Natur- und Klimaschutzpolitik ist auch in NRW ein kompliziertes Okö-Puzzle: Im „Umweltzustandsbericht“ der Landesregierung stehen die entscheidenden Fakten.
„Handlungsdruck steigt“Luftqualität, Artenschutz, Klimawandel – So steht es um den Umweltschutz in NRW

Kühe auf einer Weide in Ostwestfalen
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Auf dem Rhein, zwischen Bad Godesberg und Duisburg, sucht das nordrhein-westfälische Forschungsschiff „Max Prüss“ nach Mikroplastik im Wasser. Und wird fündig, egal wo es sucht, werden Partikel in Form sogenannter Beads gefunden. Das sind Kunststoffkügelchen, die zahlreichen Kosmetik- und Körperpflegeprodukten beigemischt werden.
Im Kölner Stadtteil Lind wird der Boden vermessen. Auf 30.000 Quadratmeter soll vom kommenden Jahr an eine Klimaschutzsiedlung mit 65 Reihenhäusern und etwa 80 Mietwohnungen entstehen. Jedes Haus bekommt beispielsweise eine eigene Luft-Wasser-Wärmepumpe und Photovoltaikanlage inklusive Batteriespeicher. Es werden Ladestationen für E-Autos und E-Bikes aufgestellt. Und statt in die Kanalisation wird das Regenwasser über Versickerungsmulden in das Erdreich geleitet.
Samenjäger in schwindelerregender Höhe
Im Eggegebirge, ganz im Osten von Nordrhein-Westfalen, klettert Forstwirt Alexander Wieners mit einem Seil und Steigklemmen etwa 40 Meter hoch in die schwankende Krone einer Weißtanne. In schindelregender Höhe will er die noch nicht geöffneten Zapfen pflücken, um an die Samen im Inneren zu kommen. Für fünf bis sechs Millionen neue Bäume könne die Ernte in diesem Areal reichen, sagt er. Die 140 Jahre alten Tannen sollen ein wesentlicher Baustein für den „Wald der Zukunft“ sein. Die Tanne könne mit mächtigen Wurzeln Stürmen und Trockenheit besser trotzen als beispielsweise Fichten, die als eine der Hauptarten im derzeitigen NRW-Wald vielerorts bereits abgestorben ist.

Samenernte in den Wipfeln einer Weißtanne im Eggegebirge (Luftaufnahme mit einer Drohne). Der Wald soll angesichts des Klimawandels umgebaut werden. Damit geraten Baumarten in den Fokus, die mit langer Trockenheit besser leben können als die dominierende Fichte.
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Drei Szenarien, die eines gemeinsam haben: Es geht um öffentlich geförderten Umweltschutz in Nordrhein-Westfalen. Ein Gebiet, so vielfältig, dass es kaum noch jemand überschauen, geschweige denn durchschauen kann. Umwelt-, Natur- und Klimaschutzpolitik ist auch in NRW ein extrem kompliziertes Okö-Puzzle, mit einigen Grundsatzentscheidungen kann hier nicht gepunktet werden.
Umweltpolitik wird zum Öko-Puzzle mit tausenden Maßnahmen
Im Landesprogramm sind deshalb tausende, manchmal große, oft sehr kleinteilige Maßnahmen vorgesehen. Der Fantasie sind dabei kaum Grenzen gesetzt: Da werden beispielweise Lachse im Rhein gefördert, Trinkwasserbrunnen in Städten, seltene Schmetterlingsarten im Kreis Euskirchen, Schulhöfen im Rheinland werden entsiegelt, Wild- und Kulturpflanzen im rheinischen Kohle-Abbaugebiet bestäubt oder eine knapp 700 Hektar große Hochwasser-Überschwemmungsfläche im Kölner Stadtteil Worringen angesiedelt.
Etwas Ordnung ins vermeintliche Chaos bringt eine 116 Seiten lange Analyse, die gerade erschienen ist: Der „Umweltzustandsbericht“ der Landesregierung. Er bündelt die zentralen Daten und Fakten aus den Mess- und Monitoring-Programmen des Landes sowie aus Forschungsarbeiten zu Luft, Wasser, Boden, Artenvielfalt, Klima und Ressourcen. Das Papier liefert Fakten statt Vermutungen oder ideologisch gefärbte Darstellungen

