Zement aus der DüseMehrfamilienhaus aus 3D-Drucker könnte Sozialbau in NRW revolutionieren

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Ina Scharrenbach (CDU), Bauministerin von Nordrhein-Westfalen, besucht die Baustelle eines Mehrfamilienhauses aus dem 3D-Drucker.

Lena Zimmer ist Bauingenieurin und steuert die Druckdüse per Laptop.

Schneller, sparsamer, klimafreundlicher: Gedruckte Häuser könnten der Baubranche neue Hoffnung geben. Besuch in Lünen, wo das erste öffentlich geförderte Mehrfamilienhaus Deutschlands entsteht.

Weich und feucht spritzt die Masse aus der Düse, die surrend mal nach links, mal nach rechts eilt, als staple sie Sahnelage auf Sahnelage. An den Rändern des Teigquaders bilden sich Wülste, manchmal tropft etwas daneben. In ein paar Stunden wird hier auf der Baustelle in Lünen nicht etwa eine mehrstöckige Torte stehen, sondern die Wände der ersten Etage eines Mehrfamilienhauses. Des deutschlandweit ersten öffentlich geförderten Mehrfamilienhauses aus dem 3D-Drucker, um genau zu sein. Sechs Mietwohnungen, zwei bis drei Zimmer, der Quadratmeter für sechs Euro. Kampfpreis.

Deutschlands Bauwirtschaft steckt in einer tiefen Krise. Die schlechten Nachrichten reisen herbei und scheinen die gesamte Verwandtschaft mit anzuschleppen: Wohnraummangel, allein in NRW fehlen geschätzt 300.000 Wohnungen. Baumaterialien verteuern sich, von einem Preissprung von gut 40 Prozent bei Zement ist die Rede. Jetzt steigen auch noch die Zinsen. Der Branchenverband warnte unlängst vor einer Krise historischen Ausmaßes.

Den Zementfluss permanent im Blick

Hier in der Lippestraße hat man einen Stahlrahmen errichtet, der eine Zementdüse an Schienen wie von Geisterhand hin und herflitzen lässt. Ein Stockwerk ist schon geschafft, gerade wachsen Schicht für Schicht die Bauteile für den Eingangsbereich. Ein Mitarbeiter hält mit dem Druckkopf Schritt und lässt den Zementfluss, der aus einem Silo über oberschenkeldicke Schläuche nach oben gepumpt wird, nicht aus den Augen. „Kommt schon was, oder?“, ruft der Kollege am Silo. „Zu viel“, die Antwort aus dem ersten Stock. Regler runter, neu justieren.

Die Krise könne man nicht wegdrucken, aber es sei der richtige Zeitpunkt, etwas auszuprobieren, Innovation zuzulassen, zumindest die Chance zu ergreifen, die Lage zu verbessern. Darin ist man sich hier in Lünen einig. Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU), die Förderbescheide in Höhe von insgesamt 1,7 Millionen Euro mitgebracht hat, schwärmt von den  drei Ds für die Zukunft des Bauens: „Digital, dynamisch, druckfertig.“ Jörg Dietrich von Heidelberg Materials Deutschland, der den 3D-Druckbeton für die Lippestraße lieferte, lobt vor allem dessen Nachhaltigkeit. Bei der Herstellung des „i-tech“-Betons spare man 55 Prozent CO₂-Ausstoß gegenüber herkömmlichem Zement. Zudem sei der mineralische Baustoff zu 100 Prozent recycelbar.

Jan Hische, Vorstand und Geschäftsführer der Wohnungsbaugesellschaft Lünen beschwört das Zauberwort „Bezahlbarkeit“. Architekt Lothar Steinhoff wünscht sich „ein starkes Signal für die Bauwirtschaft“. Schließlich bedürfe das, was derzeit noch eher den Namen Pilotprojekt verdiene, vor allem der Nachahmung, der Standardisierung. Erst dann geselle sich zur Innovation auch die Wirtschaftlichkeit, und die ist es, die sowohl Bauträger als auch Käufer oder Mieter herbeisehnen.

