Fahrdienst zum Training, Anlaufstelle für Wut und Enttäuschung und dann noch die Wäscheberge: Mütter von Sportlern erledigen oft einen herausragenden Job. Eine Würdigung.
„Und dann macht sie sofort ein Tor. Das war der helle Wahnsinn!“

Melanie Wintgen spielt selbst kein Eishockey, ist aber quasi immer dabei, wenn ihre Tochter Zoe Wintgen die Montur anlegt. Sie trainiert vier bis fünfmal die Woche, am Wochenende stehen Ligaspiele für den EC Bergisch Land an. Dazu kommen Nationalmannschaftsspiele und Trainingslager.
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Seit einigen Wochen hat Melanie Wintgen wieder Zeit für ihre „Sommerfreunde“. Von Oktober bis März haben diese sie schon komplett abgeschrieben. Denn was immer an lustigem Amüsement im Freundeskreis anstehen könnte, Melanie Wintgen ist den gesamten Winter über verhindert – das weiß jeder. Sie steht schließlich mit ihren „Winterfreunden“ in der Eishalle. Und zwar gefühlt durchgehend. Vier- bis fünfmal Training unter der Woche, am Wochenende Spielbetrieb. „Von Oktober bis März haben wir quasi kein Privatleben“, sagt die 37 Jahre alte Solingerin. Zumindest nicht außerhalb der Eishalle. Dabei hat Melanie Wintgen mit Eissport persönlich gar nicht so viel am Hut, sie hat früher lediglich Handball gespielt. Aber Wintgen ist Spielerinnenmutter. Tochter Zoe trägt Schlittschuhe, seit sie 18 Monate alt ist. Heute ist sie 17 Jahre alt und spielt in der Bundesliga. Und in der Nationalmannschaft. Das bindet zuweilen die gesamte Familie. Und in diesem Konstrukt besonders eine Person: Die Mutter.
Sportliche Töchter oder Söhne sind ein Geschenk, das sowieso. Der Gesundheit wegen, aber auch weil ball- oder rennverrückte Kinder gezwungenermaßen mehr draußen sind. Weil sie leichter Freunde finden, die eben auch Schläger oder Räder oder Stufenbarren vergöttern. Weil sportlicher Erfolg ihr Selbstbewusstsein stärkt, selbst wenn sie in Mathe mal eine Fünf einstecken müssen. Und was muss es für ein Jubel im Herzen sein, wenn das eigene Kind mal Weltmeister wird, Trophäen in den Himmel reckt, vor Glück und Erschöpfung weinend auf Matten, Sand oder Gras liegt? Unter dem rosafarbenen Filter bringt so eine Sportler-Mutterschaft unglaublich viel Freude. Aber so ein Mutterdasein ist natürlich nicht jeden Tag Finale. Und schon gar nicht zwingend eins mit Medaille am Schluss. Da ist auch von Mutterseite aus viel Durchhaltevermögen gefragt. Viel Schweiß, manchmal gar Tränen. Und viel ermüdende Ebene.

