Nach Wahlerfolgen im OstenWie weit ist die AfD in NRW nach rechts gerückt?

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Der Landesvorsitzende der AfD in Nordrhein-Westfalen, Martin Vincentz (M.), freut sich im Februar 2022 mit seinem Vorgänger Rüdiger Lucassen (l.) und dem Bundessprecher Tino Chrupalla über seine Wahl.

Der Landesvorsitzende der AfD in Nordrhein-Westfalen, Martin Vincentz (M.), freut sich im Februar 2022 mit seinem Vorgänger Rüdiger Lucassen (l.) und dem Bundessprecher Tino Chrupalla über seine Wahl.

Vor 14 Monaten schaffte es die AfD nur knapp wieder in den NRW-Landtag. Heute liegt die Partei laut Umfragen bei 15 Prozent. Zeit für eine Einordnung.

Das Ergebnis war enttäuschend, doch der Jubel im Sitzungssaal der nordrhein-westfälischen AfD-Fraktion war laut im Mai 2022. Mit 5,4 Prozent bei der Landtagswahl zog die Partei erneut ins Parlament ein, fünf Jahre zuvor hatte sie 7,4 Prozent der Stimmen bekommen. „Immerhin noch drin“, raunte einer der Anwesenden: „Alles andere wäre eine Katastrophe gewesen.“

Die Erleichterung darüber, nicht an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert zu sein, hielt aber nur kurz. Noch am Wahlabend veränderte sich der Ton und die ersten Giftpfeile flogen in Richtung NRW-Fraktion. AfD-Chef Tino Chrupalla, aus Berlin angereist, sah plötzlich „einigen Diskussionsbedarf“. Denn „in Gänze“ können man mit dem Ergebnis doch wohl „nicht zufrieden“ sein. Zweistellige Ergebnisse müssten her. „Da werden wir uns die nächsten Tage natürlich auch unterhalten müssen, inwieweit wir dann doch eine Initiative West auch hier brauchen“, sagte Chrupalla und fachte den parteiinternen Streit um die Ausrichtung der AfD erneut an.

Richtungsstreit mit der AfD im Bund wurde beigelegt

Ein Streit, der in der Kommunikation zwischen Bundespartei und NRW-Landesverband immer wieder für Ärger gesorgt hatte. Der hiesige Versuch, sich einen gemäßigten, bürgerlichen Anstrich zu verleihen, wurde im Bund vom rechtsextremen, nationalistischen Flügel um den thüringischen Landeschef Björn Höcke stets mit heftigem Kopfschütteln quittiert.

Ist dies heute immer noch so? Zunächst der Landrat im thüringischen Sonneberg, dann der Bürgermeister der Kleinstadt Raguhn-Jeßnitz in Sachsen-Anhalt: Wo also steht die nordrhein-westfälische AfD nach den aktuellen Wahlerfolgen der Partei in Ostdeutschland?

AfD liegt in NRW laut Umfragen bei 15 Prozent

Die Beziehungen zur Bundespartei jedenfalls scheinen sich mittlerweile deutlich gebessert zu haben. Das mag zum einen an den Umfragen liegen, die die NRW-Landespartei aktuell bei 15 Prozent verorten. Wobei der „Höhenflug jedoch ohne jeden eigenen Verdienst“ stattfinde, betont der Düsseldorfer Extremismus-Experte Alexander Häusler. Weder Programm noch Personal der Partei würden verfangen. „Die NRW-AfD profitiert vom Bundestrend“, sagt Häusler – und Politikwissenschaftler Martin Florack teilt diese Einschätzung. „Die Wähler und Wählerinnen differenzieren nicht zwischen Landes- und Bundespolitik“, so der Leiter des „Wissenschaftscampus NRW“ in Oberhausen. Die hiesige AfD sei lediglich „der passive Profiteur einer allgemeinen Stimmungslage“. Im Umkehrschluss bedeute dies aber auch, dass „das Land jetzt nicht urplötzlich zur rechtsextremen Hochburg geworden ist“.