Chemotechnikerin Sabine Böckler bearbeitet an Bord des Laborschiffs „Max Prüss“ eine Wasserprobe aus dem Rhein bei Düsseldorf. Tankschiffe, die giftige Chemikalien im Rhein verklappen, sollen dies nicht länger im Dunkeln des Datenschutzes tun.
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„Mit dem Bericht wollen wir den aktuellen Zustand der Umwelt umfassend darstellen und Entwicklungen sichtbar machen, um die Grundlage für politische Entscheidungen zu liefern“, betonte der nordrhein-westfälische Umweltminister Oliver Krischer (Grüne) auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“. Die Analyse zeige zwar, dass die Luft in NRW „heute so sauber ist wie seit Generationen nicht mehr“. Auch die Treibhausgasemissionen seien „zuletzt deutlich gesunken“. Und einst ausgestorbener oder stark gefährdete Tierarten wie der Seeadler, der Lachs, der Uhu, der Wanderfalke, Biber, Weißstörche oder Fischotter hätten sich wieder im Land angesiedelt.
NRW-Umweltminister: „Handlungsdruck steigt“
Doch insgesamt nehme „die biologische Vielfalt weiter ab, der Flächenverbrauch ist nach wie vor hoch und Ewigkeitschemikalien belasten die Gewässer und Böden“, so der Minister: „Der Handlungsdruck steigt.“ Beispielsweise beim Artenschutz, wenn man ihn gesamt betrachtet. So fiel der Anteil der gefährdeten Rote-Liste-Arten im Jahr 2024 mit 44,4 Prozent deutlich höher aus als noch bei der Ersterhebung 1979 mit 37,9 Prozent. Als ausgestorben oder verschollen gelten derzeit 8,3 Prozent der 3.672 für den Indikator beobachteten Arten.
Trotzdem werde von der Politik oft nur im „Reparaturbetrieb“ gearbeitet. „Das heißt, wir geben sehr viel Geld aus, um die Schäden und Folgewirkungen zu bekämpfen oder uns vor diesen zu schützen“, konstatierte Krischer. Allein die Schäden durch die Klimakrise seien gewaltig.

Trümmerteile und zerstörte Häuser am 16.07.2021 im Ortsteil Blessem kurz nach der Flutkatastrophe (oben). Knapp ein Jahr später (16.06.2022, unten) sind an derselben Stelle noch immer die Folgen der Flut sichtbar.
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Eine aktuelle Studie der Europäischen Zentralbank (EZB) schätze die Verluste, die durch Hitzewellen, Dürren und Überflutungen in der EU entstehen, bis zum Jahr 2029 auf etwa 126 Milliarden Euro. „Wir müssen stärker vorsorgend handeln, wenn wir Schäden an der Umwelt und die damit verbundene Kosten vermeiden wollen“, betont der Grünen-Politiker. Die Umweltwirtschaft in NRW sei dabei ein wichtiger Motor: „Sie beschäftigt inzwischen mehr Menschen als Metallindustrie und Maschinenbau zusammen und erbringt eine ökologische Dividende von rund 29 Milliarden Euro“, so Krischer. Aktuell sind nach Angaben des Landes rund 600.000 Menschen in NRW in der Branche tätig. Ein Vergleich zeigt die Bedeutung: In der Hochphase des Steinkohlebergbaus fanden dort 500.000 Menschen eine Beschäftigung.
Klimawandel
Die durchschnittliche Jahresmitteltemperatur der vergangenen 30 Jahre ist in Nordrhein-Westfalen im Vergleich zum 30-Jahres-Durchschnitt zu Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1881 um 1,7 Grad auf 10,1 Grad Celsius gestiegen, heißt es im „Zustandsbericht“. 2024 wurde mit 11,3 Grad Celsius ein neuer Rekord für das Jahresmittel gemessen.
Heiße Tage mit einer Höchsttemperatur über 30 Grad Celsius haben sich seit Anfang des 20. Jahrhunderts im Durchschnitt verdoppelt – von vier auf acht Tage. Dazu kommen durchschnittlich 36 Sommertage mit mindestens 25 Grad, 2018 beispielsweise waren es in NRW sogar 76 Tage. Die Zahl der Eistage mit einer Höchsttemperatur unter 0 Grad Celsius ging dagegen deutlich zurück – von 17 auf 11 Tage.
Erwärmung und Natur
Die Erwärmung bringt die Natur durcheinander. In NRW sorgt sie beispielsweise dafür, dass sich der Beginn der Apfelblüte, der wiederum den sogenannten Vollfrühlings markiert, um zwölf Tage nach vorne verschoben hat. Vom früher durchschnittlich 124. Tag des Jahres auf den 112. Tag. Dadurch entsteht beispielsweise im Obst- und Gemüsebau ein erheblich höheres Spätfrostrisiko. Zugvögeln kehren früher nach NRW zurück oder finden ansonsten kaum noch ausreichend Nahrung in der Natur. Einige Arten wie Kiebitz, Singdrossel und Hausrotschwanz, die sich bereits angepasst haben, ziehen aufgrund der zunehmend milden Winter erst gar nicht mehr weiter.