Ein Arbeiter geht auf der Baustelle eines Mehrfamilienhaus aus dem 3D-Drucker. Nach Angaben der Landesregierung entsteht Deutschlands erstes öffentlich-gefördertes Mehrfamilienhaus aus dem 3D-Drucker in Lünen. Die innovative Bauweise ermöglicht den reinen Druck in weniger als 100 Stunden. Das Land fördert das Projekt.

Typische Wandstruktur beim gedruckten Haus: wülstig.

Die Maschine hat ihren eigenen Takt. Rattern, kurze Pause, ein Surren untermalt ein Kreischen. Dann wieder Rattern. So klingt hier in der ruhigen Wohnstraße mit ordentlichen nebeneinandersitzenden Mehrfamilienhäusern aus viel Klinker die Innovation. Derzeit stünden einer Wirtschaftlichkeit noch die hohen Investitionskosten beispielsweise für die Drucker und das Material im Wege, sagt Architekt Waldemar Korte, der mit seinem Architekturbüro „Mense Korte“ vor zwei Jahren im münsterländischen Beckum das erste 3D-Druck-Einfamilienhaus bauen ließ. Sobald aber die Preise purzeln würden, läge das Einsparpotenzial gerade bei Mehrfamilienhäusern aber bei bis zu zwanzig Prozent. „Material ist teuer und der Drucker setzt es sparsam und passgenau ein. Da werden Wände nicht im ganzen Haus in einer Einheitsbreite gemauert. Gedruckte Wände sind an jeder Stelle nur so dick, wie sie gemäß der berechneten und zu tragenden Last sein müssen“, sagt Korte gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Berufsbild Maurer könnte an Attraktivität gewinnen – auch für Frauen

Bei den Personalkosten ließen sich gegenüber dem Massivbau etwa 50 Prozent einsparen. „Da die Baubranche ohnehin über Arbeitskräftemangel klagt, ist das in jeder Hinsicht ein Vorteil“, sagt Korte. Darüber hinaus erlaube die Digitalisierung dem Berufsbild, gerade für junge Menschen, einen erheblichen Attraktivitätsgewinn. „Wer heute als Maurer arbeitet, ist mit 45 Jahren häufig körperlich am Ende. Die Technisierung macht den Job auf der Baustelle interessanter und weniger anstrengend.“ Auch für Frauen werde eine Karriere auf dem Bau so interessanter.

Die Bauzeit könne durch das Drucken perspektivisch verkürzt werden. In knapp 100 Stunden seien alle Wände für das Mehrfamilienhaus ausgedruckt, so verspricht es die bayerische Firma Peri, weltweit einer der größten Anbieter von Schalungs- und Gerüstlösungen und deutscher Platzhirsch in der Herstellung von Baudruckern. Die Wahrheit ist: Bis so ein Mehrfamilienhaus dann wirklich steht, dauert es dennoch eine Weile. Teile wie das Fundament, der Keller oder Zwischendecken müssen in massiver Bauweise errichtet, die Maschinen erstmal aufgebaut werden.

Jedes gedruckte Stockwerk braucht zudem mindestens 28 Tage Zeit zum Trocknen und Aushärten, erst dann kann es die nächste Etage tragen. Bis in die Lippestraße die ersten Umzugskisten geschleppt werden, wird es also noch etwa ein Jahr dauern. In vergleichbarer Zeit schafft das auch Massivbau. Korte glaubt aber, dass die Abläufe in wenigen Jahren so standardisiert sein werden, dass ein Mehrfamilienhaus wie in Lünen in sechs bis sieben Monaten bezugsfertig sein könnte.

Fünf Jahre, schätzt er, könnte es dauern, bis ein gedrucktes Haus günstiger zu haben sein wird als ein massiv gebautes. Um Bauen wirklich erschwinglich zu machen, ist seiner Meinung nach neben der Digitalisierung aber noch eine andere Zutat erforderlich: Bescheidenheit. „Wir müssen zum Beispiel runter mit den Zimmergrößen, eine große Deckenspannbreite geht immer ins Geld. Und auch die Ausstattung spielt eine Rolle. Das digitale Haus in Beckum ist zum Beispiel komplett unverputzt. Da sehen Sie noch die typische Druckstruktur an der Fassade. Das spart natürlich auch Material. Und sieht eigentlich super aus.“

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