Die Zahl der Straftaten gegen Lehrkräfte hat sich von 2021 bis 2023 verdoppelt. Mit einem neuen Projekt will die Landesregierung der Gewalt begegnen.
Vorstoß soll Gewalt eindämmenNRW schickt Streifenwagen auf Schulhöfe

Die Polizeibeamten Jonas Kleinert (l.) und Alida Römer (2.v.r.) im Gespräch mit Gesamtschülern in Düsseldorf.
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Jonas Kleinert und Alida Römer gehören zum Team der Polizeiwache Düsseldorf-Wersten. Sie haben Frühdienst, normalerweise fahren sie Streife, nehmen Unfälle auf oder verfolgen Straftäter. An diesem Morgen rollt ihr Streifenwagen auf den Schulhof der Gesamtschule Stettiner Straße in Düsseldorf-Garath. Aber nicht, weil dort etwas passiert wäre. Die Beamten werden von Fotografen und Kamerateams empfangen. Denn: Dieser Polizeieinsatz ist eine Premiere.
Die schwarz-grüne Landesregierung will die Schulen sicherer machen. Erst vor zwei Wochen war eine Lehrerin an einem Berufskolleg in Essen von einem 17-Jährigen mit einem Messer angegriffen und lebensgefährlich verletzt worden. Ein neues Präventionskonzept sieht neben einer verstärkten Lehrerfortbildung und gemeinsamen Unterrichtseinheiten mit der Polizei auch „Schulhofgespräche“ vor. Dabei kommen uniformierte Beamte der örtlichen Polizei in den Pausenzeiten an die Schulen – nicht, um zu kontrollieren, sondern um durch Präsenz Vertrauen zu schaffen.

Neues Gewaltpräventionsprogramm an Schulen: Herbert Reul, Klassenlehrerin Holtz und Schüler Ronyar.
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An der Gesamtschule in Garath werden rund 800 Schüler aus 44 Nationen unterrichtet. „Der Stadtteil wurde in den 60er Jahren auf der grünen Wiese errichtet, es gibt hier ähnliche soziale Probleme wie im Kölner Stadtteil Chorweiler“, sagt Schulleiter Stephan Proksch. Nicht zuletzt die weltpolitische Lage könne zu Spannungen an der Schule führen. „Wenn zum Beispiel Schüler aus Russland und aus der Ukraine aufeinandertreffen, kann es Probleme geben.“
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Es ist 9.25 Uhr, als Proksch laut an die Tür der Klasse 8b klopft. Eigentlich hätten die Schüler jetzt Deutsch, aber weil hoher Besuch naht, wurde der Stundenplan geändert. NRW-Innenminister Herbert Reul und Schulministerin Dorothee Feller (CDU) treten ein und begrüßen die Schüler. Die Klassenlehrerin, Frau Holtz, will gerade wissen, welche Aufgaben die Polizei hat. „Sie schützt vor Gewalt. Man muss die 110 anrufen, um Hilfe herbeizuholen“, sagt der 14-jährige Ronyar.
Einladung zum Austausch
Herbert Reul nickt. Er war früher selber Lehrer und ist davon überzeugt, dass die Schulen eine große Verantwortung bei der Gewaltprävention haben. „Immer mehr junge Menschen neigen zu Gewalt“, sagt der Politiker aus Leichlingen. „Wir müssen frühzeitig ansetzen, um ihnen zu zeigen, wie Konflikte gewaltfrei gelöst werden können.“
Auch dazu sollen die „Schulhofgespräche“ beitragen. „Es geht nicht darum, dass die Polizei in den Pausen Kontrollen durchführen“, erklärt der Innenminister. Die Gespräche seien eine Einladung zu einem offenen Austausch. „Die Polizei sagt: Wir sind da, wir sind ansprechbar, wir hören zu. Die Gespräche schaffen Vertrauen und das ist genau das, was wir wollen“, sagt Reul. Idealerweise könne die Polizei durch ihre Präsenz auf dem Schulhof Konflikte und Gewaltpotenzial frühzeitig erkennen und zu Lösungen beitragen. Ein Schwerpunktthema in den Unterrichtseinheiten sollen die zunehmenden Gewaltattacken mit Messern werden. Geplant sind in den Klassen auch Rollenspiele zum Umgang mit Gewalt.

NRW-Schulministerin Dorothee Feller (CDU) sitzt in der letzten Reihe neben NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU).
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Die Zahl der Straftaten an Schulen ist im Jahr 2023 auf 4756 angestiegen – in 628 Fällen waren Lehrerinnen und Lehrer die Opfer. „Schule ist ein Spiegelbild der Gesellschaft“, sagt Schulministerin Feller. Die Kooperation mit dem Innenministerium sei „etwas gänzlich Neues“. „Ich bin sehr zuversichtlich, dass die vertrauensbildende Anwesenheit der Polizei dem Klima an den Schulen sehr zuträglich ist“, sagt Feller.
Hauptzielgruppe des Präventionsprojekts sind die Schüler der siebten Klassen. Laut Kriminalitätsstatistik werden Gewalttaten in der Regel erst ab einem späteren Alter verübt. Die Strafmündigkeit beginnt ab einem Alter von 14 Jahren.
Die „Schulhofgespräche“ sollen zunächst auch in den Kreispolizeibehörden Bielefeld, Bochum, Duisburg, Köln, Mönchengladbach, Olpe, Rhein-Erft-Kreis, Steinfurt und Unna starten. In Düsseldorf war das Eis zwischen Schülern und Uniformierten schnell gebrochen. „Wie kann man eigentlich Polizistin werden?“, will ein Mädchen wissen. Oberkommissarin Römer antwortet freundlich. Kein heißes Thema. Aber erster Schritt, um Vertrauen zu bilden.