Extreme Hitze macht den Menschen in Deutschland zu schaffen. Mit Höchsttemperaturen zwischen 36 und 39 Grad erreichte die Hitzewelle dieses Jahr am 5. Juli in diesem Jahr ihren Höhepunkt auch in Köln.
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Beim Ausstoß von klimaschädlichen Treibhausgasen zeigt sich indes eine positive Entwicklung: Die Emissionen sind zuletzt stark gesunken – von 218 Millionen Tonnen 2022 auf 187,5 Millionen Tonnen 2023. Das liegt vor allem an Emissionsminderungen in den Sektoren Energiewirtschaft von 26 Prozent und Industrie von 5,9 Prozent, aber auch Haushalte und Kleinverbraucher reduzierten die Emissionen um 7,5 Prozent. Aber ist das genug? Nein, denn auch NRW lebt längst auf Pump, wenn die Einhaltung des international vereinbarten 1,5-Grad-Ziel als Gradmesser dient. Der dafür noch erlaubte CO2-Ausstoß „dürfte bereits Mitte 2024 ausgeschöpft worden sein“, heißt es im Bericht.
Energie
Im Jahr 2023 ist der Ausbau der Erneuerbaren Energien in Nordrhein-Westfalen mit rund 211.000 neuen Photovoltaikanlagen und einer installierten Leistung von rund 2.100 Megawatt Peak und 123 neuen Windenergieanlagen mit einer Leistung von 526 Megawatt weiter vorangeschritten. Die Ende 2023 installierte Leistung von 7,2 Gigawatt soll bis zum Jahr 2030 auf einen Korridor von mindestens 13 bis 15 Gigawatt gesteigert werden.

Windräder stehen auf einer Anhöhe in Bergheim. Mit einem Erlass hat die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen im Oktober 2022 die Möglichkeiten zum Ausbau der Windkraft und der Freiflächen-Sonnenenergie erweitert.
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Bis 2045 sollen es mindestens 18 bis 23 Gigawatt sein. Im Jahr 2024 wurden 87.663 Gigawattstunden Strom in das nordrhein-westfälische Netz eingespeist. Mehr als ein Viertel (26,8 Prozent) kam aus erneuerbaren Energiequellen. Windkraft hatte mit rund 54 Prozent den größten Anteil
Luft und Lärm
2024 wurden landesweit an allen Probenahmestellen die Grenzwerte für Stickstoffdioxid und Feinstaub eingehalten. Smog-Alarme wie in den 1970er und 1980er-Jahren gehören der Vergangenheit an. Belastend bleibt dagegen der Lärm: Rund 2,3 Millionen Menschen in Nordrhein-Westfalen sind nachts potenziell gesundheitsschädlichen Geräuschimmissionen ausgesetzt, vor allem in Ballungsräumen.
Boden, Flächen und Grundwasser
Der Flächenverbrauch in Nordrhein-Westfalen bleibt hoch. Zahlen von 2022 zeigen, dass pro Tag 5,6 Hektar für Wohnbesiedlung und Verkehr verbaut wurden. Seit 2016 sind dadurch 125 Quadratkilometer Natur verschwunden - die 1,2-fache Fläche des Nationalparks Eifel. Der Eintrag von Schwermetallen in Böden jedoch wurde erheblich vermindert, und die Nitratbelastung des Grundwassers ist in Teilen des Landes rückläufig.

