Streit über Richterbesetzung in NRW„Es ging von Anfang an nicht mit rechten Dingen zu“

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Um die Besetzung des Präsidentenpostens am Oberwaltungsgericht in Münster gibt es heftigen Streit.

Um die Besetzung des Präsidentenpostens am Oberwaltungsgericht in Münster gibt es heftigen Streit.

Im Streit über den Präsidentenposten am Oberverwaltungsgericht Münster kritisiert der frühere Amtsinhaber Michael Bertrams seine Richterkollegen ungewöhnlich heftig.

Herr Bertrams, der Justiziar der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Ansgar Heveling, erklärt im September 2022 einem der Kandidaten für das Präsidentenamt am Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster, dass er seine Bewerbung zurücknehmen solle, weil seine Mitbewerberin aus dem Innenministerium von der Regierungskoalition aus Grünen und CDU politisch gewünscht sei. Und das bereits etwa eine Woche nachdem die Mitbewerberin im September 2022 als Nachzüglerin ihren Hut in den Ring geworfen hat. Wie beurteilen Sie diesen Vorgang?

Dieser Vorgang offenbart, dass es im Verfahren zur Besetzung des Amtes einer Präsidentin oder eines Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen von Beginn an nicht mit rechten Dingen zugegangen ist. Bundestagsabgeordnete haben in diesem Verfahren nichts zu suchen. Und schon gar nicht ist es die Aufgabe eines Abgeordneten, einem Mitbewerber eine Rücknahme seiner Bewerbung nahezulegen.

Michael Bertrams war Präsident des Oberverwaltungsgerichts und des Verfassungsgerichtshofs für Nordrhein-Westfalen in Münster

Michael Bertrams war Präsident des Oberverwaltungsgerichts und des Verfassungsgerichtshofs für Nordrhein-Westfalen in Münster

Laut der eidesstattlichen Versicherung eines Mitbewerbers um das Präsidentenamt, eines Richters am Bundesverwaltungsgericht, war genau dies aber der Fall.

Aus der Versicherung dieses Bundesrichters geht überdies hervor, dass der Abgeordnete im Auftrag und nicht ohne Wissen und Wollen der Landesregierung gehandelt hat. Damit erhärtet dieser Vorgang die Annahme, dass es eine politische Festlegung auf die Bewerberin aus dem Innenministerium gegeben hat, obwohl deren Bewerbung erst etwa eine Woche vor der Rücktrittsempfehlung des Abgeordneten im Justizministerium eingegangen ist, zu einem Zeitpunkt, zu dem von einer seriösen Beurteilung der Bewerberin nach den Grundsätzen der Bestenauslese noch keine Rede sein konnte.

Der eidesstattlichen Versicherung zufolge hat NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) dem Bundesverwaltungsrichter einen Monat später die Rücknahme seiner Kandidatur nahe gelegt, weil die Mitbewerberin bereits einen Vorsprung aufweise. War dieser Schluss nicht ein wenig übereilt?

Mit seiner Empfehlung, die Bewerbung zurückzunehmen, hat der Minister lediglich wiederholt, was der erwähnte Bundestagsabgeordnete dem Richter am Bundesverwaltungsgericht ausführlicher und unverblümter bereits nahegelegt hatte. Damit hat der Minister die politische Festlegung auf die favorisierte Bewerberin – natürlich ohne dies gegenüber dem Richter anzusprechen – noch einmal unmissverständlich zu erkennen gegeben. Die sehr frühzeitige und völlig substanzlose Behauptung, die Bewerberin weise einen Vorsprung auf, erweist sich vor diesem Hintergrund als der untaugliche Versuch, der Rücknahmeempfehlung einen sachlichen Anstrich zu verleihen.

Darüber hinaus soll Minister Limbach dem Bundesverwaltungsrichter in Aussicht gestellt haben, seinen Rückzug entsprechend zu kompensieren, sind solche Angebote üblich?

Nicht dass ich wüsste. Ein solches Angebot bestätigt hier jedenfalls, dass es dem Minister ein dringendes Anliegen war, der Bewerbung seiner Wunschkandidatin losgelöst von einem am Prinzip der Bestenauslese orientierten Verfahren zum Erfolg zu verhelfen.

Die Landtagsopposition spricht von einer rechtswidrigen politischen Einflussnahme durch den Justizminister und den Chef der Staatskanzlei im Vorfeld zur Bestenauslese für den OVG-Spitzenposten, welche Meinung vertritt der juristische Experte?

Der sieht dies im Ergebnis ähnlich. Justizminister und Chef der Staatskanzlei haben zweifellos das Recht, sich über die Besetzung eines hohen Richterpostens auch politisch auszutauschen. Dies darf jedoch nicht dazu führen, dass der Justizminister, der dem verfassungsrechtlichen Prinzip der Bestenauslese verpflichtet ist, einen hoch qualifizierten Bewerber zum Rücktritt auffordert, weil man sich aus politischen Gründen auf eine Bewerberin festgelegt hat. Der Justizminister hat am Ende seine Wunschkandidatin durchgedrückt.

Entgegen den unteren Verwaltungsgerichtsinstanzen hat der 1. OVG-Senat zugunsten der Favoritin Limbachs entschieden und in zwei Beschlüssen die Vorbehalte der Kollegen zurückgewiesen, auch die eidesstattliche Versicherung des konkurrierenden Bundesverwaltungsrichters bezüglich einer unlauteren politischen Einflussnahme wurde abgebügelt, wie ist da ihre Meinung?

Normalerweise äußere ich mich nicht zu Entscheidungen früherer Kolleginnen und Kollegen. In diesem Fall sehe ich mich jedoch zu einer Ausnahme veranlasst. Ich habe die eidesstattliche Versicherung des Bundesverwaltungsrichters und die Ausführungen des OVG-Senats nebeneinandergelegt. Dabei habe ich die zweifelsfreie Überzeugung gewonnen, dass der Senat der sehr detailreichen und glaubhaften eidesstattlichen Versicherung des Mitbewerbers nicht die Bedeutung beigemessen hat, die dieser Versicherung zukommt.

Wie kommen Sie darauf?

Im Senatsbeschluss ist von einer „bloßen Voreinschätzung“ und keiner erkennbaren „Festlegung und Befangenheit des Ministers“ die Rede. Es fehle jedenfalls an einem „Beleg dafür, dass eine Absprache im politischen Raum das Ergebnis der Auswahlentscheidung beeinflusst“ habe. Diese Begründung ist vor dem Hintergrund des in der eidesstattlichen Versicherung glaubhaft geschilderten Sachverhalts nicht nachvollziehbar, um nicht zu sagen sehr naiv und lebensfremd.

Wie zu erfahren war, könnte der unterlegene Kandidat das Bundesverfassungsgericht anrufen, wie stehen da seine Chancen?

Ich würde dem Kandidaten empfehlen, den Gang nach Karlsruhe zu wagen. Aber wie die Entscheidung des OVG-Senats wieder einmal bestätigt, ist man nicht nur auf hoher See, sondern zuweilen auch vor Gericht in Gottes Hand. 

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