Viel entscheidender als das Umfragehoch für die verbesserte Stimmung zur Bundespartei sei indes, dass es in der NRW-AfD einen „radikalen Rechtsruck“ gegeben habe, sagt Extremismus-Forscher Häusler. Der Versuch, eine „Art West-AfD sozusagen als Light-Version der Bundespartei aufzubauen“, sei spätestens nach dem Rücktritt des als gemäßigt geltenden Ex-Vorsitzenden Jörg Meuthen abgebrochen worden. Im Januar vergangenen Jahres hatte Meuthen sein Amt niedergelegt und die Partei verlassen. Teile der AfD stünden „nicht auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung", sagte er damals.

„NRW-AfD ist auf Höcke-Kurs umgeschenkt, um nicht auf der Verliererstraße zu landen“

An Höcke komme seitdem „keiner mehr vorbei in der AfD“, betont Häusler. Das habe mittlerweile auch der NRW-Landesvorsitzende Martin Vincentz erkannt. Um parteiintern nicht „auf der Verliererstraße zu landen“, sei umgeschwenkt worden. „Alle Kräfte“, die versucht hätten, „der NRW-AfD ein gemäßigtes Antlitz zu geben, sind jetzt ins Hintertreffen geraten“, so Häussler. Die Aussagen von Vincentz, der in der Vergangenheit immer wieder die bürgerlich-konservative Ausrichtung der NRW-AfD betont hat, seien „nur Makulatur“. Tatsächlich arbeite die Partei „mit rechtsextremen Kräften zusammen, beispielsweise mit der Identitären Bewegung.“

Ein Indiz für diesen Gesinnungswandel sei auch die Wahl des als ultrarechts geltenden AfD-Politikers Christian Blex zum Schatzmeister der Landespartei. Aus der Fraktion war der Höcke-Unterstützer, der als „Pro-Putin“ gilt, im September vergangenen Jahres ausgeschlossen worden, nachdem er sich mit zwei Parteifreunden dazu aufgemacht hatte, in den von Russland besetzten Teil der Ukraine zu reisen. Es schien, als ob sich Blex, der 2018 mit Parteifreunden bereits die von Diktator Baschar al-Assad in Syrien kontrollierten Gebiete besucht hatte, mit „der erneuten Russlandreise ins politische Abseits manövriert hat“, so Häussler: „Jetzt aber scheint er erneut durchzustarten.“

AfD-Geschäftsführer: „Es gibt keine Radikalisierung in NRW.“

Dies sei Unfug, entgegnet Andreas Keith, Abgeordneter aus Leverkusen und parlamentarischer Geschäftsführer der AfD im Landtag. „Herr Blex wurde auf dem Landesparteipartei mit mäßigem Ergebnis gewählt, weil es ansonsten auch kaum noch einen ernstzunehmenden Bewerber für die Aufgabe gab.“ Eine Radikalisierung in der NRW gebe es nicht. „Wir machen Realpolitik, wie von unserem Landesvorsitzenden Vincentz vorgegeben.“ So sei es auch der „richtige Kurs“, sich mit der Bundespartei „nicht mehr auseinanderdividieren zu lassen“. Denn die Erfolge in Ostdeutschland würden doch belegen, „dass wir in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind“, so Keith.

Dies zeige sich in NRW derzeit etwa an einem „Riesenzulauf, was die Mitgliedsanträge betrifft“. Durchschnittlich 20 Anträge am Tag würden die Geschäftsstelle seit einiger Zeit erreichen, berichtet Keith. Alle Anfragen würden „gründlich kontrolliert“, beispielsweise um Interessenten „mit Tendenzen etwa in Richtung Reichsbürger oder Demokratiefeindlichkeit“ sowie Kontakten zu links- oder rechtsextremistischen Organisationen und Parteien auszuschließen. Im vergangenen Jahr habe die NRW-AfD 4860 Mitglieder gehabt, derzeit seien es etwa 5350 und angesichts der noch nicht entschiedenen Anträge würde die Zahl bis Ende Juli/Mitte August vermutlich auf 5500 anwachsen, so Keith.

Politikwissenschaftler Florack interessiert nicht, wo genau sich die NRW-AfD verortet. „Denn die Grundausrichtung der Partei hat sich bundesweit dermaßen nach rechts verschoben, dass man sich mindestens Mal gemein macht mit diesen Positionen, in dem man keinen Widerstand organisiert.“ Es sei „eine Illusion, zu denken, es gäbe da noch einen liberalen Flügel“.

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