr in Sachen verbesserter Hochwasserschutz und effektivere Vorwarnsysteme in NRW getan? Sind wir besser vorbereitet und was gibt es noch zu tun?

Nicht nur bei den Rettungskräften, auch bei der Bevölkerung ist die Sensibilität für drohende Gefahren gestiegen. Wenn die Leute erfahren, dass in den nächsten Tagen ein Starkregen droht, fahren einige nicht mehr in den Kurzurlaub, sondern passen auf, dass nichts passiert. Viele Eigentümer haben ihre Gebäude besser gegen Hochwasser gesichert, indem Kellerlichtschächte gesichert und die Stromversorgung nach oben gelegt wurden. Die Projekte der Wasserverbände können oft nicht kurzfristig umgesetzt werden. Aber den Fortschritt werden wir engmaschig begleiten.

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst wird als möglicher Kanzlerkandidat der Union gehandelt. Wenn Wüst nach Berlin geht – übernehmen Sie – als Vize-Landeschefin – dann seinen Job in NRW?

Über die Frage der Kanzlerkandidatur reden wir ein Jahr vor der Bundestagswahl. Deshalb steht die Frage aktuell nicht an.

Wie würde die NRW-CDU einen erneuten Wechsel an der Spitze überstehen?

Auch diese Frage stellt sich derzeit nicht.

Die AfD ist auch in NRW im Aufwind – obwohl das Land lange resilient gegen rechte Parolen war. Wie erklären Sie sich die Entwicklung?

Wir haben unsichere Zeiten. Gerade jetzt bräuchten wir Verantwortungsträger, die in der Politik für Ordnung sorgen und den Menschen die Zukunftssorgen nehmen. Die Bundesregierung tut das Gegenteil: Sie verstärkt die Unsicherheit, versucht Dinge mit der Brechstange umzusetzen. Das führt zu großem Frust, von dem diese Partei, die die Demokratie untergräbt, in Umfragen profitiert. Die schlechte Politik der Ampel in Berlin zieht das Ansehen der Politik insgesamt nach unten. Jedes Gesetz der Bundesregierung atmet das Misstrauen den Bürgen gegenüber. Das schadet am Ende dem demokratischen Fundament in unserem Land.

Wer ist besser geeignet, um die AfD zu bekämpfen – Merz oder Wüst?

Im Bund trägt Friedrich Merz die Verantwortung, Hendrik Wüst in NRW. Beide ergänzen sich dabei gut.

KStA abonnieren