TerrorfinanzierungPaar aus Overath soll für den IS Spenden gesammelt haben – Prozess beginnt im April

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Ein Lager ist hinter einem Zaun auf kargem Boden zu sehen.

Im Lager Al Hol Dort sitzen nach Angaben der Staatsschützer etwa 10.000 IS-Frauen mit Kindern in einem abgetrennten Bereich ein. Mit Spenden aus Overath sollen dort IS-Unterstützerinnen freigekauft worden sein.

Ein Ehepaar aus Overath hat mutmaßlich die Terror-Miliz Islamischer Staat mit Tausenden Euro unterstützt. Bald beginnt der Prozess. 

Anna Y. feierte die Terror-Miliz „Islamischer Staat“ (IS) – immer wieder. Manchmal schickte die deutsche Konvertitin aus Overath ihrem Mann Harun Fotos von den drei Kindern. Die beiden älteren Töchter streckten darauf den „Tauhid-Finger“ in die Höhe. Eine Geste, die der IS als Zeichen für den „Heiligen Krieg“ (Dschihad) gegen „die Ungläubigen“ (Kuffar) benutzt.

Y. begeisterte sich für den IS-Kanal „Stimmen des Krieges“, in dem grausige Gefangenenvideos kursierten, sie lobte den Kampf der Mudschahedin gegen die Christen. Und sie unterstützte gemeinsam mit ihrem Mann den IS mutmaßlich konkret mit Geld.

Spenden für Waisen? Die Bundesanwaltschaft hält das für eine Scharade

Seit dem 10. Mai 2020 rief das Ehepaar aus dem Rheinisch-Bergischen Kreis über die digitale Plattform „Deine Schwestern im Camp“ zu Spenden auf. Angeblich, um die humanitäre Lage für Frauen und Waisenkindern in den kurdischen Gefangenenlagern in Nordsyrien zu verbessern.

Laut der Bundesanwaltschaft eine Scharade, tatsächlich sammelte man wohl für inhaftierte IS-Terroristen. Im Mai 2023 wurde das Ehepaar als zentrale Figuren eines IS-Spendennetzwerks verhaftet. Gut sechs Monate später erfolgte die Anklage gegen insgesamt fünf Akteure, die der „Kölner Stadt-Anzeiger“ einsehen konnte. Demnach sollen allein durch die Hände der Islamisten aus Overath rund 152.000 Euro an Terror-Kanäle in den kurdischen Lagern geflossen sein.

Die Empfängerinnen zählen den Ermittlungen zufolge zum härtesten Kern des IS in nordsyrischen Kurdenlager wie Al Hol. Dort sitzen nach Angaben der Staatsschützer etwa 10.000 IS-Frauen mit Kindern in einem abgetrennten Bereich ein. Mit Unterstützung ihrer deutschen Helfer sollen führende Kräfte in den Lagern den Freikauf von IS-Internierten organisiert haben; die Angeklagten sollen gesuchte Terroristen unterstützt haben. So etwa die mit internationalem Haftbefehl gesuchte Elif Öskürci aus Bayern. 2015 hatte sich die Eiferin zu den Terror-Garden nach Syrien abgesetzt und einen IS-Kämpfer geheiratet. Vier Jahre später geriet sie in die Hände kurdischer Freischärler und landete im Massenlager Al Hol. Mit dem Schmiergeld aus Deutschland kam sie frei und flüchtete in die letzte IS-Bastion im syrischen Idlib. Dort agitierte die Fanatikerin seit März 2020 über mehrere Telegram-Kanäle für den „Heiligen Krieg“.

Walentina Slobodjanjuk aus Mönchengladbach steht ebenfalls bei den NRW-Staatsschützern oben auf der Fahndungsliste. Mit einer gleichgesinnten Freundin zog sie im März 2013 in das syrische Kriegsgebiet. Nach einer vorübergehenden Festnahme konnte sie flüchten. Im IS-Untergrund der syrischen Stadt Atmeh fand sie Unterschlupf. Anfang August 2022 versuchte sie über ihren Telegram-Kanal „Gebt Aus“ deutsche Spender für ihre Mission einzunehmen und rief deutsche Islamisten dazu auf, sich in die Kampfgebiete zum IS zu begeben.