Die Landwirtschaftskammer NRW misst an verschiedenen Standorten den Nitrateintrag in den Boden und ins Grundwasser.
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Zunehmend weniger Niederschläge indes sorgen für zunehmend austrocknende Böden. Nur einmal war ein März in NRW seit Beginn der Wetteraufzeichnungen trockener als in diesem Jahr. Pro Quadratmeter fielen im Schnitt zehn Liter Niederschlag, normal wären 65 Liter. Im langjährigen Vergleich fielen rund 84 Prozent weniger Niederschläge als sonst im März üblich. Da schon der Februar 2025 mit 20 Litern zu trocken war, sinken die Pegel der Flüsse und Talsperren. Den Pflanzen fehlt das Wasser, das sie zum Wachsen benötigen und die Waldbrandgefahr steigt. Bis zu einer Tiefe von 180 Zentimetern sind von den Mittelgebirgsregionen bis ins Flachland Dürreerscheinungen in den Böden zu beobachten.
Gewässer
Von 2018 bis 2021 waren erst 9,4 Prozent der Fließgewässer in Nordrhein-Westfalen in einem guten ökologischen Zustand beziehungsweise verzeichneten ein mindestens gutes Potenzial. Stickstoff- und Phosphateinträge durch Landwirtschaft und Abwässer belasten nach wie vor viele Gewässer. Zu viel Phosphateintrag kann zum „Umkippen“ von Gewässern führen. Zu viele Stickstoffverbindungen schaden den Ökosystemen und fördern so den Artenverlust und die Lachgasentwicklung.

Blick auf den Rhein in Köln. An 80 bis 90 Prozent aller Flusspegel in Deutschland herrschte im April dieses Jahres Niedrigwasser, auch schon im Frühjahr gab es ausgeprägte Trockenheitsperioden.
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Auch jenseits von Phosphor und Nitrat sind viele Gewässer belastet. Um Mikroschadstoffen rauszufiltern wurden in den vergangenen Jahren 25 Kläranlagen mit einer vierten Reinigungsstufe ausgebaut und in Betrieb genommen. Zahlreiche weitere Umrüstungen sind geplant. Natürlicher Klimaschutz
Intakte Ökosysteme sind unverzichtbare Klimaschützer. Wälder, Böden, Moore, Gewässer sowie naturnahe Grünflächen binden CO₂ aus der Atmosphäre und speichern es. Sie wirken zudem als natürliche Puffer gegen Klimafolgen, indem sie Hochwasser aufnehmen und bei Hitze für Abkühlung sorgen. Gleichzeitig sichern sie unsere Lebensgrundlagen, bieten Lebensräume für Tiere und Pflanzen und speichern Wasser.
Moore galten lange als wertlose Flächen, inzwischen aber ist ihre enorme Bedeutung anerkannt. Als Kohlenstoffsenke, wie auch Auenlandschaften, tragen sie entscheidend zum Klimaschutz bei, sie halten Wasser zurück, puffern Niederschlagsextreme ab und bieten wertvolle Lebensräume für hochspezialisierte Tier- und Pflanzenarten. Aktuell gibt es in NRW aber nur noch rund 1600 Hektar intakte Moorflächen, laut einer Potenzial-Studie des Landesumweltamts könnten es mehr als 23 000 Hektar sein. Mit Hilfe von EU- und Bundes-Fördermitteln und den örtlichen Biologischen Stationen will die NRW-Landesregierung zukünftig möglichst viele dieser Areale renaturieren.
Umweltbelastung und Lebensmittel
Gute Nachrichten sind im Bereich der Dioxin- und dioxinähnlichen PCB-Werte zu verzeichnen: Die Belastung von Rohmilch aus Nordrhein-Westfalen ist auf ein sehr niedriges Niveau gesunken. Alle aktuell gemessenen Konzentrationen liegen unter den EU-Höchstgehalten für Dioxine und dioxinähnliche PCB. Auch die radioaktiven Cäsium137-Belastungen in Milch- und Rindfleischproben sind so gering, dass sie kaum noch nachweisbar sind.
Im Jahr 2022 sind in Nordrhein-Westfalen 8,0 Millionen Tonnen Haushaltsabfall eingesammelt worden. Das entspricht rechnerisch 441,0 Kilogramm pro Einwohner. Damit lag das Pro-Kopf-Abfallaufkommen 2,9 Kilogramm über dem Bundesdurchschnitt. Knapp die Hälfte des nordrhein-westfälischen Abfallaufkommens (47,1 Prozent) bestand mit 3,8 Millionen Tonnen aus Haus- und Sperrmüll. Das entspricht einer Pro-Kopf-Menge von 207,9 Kilogramm.