Auch im Nationalmannschaftstrikot auf dem Eis: Zoe Wintgen. Ihre Mutter sagt: „Ich bin da sehr emotional, fiebere extrem mit, so sehr, dass mein Mann, der da eher analytisch an die Sache rangeht, sich oft lieber an die andere Seite des Spielfelds stellt.“
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Es ist nicht so, dass Melanie Wintgen die Angelegenheit nicht auf sich zurasen gesehen hätte. Schließlich hat sie einen Eishockeyspieler geheiratet. „Dass das ein zeitintensiver Sport ist, habe ich schon zu Beginn unserer Beziehung bemerkt“, sagt sie lachend. Lange habe sie deshalb versucht, bei ihrer Tochter gegenzusteuern. Mit Turnen habe sie gelockt, mit Tanz. Aber Eishockey? „Die Kinder sind anfangs noch klein, die Taschen sehr groß, dazu gibt es auch nicht flächendeckend Trainingsmöglichkeiten, die Anfahrtswege sind also zuweilen weit.“ Unterm Strich sah sich Wintgen sehr viel Zeit im Auto verbringen, unterwegs zu Eishallen, parkend vor Eishallen, unterwegs zurück von Eishallen. Was soll man sagen? Wintgens Befürchtungen haben sich bewahrheitet.
Immer dabei: Die Sorge um die Unversehrtheit des Kindes
Und dann ist so ein Spielerinnenmutterjob mit der Personenbeförderung natürlich auch nicht getan. Auch emotionale Qualitäten sind da gefragt. Denn wenig ist psychologisch anspruchsvoller als das eigene Kind verlieren zu sehen. „Ich bin da sehr emotional, fiebere extrem mit, so sehr, dass mein Mann, der da eher analytisch an die Sache rangeht, sich oft lieber an die andere Seite des Spielfelds stellt“, sagt Wintgen. Und wenn es dann nicht reicht, wird ihr das Herz vielleicht schwerer als der Tochter selbst. „Die ist dann eher sauer und will nicht reden. Mir tut das wahnsinnig leid, weil ich mitfühle und denke: Was für ein Einsatz, was für eine Mühe – und dann wird das nicht belohnt.“ Außerdem ist da natürlich immer die Sorge um die körperliche Unversehrtheit des eigenen Nachwuchses. Wer schon mal gesehen hat, wie ein engagierter Eishockeyhüne in voller Montur mitsamt Schläger in einen Gegenspieler herein donnert, der kann sich vorstellen, wen man sich da keinesfalls hinter dem Gitterhelm des Zubodengehenden wünscht: das eigene, selbst wenn fast erwachsene, in diesem Moment doch irgendwie kleine Mädchen.
Obwohl es neben dem schmerzenden Mutterherz an der Bande natürlich auch Lichtblicke gibt. Der Stolz auf das Kind, auf die sportliche Leistung, aber auch auf die Selbständigkeit und Zähigkeit, die sich Zoe durch ihr Hobby erarbeitet hat. Zu Turnieren oder Camps fährt sie mittlerweile auch alleine mit der Bahn, nach einer schweren Schulterverletzung kämpfte sie sich in wenigen Monaten zurück aufs Eis. Und schließlich erweitert so ein Eishallentourismus auch den Horizont der Mutter. Wintgen, die bei den Stadtwerken beschäftigt ist, hat mit der Zeit also die Umgebung um die Trainingsstätte herum erkundet. Sie hat einige Spaziergänge unternommen, dabei beispielsweise in Troisdorfer Eishallennähe einen See zum Stand-up-Paddling entdeckt. „Und in der Nähe der Aachener Eishalle gibt es ein Outlet von Bahlsen, da habe ich dann auch manchmal leckere Sachen gekauft.“
All die Mühe lohnt sich für diesen einen Moment des Jubels
Wenn Zoe auf Nationalmannschaftslehrgang ist, reist zuweilen die gesamte Familie für einige Tage nach Füssen, die Eltern arbeiten dann von dort mobil, nach Feierabend macht sich dann dort in den Bergen nahe der österreichischen Grenze aber eher Familienurlaubsstimmung breit. Und dann natürlich dieser Moment vor zwei Jahren. Zoe durfte als U-16-Spielerin bei einem U-18-Testspiel der Nationalmannschaft mitmachen. „Und dann macht sie sofort ein Tor. Das war der helle Wahnsinn. Da musste ich erstmal herausgehen an die frische Luft.“
Die Rührung angesichts herausragender Leistung der eigenen Brut kann als einer der Gipfel der Elternschaft bezeichnet werden. Auch Katja Grupp kennt das. Fragt man sie nach so einem Moment in ihrer Eigenschaft als Spielerinnenmutter, dann reist sie in Gedanken zurück in die vergangene Saison zur U17-EM nach Breslau. Damals holte die Mannschaft ihrer heute 16 Jahre alten Tochter im Ultimate Frisbee Silber. „Ich habe mir das live als Stream am Rechner angesehen und wenn die Kommentatorin dann sagt, dass da gerade Lola Butenschön kommt und eine Scheibe fängt, dann rührt mich das heute noch“, sagt Grupp. Der Grat zwischen Stolz und stellvertretendem Ehrgeiz ist zuweilen schmal. Die Professorin für Marketing und Kommunikation ist eigenen Aussagen zufolge nie auf die andere Seite abgerutscht. „Es tut mir schon leid, wenn die verlieren. Aber mir ist der Sieg wirklich nicht wichtig. Wichtig ist, dass sie es gern macht, Freunde über ihren Sport findet“, sagt die 52 Jahre alte Kölnerin.

Lola Butenschön spielt Ultimate Frisbee und war mit der Scheibe auch schon bei den Europameisterschaften. Ihre Mutter Katja Grupp ist sehr stolz, am wichtigsten: „Dass sie es gern macht und Freunde über ihren Sport findet.“
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Die Mütter sind nicht mehr allein
Fahrdienste, Trostanlaufstelle, Wutprellbock, die Aufgaben als Fan und Jubelpersonal und nicht zuletzt die Wäscheberge – die Stelle der Spielermutter ist derart umfangreich, dass sie gut geteilt werden kann. Gefragt sind Unterstützerteams. Väter, Onkel, Tanten, Freunde und Großeltern sind da willkommen und werden nach Aussage der beiden Mütter auch zahlreicher. Der Lohn für deren Engagement? Der Jubel im Herzen, wenn der Nachwuchs nach dem Siegtreffer die Faust in den Himmel reckt. Sich den Mitspielern in die Arme wirft. Quer über das Spielfeld lachend auf einen zu rennt. Glück eben.
Die Sportstiftung NRW feiert ihr 25-jähriges Bestehen und lädt dazu am Sonntag, 11. Mai, 180 neu-geförderte junge Sportlerinnen und Sportler in den Movie Park in Bottrop ein. Mit dabei sein werden auch 25 Athleten-Mütter als Ehrengäste. Die Sportstiftung unterstützt Nachwuchsathletinnen und -athleten bei einer gelungenen Sport- und Bildungskarriere. Lola Butenschön und Zoe Wintgen sind zwei davon.