Janica Dodemont schloss sich im Februar 2014 den selbst ernannten Kalifatsbrigaden in Syrien an. Im Laufe der Zeit lebte sie mit mehreren Dschihadisten zusammen, trainierte mit Schusswaffen und trug einen Sprengstoffgürtel. Vier Jahre später versuchte sie eine IS-Anhängerin in Bonn zu einem Anschlag auf das örtliche Polizeipräsidium zu überreden, wozu es nicht kam.

Verwendungszweck bei den Überweisungen: „Geburtstag“

Die Euro-Transfers verliefen nach Erkenntnissen der Ermittler in simplem Muster: Über Telegram-Kanäle wie „Deine Schwester im Camp“ warben Anna und Harun Y. hierzulande Spenden ein. Wenn aus Syrien neue Mittel angefordert wurden, haben sie wohl Finanzdienstleister in der Türkei genutzt, über Mittelsmänner gelangten die Hilfen in bar an die IS-Organisatorinnen im Kriegsgebiet. Selbst Kindergeld soll in den Dschihad geflossen sein. Die Aufraggeber warnten in Chats davor, einen islamischen Verwendungszweck bei den Überweisungen zu nutzen; Stichwörter wie „Geburtstag“ seien besser.

Allein Anna und Harun Y. aus Overath sollen laut Bundesanwaltschaft 73 Transaktionen initiiert haben. Am 3. Juni 2020 schickte die Konvertitin demnach etwa 3000 Euro an einen IS-Veteranen im Libanon, damit dieser seine Frau aus dem Lager Al Hol freikaufen konnte. Das Geld stammte von einer Sympathisantin aus Wien. Über Chat-Kontakte baten etliche Lagerinsassen die Spendensammlerin aus dem Rheinisch-Bergischen Kreis um Hilfe. Anna Y. versprach, die Bittsteller auf ihre Warteliste zu setzen. Den Ermittlungen zufolge sollen aber nur IS-Mitglieder begünstigt worden sein.

73 Transaktionen gingen wohl von Overath aus zu Islamisten

Das angeklagte Ehepaar soll arbeitsteilig vorgegangen sein: Anna Y. kümmerte sich um die weiblichen Spender, ihr Partner die Männer. Über ihre Vita ist nicht viel bekannt. Beide Beschuldigte wurden 1989 in Bergisch-Gladbach geboren. Zeitweilig versuchte sich Harun Y. als Unternehmer für Telekommunikationsleistungen, später als Webdesigner. Immer wieder reisten die Eheleute in die Türkei; die Hintergründe bleiben offen.

Nach der Festnahme Ende Mai 2023 kamen die drei Kinder in die Obhut des Jugendamtes. Vor dem Haftrichter, so die Bundesanwaltschaft, habe Anna Y. ein Teilgeständnis abgelegt. Die Vorwürfe im Haftbefehl seien so richtig, bekundete ihre Verteidigerin. Damals war nur von zwei Fällen die Rede, inzwischen sind es 73. Naiv will die 35-jährige Mutter gewesen sein, „dumm und blöd“ wird sie zitiert. Vehement distanzierte sie sich seinerzeit vom IS.

Am 17. April soll der Prozess vor dem Düsseldorfer Staatsschutzsenat beginnen. Michael Murat Sertsöz, Verteidiger des Ehemannes, kündigte ein streitiges Verfahren an. „Die Verwendung der Gelder muss im Einzelnen schlüssig nachvollzogen werden. Es bestehen erhebliche Zweifel, ob die Ankläger beweisen können, dass jeder aufgeführte Cent in Terror-Kanäle geflossen ist.“

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